Ein Seefahrer auf Abwegen und eine Krönung der Finalsaison des Intendanten

Benjamin Britten, Peter Grimes, Theater an der Wien25. Oktober 2021

Der Amerikaner Eric Cutler ist ein Heldentenor, wie man ihn sich nicht besser wünschen könnte. Mit einer bestechenden Dramatik, Gesangskultur und immer höhensicher mimte er grandios die gestörte Persönlichkeit des Peter Grimes.

Foto: Theater an der Wien© Rupert Steiner

Eric Cutler, Agneta Eichenholz, Andrew Foster-Williams, Hanna Schwarz, Rosalind Plowright, Erik Årman usw.

Regie: Christof Loy
Arnold Schoenberg Chor
ORF Radio-Symphonie-Orchester Wien
Dirigent: Thomas Guggeis

von Herbert Hiess

Der scheidende Intendant Roland Geyer lässt in seiner Finalsaison offenbar manche Höhepunkte seiner Ära „Revue passieren“ und so kam das Publikum noch in den Genuss einer der besten Produktionen seiner Karriere.

War schon im Dezember 2015 diese Aufführung mehr als bewegend, konnte man mit einer geänderten Besetzung hier noch ein Tüpfelchen draufsetzen. Damals waren mit Joseph Kaiser als Grimes und dem Dirigenten Cornelius Meister ganz hervorragende Persönlichkeiten am Programm. Jedoch aktuell hatte man mit Eric Cutler als gestrandetem Seefahrer und dem Dirigenten Thomas Guggeis noch sogenannte „Überflieger“ engagiert.

Der Amerikaner Eric Cutler ist ein Heldentenor, wie man ihn sich nicht besser wünschen könnte. Mit einer bestechenden Dramatik, Gesangskultur und immer höhensicher mimte er grandios die gestörte Persönlichkeit des Peter Grimes. Und nicht nur Grimes muss Brutalität gegen seinen Gehilfen John zeigen. Auch diese Partie ist mehr als brutal. Vom Schwierigkeitsgrad mindestens so herausfordernd wie Verdis „Otello“. Unvergessen die lange Soloszene im dritten Akt, wo er a cappella mit dem Chor im Hintergrund diese enorm schwierige Passage scheinbar „mit links“ bewältigte.

Auch die anderen Partien waren hervorragend besetzt. Besonders hier herausragend die Schwedin Agneta Eichenholz, die vor allem mit ihrer enorm schwierigen Arie im dritten Akt begeisterte. Und eine Erinnerung an frühere Opern-Zeiten lieferten Hanna Schwarz als anrüchige Wirtin „Auntie“ und die Britin Rosalind Plowright als schrullige und intrigante Witwe Mrs. Sedley.

Christof Loy zeigte dieses brutale Thema der pädophilen Homosexualität mit ungeschönter Schärfe. Die Bühne war immer leer bis auf das morsche Holzbett, das ganz vorne auf der Bühnenrampe stand. Gekonnt bewegte er die bigotte und doppelmoralische Dorfgemeinschaft auf der Bühne und führte dem Publikum schonungslos diese üblen Verhaltensweisen vor, die sich bis heute nicht geändert haben. Mobbing ist offenbar doch ein zeitloses Phänomen – es war nichts anderes, das Peter Grimes in den „Freitod“ trieb. Genial, mit welcher Einfachheit Loy die stärksten Effekte erzielte. Die Selbstmordszene und die offene Tür im Hintergrund auf der schwarzen Bühne mit strahlendem Licht als Weg zum Paradies erzeugt Gänsehaut.Musikalisch hat Britten in diese Partitur die ganze Musikgeschichte verpackt. Hier hört man Madrigale, Polyphonie, Fugen – alles, was das Musikerherz begehrt. Die Massenszenen sind für die Musiker, vor allem für Chor, Orchester und Dirigenten mehr als herausfordernd. Verschobene Rhythmen, schwierige Einsätze und die Klangstrukturen erfordern extreme Aufmerksamkeit beim Hören  – Brittens Werk macht es da dem Publikum absolut nicht leicht.

Nicht nur der Schoenberg Chor sondern vor allem das ORF-Orchester und Thomas Guggeis machten aus der extremen Partitur ein Klangereignis. Guggeis, der auf den ersten Blick sehr jugendhaft wirkt, hat sich an der Berliner Staatsoper unter den Linden viel Praxis erworben. Mit seiner Grundmusikalität und seinem technischen Können zauberte er mit dem tollen Orchester ein Klangereignis, das man selten hört.

Es macht schon wehmütig, dass man als Besucher einer Dernière (Anm.: die letzte Aufführung einer Serie) mit dem Bewusstsein das Haus verlässt, diese Aufführung höchstwahrscheinlich nie wieder sehen zu können. Auch das vielgerühmte „Streaming“ kann nur ein müder Abklatsch einer realen Aufführung sein.

Auf alle Fälle kann man Intendant Geyer nicht genug dafür loben, dass er diese Produktion wieder auf die Bühne gebracht hat. Vielleicht schafft man es in dem Haus mit den Corona-Produktionen wie „Thaïs“ etc. auch noch?

Herbert Hiess, 25. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gustav Albert Lortzing, Der Waffenschmied, Theater an der Wien21. Oktober 2021

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