Beethovenfest, Isabella Faust, Bach (c) Nekame Klasohm
Ein berührender Abend in der Kreuzkirche. Schöne Atmosphäre, schwierige Akustik und eine beeindruckende geigerische Leistung.
Johann Sebastian Bach (1685-1750) – Drei Sonaten und drei Partiten für Violine solo, BWV 1001-1006
Isabelle Faust, Violine
Bonn, Kreuzkirche, 12. September 2024
von Dr. Brian Cooper, Bonn
Das Beethovenfest kommt zu den Leuten. Natürlich muss man schon noch selbst die Spielstätte aufsuchen, wenn man ein Konzert hören will, aber das Bonner Musikfest bietet unter Steven Walter wirklich sehr viel mehr Innovatives als früher. Das ist begrüßenswert.
Vor dem Spielort, in diesem Fall ist es die Kreuzkirche, stehen nicht mehr wie weiland vor der Beethovenhalle die Protzkarren, von deren Herstellerfirmen man sich aushalten ließ, sondern „ein interaktives E-Auto“, das kleine „bee.mobil“, an dem man zum Beispiel Selfies machen und an einem Bildschirm Fragen beantworten kann. Alles Teil des Nachhaltigkeitsaspekts, auch wenn BMW „Mobilitätspartner“ bleibt. Das „bee.mobil“ fährt im Vorfeld des Festivals auf den Bonner Wochenmarkt und in die Stadtteile: Dort werden Karten mit 10% Rabatt verkauft. So erreicht man Menschen, die nicht unbedingt ein Jahr vorher eine komplette Saison planen wie unsereiner, sondern sich möglicherweise spontan auf Neues einlassen.
In der Kreuzkirche ist freie Platzwahl, nur die Bereiche – Mittelschiff, Seitenschiff, Empore – sind auf der Eintrittskarte angegeben. Bevor es losgeht, stehen wir Schlange. (Der ältere Herr, der eigentlich hinter mir stehen sollte, steht neben mir, also alles wie immer). Die jungen Leute vom Team, gut an ihren weißen T-Shirts mit Namensschild erkennbar, kommen vorbei und sprechen uns an: „Hast Du Lust auf einen Pausenplausch?“ Nicht jeder mag von Unbekannten geduzt werden, wir sind schließlich nicht bei IKEA, aber da ist sie schon wieder, so eine tolle Idee, mit der man die Leute aufs Netteste ködert: Du (!) ziehst aus einer Urne eine Kugel und wählst damit eine Farbe, anhand der Du Dich in der Pause an einen Tisch im Seitenschiff setzt, der sehr liebevoll in der entsprechenden Farbe geschmückt ist. Dort sitzen schon zwei, drei Leute, die dieselbe Farbe gezogen haben. Ihr kommt ins Gespräch, ein paar Gesprächskarten mit Fragen helfen nach. Die charmante junge Amateurcellistin outet sich als Teil des Festivalteams. Mehrere von uns spielen ein Streichinstrument. Es ist alles sehr informell, spielerisch, unterhaltsam.
Wir teilen unsere bis zur Pause gewonnenen Eindrücke. An diesem Abend stehen die sechs Sonaten und Partiten BWV 1001 bis 1006 auf dem Programm, gespielt von Isabelle Faust. Man ist sich relativ einig: großartige Geigerin, schwierige Akustik, gerade in den schnelleren Sätzen gehen die vielen von der vor dem Altar spielenden Geigerin präzise perlend abgegebenen Noten eines Laufs wie Rauch durch den Kamin.
Wer gekommen war, wusste: Das wird ein langer Abend. Zumal die Pause mit einer Dreiviertelstunde – wegen des Pausenplauschs – länger war als die üblichen 25 Minuten. Statt der im Programmheft ausgewiesenen 170 Minuten wurden es knapp 210, mit Applaus und, ja, …Stille.
Ja, die Stille nach dem letzten Werk. Gemeinsam mit der Künstlerin hatten wir ein regelrechtes Hochamt durchlebt. Dieses Programm erfordert von allen höchste Konzentration. Und nach der Chaconne gab es eine sehr lange Stille – keine perfekte, denn die Kirche steht quasi am Hauptbahnhof (man hört keine Züge, dafür Menschengegröle, Bluetooth-Lautsprecher und zu schnelle Autos), aber das Publikum hielt mit der Geigerin sehr lange nach diesem Mammutwerk inne.
Wie bereits erwähnt, waren die schnellen Sätze in der Kirchenakustik schwer zu hören, nachzuvollziehen. Was wäre ein alternativer, ein besserer Aufführungsort, fragten wir einander in der Pause. Das Beethovenhaus? Perfekt, aber dann kämen nicht alle rein, nur 200 Plätze, die Kartenpreise müssten dreistellig sein. Die Trinitatiskirche in Endenich? Ebenfalls zu klein. Jene am Filzengraben in Köln, mit ihrer genialen Akustik? Dann wär’s kein Beethovenfest mehr.
Begnügen wir uns mit dem Fazit, dass Frau Faust einen großen Abend in akustisch schwierigen Umständen gab. Sicher würde sie gewisse Dinge in einem Konzerthaus anders machen, Töne anders verlängern oder verkürzen. Ihre Bogenhand ist eine Augenweide, sie hält den Bogen im Barockgriff, aber es ist kein Rundbogen, den verwendet ja kaum jemand. (Wo ist eigentlich Klaus der Geiger abgeblieben?)
Den ganzen Abend über legt sie eine unglaubliche Konzentrationsleistung an den Tag, vor der man nur den Hut ziehen kann. Nur am Ende der Gigue BWV 1004 ist sie gedanklich schon in der Chaconne, man merkt den Lapsus kaum, sie lächelt es kurz weg, wie sie überhaupt viel beim Spielen lächelt.
Sechs Werke von Bach an einem Abend, das kennt man u.a. von Mischa Maisky und András Schiff. (Zu Letzterem spottete mal ein befreundeter Pianist: „Und demnächst spielt er alle 32 Beethovensonaten an einem Abend.“) Man muss es mögen. Mit Isabelle Faust hat nun auch eine weitere der großen Geigerinnen unserer Tage diese sechs Gipfelpunkte der Violinliteratur hintereinander präsentiert. Besonders in Erinnerung bleiben werden die langsamen Sätze, regelrechte Ruheoasen: die Sarabande der h-Moll-Partita, das aufblühende Grave der 2. Sonate in a-Moll und fast die gesamte C-Dur-Sonate, die bis auf den (freilich toll gespielten) schnellen Finalsatz trotz der schwierigen Akustik extrem gut durchhörbar war, selbst in der Fuge.
Frau Faust hatte die Noten auf großen Pappflächen vor sich, um lästiges Umblättern zu vermeiden. Die Reihenfolge war dramaturgisch perfekt: BWV 1001 bis 1003, und nach der Pause rückwärts zählend, BWV 1006-1004. Ein besonderer Abend.
Dr. Brian Cooper, 13. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Beethovenfest Abschlusskonzert, COE, Robin Ticciati, Dirigent Bonn, Oper, 24. September 2023
Clemens von Franckenstein, LI-TAI-PE, DES KAISERS DICHTER Bonn, Opernhaus, 4. November 2023