Kreuzfahrtschiff statt Gondel – „Eine Nacht in Venedig“ im Landestheater Linz

Johann Strauss, Eine Nacht in Venedig,  Landestheater Linz

© Sakher Almonem
Johann Strauss, Eine Nacht in Venedig
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Landestheater Linz, Musiktheater Volksgarten, 2. Dezember 2017

Charles E. Ritterband

Das Déjà-Vu stellte sich schon im ersten Akt nach wenigen Minuten ein, als vor der malerischen Postkartenkulisse von Venedig – kombiniert mit einem videotechnisch perfekt realistischen Canale im Zentrum – ein mächtiges, weißes Kreuzfahrtschiff auf die Bühne fuhr: Das hatte man doch vor nicht allzu langer Zeit schon irgendwo mal gesehen? Ja, richtig, das Programmheft bestätigt: Regie führte in dieser Neuinszenierung der musikalisch brillanten „Nacht in Venedig“ des Altmeisters Johann Strauss der in Graz geborene Schauspieler und Regisseur Karl Absenger, auf dessen beeindruckend langer Liste von Produktionen im Jahr 2015 auch die „Nacht in Venedig“ auf der Neusiedlersee-Bühne von Mörbisch gestanden hatte.

Jene auch musikalisch hervorragende und vor guten Ideen sprühende sommerliche Open-Air-Produktion mit im wesentlichen denselben Ideen, Konzepten und Regiegags drei Jahre später in Linz unter Dach, im Linzer Musiktheater, zu recyclen ist zwar durchaus ökonomisch vernünftig – aber irgendwie doch enttäuschend: Als Zuschauer der Mörbisch-Produktion 2015 erkannte ich viele alte Bekannte auf der Bühne wieder, vor denen ich ehrfürchtig den Hut zu lüpfen hatte. Das langweilte und ärgerte mich ein wenig – ein kreativer Mensch, meine ich, vielleicht etwas puristisch, sollte nach vorne blicken und sich von neuen Ideen begeistern lassen, statt die alten neu aufzulegen. Schade.

Denn die Grundidee des Regisseurs Absenger ist höchst intelligent und auch lobenswert – und ich bin keineswegs gegen sinnvolle, gescheite Aktualisierungen historischer Werke, ganz im Gegenteil. Also: Auf der Bühne erscheinen Demonstranten mit Plakaten, auf denen gegen die immer üblere Masseninvasion immer größerer Kreuzfahrtschiffe Sturm gelaufen wird. Völlig zu Recht, und im Programmheft gibt es lobenswerterweise unter dem Titel „Kulturkampf“ mancherlei Wissenswertes über dieses Thema zu lesen: Allein im Jahr 2013 durchquerten mindestens 900 Kreuzfahrt- und Passagierschiffe die Lagune, die Passagierzahlen sind binnen 13 Jahren um 440 Prozent gestiegen, allein in den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der anlegenden Schiffe verdoppelt.

Von den 30 Millionen Touristen jährlich sind zwei Millionen Kreuzfahrer, die sich wohl allesamt nicht darum kümmern, wie viele Tausend Tonnen Wasserdruck ihr zwanzigstöckiger Ozeanriese gegen die fragilen Ufer, gegen die zahllosen uralten Baumstämme, die Plateaus mit unwiederbringlichen Kunstschätzen und Bauwerken zu tragen haben, drückt – oder die mindestens 500 Tonnen Feinstaub-Ausstoß und die Millionen Liter Schweröl, die in die Lagune fließen, wo das Rohmaterial für die beliebten „Spaghetti con Vongole“ geerntet wird…

Johann Strauss konnte diese monströse Bedrohung der romantischen Traumstadt in der Lagune nicht erahnen – die einzige Bedrohung kam damals von playboyhaften Liebhabern und entsprechend fremd gehenden Frauen. Und als ich selbst als Kind von meinem Vater erstmals nach Venedig geführt wurde, war es mit der Begründung, die Stadt noch zu sehen, bevor sie für immer im Meer versinke – Jahrzehnte vor der Kreuzfahrtschiff-Invasion. Dass die „Aqua Alta“ trotz der inzwischen erstellten Riesenschleusen immer noch ein Thema ist, vor allem im Winter, dokumentierten die gelben Gummistiefel, die in dieser Produktion von den alles fotografierenden (so ganz aktuell war sie dann doch auch wieder nicht: Ich vermisste die Selfie-wahnsinnigen Chinesenhorden) Touristen vorsorglich getragen wurden.

