Foto: L’Orfeo Barockorchester © Reinhard Winkler
Musikverein Wien, Großer Saal, 12. Dezember 2018
Johann Sebastian Bach, Weihnachstoratorium, BWV 248
L’Orfeo Barockorchester
Chorus sine nomine, Chor
Johannes Hiemetsberger, Dirigent
Ursula Langmayr, Sopran
Sophie Rennert, Alt
Manuel Günther, Tenor
Josef Wagner, Bass
von Jürgen Pathy
Das große Kunst und Qualität nicht immer in Korrelation zu weltberühmten Namen steht, beweisen der Chorus sine nomine – ein „Laienchor“ –, das L’Orfeo Barockorchester und eine Riege junger, teils renommierter Gesangssolisten. Unter der Leitung des österreichischen Dirigenten Johannes Hiemetsberger, 47, rocken die begnadeten Musiker die ehrwürdigen Hallen des Musikvereins Wien.
„Jauchzet, frohlocket, und preiset die Tage“, lautet das Motto der Künstler, die das Bach‘ sche Weihnachtsoratorium nach allen Regeln der Kunst zelebrieren. Keine Spur des weihevollen Schwulstes, der Langatmigkeit und des Antiquarischen, das vielen Interpretationen barocker Musik anhaftet. Stattdessen erfrischende Freude beim gemeinsamen Musizieren, beim Feiern der Geburt Jesus Christus und an der Möglichkeit in einem derart prestigeträchtigen Haus, wie dem berühmten Musikverein Wien, auftreten zu dürfen. Wohin man blickt: strahlende Gesichter.
Diese feierliche Atmosphäre transportieren die Protagonisten in ihre Interpretation des sechsteiligen Oratoriums, dessen Kantaten eigentlich einzeln anlässlich der Feiertage komponiert wurden, und die Bach erst später aufgrund des ähnlichen Stimmungsgehalts zu einem sakralen Gesamtwerk zusammenschloss. Ein glücklicher Umstand, der einer Unzahl an Besuchern während einer kurzen Atempause zwischen der ersten und zweiten Kantate noch verspätet Einlass gewährt.
Ohne den Hausfrieden empfindlich zu stören, dürfen auch sie miterleben, wie das L’Orfeo Barockorchester beherzt durch das Oratorium schwingt, beinahe rockt. Dabei verliert das Ensemble rund um seine Konzertmeisterin Michi Gaigg aber niemals die Andacht, die Grandezza und die Würde, die dieser Huldigung des Heilands innewohnen, aus den Augen. Egal ob im 12/8 Takt der Sinfonia, der Geigensoli, zu denen sich die Orchester-Solisten erheben, oder bei der feinfühligen Untermalung der Arien, regelmäßig ist man den Tränen nahe, so wunderschön, durchsichtig und farbenreich musiziert das Orchester auf deren historischen Instrumenten.
Erst recht, wenn sich die Stimme der Wienerin Sophie Rennert sanft hinzu schmiegt, wie bei der Alt-Arie „Schlafe, mein Liebster, genieße der Ruh“. Für klassik begeistert ist die junge Sängerin, die bereits in den letzten beiden Jahren im Bayreuther „Parsifal“ als Zaubermädchen zu hören war, keine Unbekannte mehr und wird mit Sicherheit ihren Weg gehen.
Ebenso Manuel Günther, der im Oratoriums– und Konzertbereich bereits erfolgreich tätig ist. Mit dem Weihnachtsoratorium feiert das junge Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper sein gelungenes Wien-Debüt. Egal ob bei den Secco-Rezitativen des Evangelisten oder bei den Arien, die teilweise mit schwierigen Koloraturen versehen wurden, erweist sich der junge Tenor als ausdrucksstarker Erzähler und sensibler Sänger.
Viril, dominant und mit einem herrlichen Timbre gesegnet, gesellt sich der mächtige Bassbariton Josef Wagner zum erlauchten Kreise der Gesangssolisten.
Lediglich die Vierte im Bunde, Ursula Langmayr, 44, benötigt trotz ihrer regen Erfahrung als Oratoriensängerin und Auftritten bei den Salzburger Festspielen ein wenig Anlauf. Als Ersatz für die erkrankte Cornelia Horak eingesprungen, legt die Sopranistin ihre Unsicherheiten jedoch rasch ab: entzückend die Echo-Arie „Flößt, mein Heiland“, bei der das Echo irgendwo außerhalb des Saales erklingt, und kristallklar die empfindsamen Kontraste zwischen dem dramatischen Rezitativ „Du Fälscher, suche nur den Herrn zu fällen“ und der direkt folgenden fröhlichen Arie „Nur ein Wink von seinen Händen“.
Die reichlich gestalteten Choräle, die durch eine elegante, polyphone Stimmführung gezeichnet sind, erfüllt der hervorragende Chorus sine nomine reichlich mit Leben und Würde. So überrascht es wenig, dass nach dem Verhallen des Schlusschorals ein Ansturm an Ovationen und lautstarker Bravi den Goldenen Saal überrollen – völlig zurecht! Der von Johannes Hiemetsberger 1991 gegründete „Laienchor“, unter Kennern seit langem als Spitzenensemble bekannt, fügt sich perfekt der beschwingten Gesamtkonzeption hinzu. Einer Gesamtkonzeption, von derart erhabener Schönheit, dass man trotz Stress, Müdigkeit und latenten Anflügen einer Winterdepression in eine wohlig-warme Atmosphäre versetzt wird.
Es bedarf keiner gesüßten Kalorienbombe, keiner Schokolade, um den Glückshormonspiegel wieder zu heben – ein Abstecher in den Musikverein Wien zum L’Orfeo Barockorchester und dem Chorus sine nomine bewirkt Ähnliches, erfüllt wahre Weihnachtswunder.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), am 13. Dezember 2018, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at