So war die Aktualisierung durchaus intelligent; statt dem frauenverrückten Herzog von Urbino ist es in dieser (und der Mörbischer)  Produktion der stramme Kapitän des weißen Kreuzfahrtschiffes „Herzog von Urbino“, und statt im herzöglichen Palast finden Ball, Verwechslungen und Verführungen in der Lobby des Kreuzfahrtschiffes statt – eine völlig öde Szene übrigens, auch was das im Gegensatz zum ersten Akt auf „Low Budget“ getrimmte, primitive Bühnenbild betrifft.

Aber in Mörbisch war das ganz ähnlich, wenn auch nicht gar so schlimm. Und die drei Senatoren waren nicht nur um ihre amourösen Angelegenheiten bemüht, sondern auch um den Posten des Verwaltungsratspräsidenten der „Rialto“-Reederei – eine durchaus realistische Aktualisierung. Was ich schon in Mörbisch äußerst ärgerlich fand, und was hier leider trotzdem 1:1 übernommen wurde (der Regisseur hat offenbar damals meine Kritik nicht gelesen): Die drei Senatoren sprechen ausschließlich in Reimen, was lustig sein soll, und was sie sagen ist schlicht dämlich, langweilig und störend, vor allem angesichts der herrlichen Musik, von der man sich innig wünscht, dass sie doch weitergehen solle – stattdessen dieses dümmliche und völlig überflüssige Geschwätz der drei älteren Herren. Immerhin hat der Regisseur in seiner Linzer Version auf den seinerzeit hochaktuellen (und natürlich unvermeidlichen) Seitenhieb der damals nur drei Jahre zurückliegenden Costa-Concordia-Havarie unter dem unseligen Kapitän Schettino verzichtet, über dessen schwarzen Humor man damals noch lachen konnte.

Regisseur Karl Absenger schaffte den Sprung von den sommerlichen, gewaltigen Dimensionen der Mörbischer Freiluftbühne ins fantastische Linzer Musiktheater, dem modernsten Opernhaus Europas mit einer der größten Bühnen, sehr professionell: Er bespielte geschickt die Flanken des herrlichen Linzer Zuschauerraums, ließ dort die für den weltberühmten „Carnevale“ maskierten Choristen aufmarschieren, fuhr den voll besetzten Orchestergraben (mit dem temperamentvoll Strauss intonierenden Bruckner Orchester Linz unter der spritzigen Stabführung von Marc Reibel) hinauf und wieder hinunter und ließ schon während der Ouvertüre zur allgemeinen Freude des Publikums den Dirigenten vor sein Orchester eilen, als dieses bereits aus eigenem Antrieb zu spielen begonnen hatte…

Das riesige weiße Kreuzfahrtschiff, das sich von rechts auf die Bühne vor das romantische Stadtbild Venedigs schiebt, ist in Linz um nichts weniger überraschend und spektakulär als damals in der Mörbischer Inszenierung. Kreuzfahrtschiff ja – was man allerdings vergeblich suchte, war die Gondel, die ja im Hauptlied der Operette (“Komm in die Gondel…“) so schön besungen wird. Auch die klassischen Gondolieri in ihren blauweiß gestreiften Ruderleibchen waren nicht zu erblicken – obwohl sie bekanntlich in der Handlung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Wurde da etwas Wichtiges vergessen?

Egal. Das Bruckner-Orchester spielte spritzig, der Chor sang mit  überschäumender Lebensfreude und sämtliche Sängerinnen und Sänger verkörperten die lasziven Venezianerinnen und Venezianer mit großer Spielfreude und hervorragendem stimmlichen Einsatz – ganz besonders die Sopranistinnen Fenja Lukas als Annina und Theresa Grabner als Ciboletta. Der tschechische Tenor Richard Samek war bereits in der Mörbischer Inszenierung als Caramello stimmlich und darstellerisch ein Genuss – und einen witzigen Höhepunkt bot diese farbenfreudige Inszenierung, die das Haus Silvester begleiten wird, mit einer gesanglich durchaus beeindruckenden Parodie der „drei Tenöre“. Eine Aktualisierung besonders origineller Art erfuhr der „Galopp“, der hier (Choreografie: Christina Comtesse) als jugendlicher Break Dance, zum Teil auf Skateboards, daherkam.

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

Musikalische Leitung Marc Reibel
 Inszenierung Karl Absenger
 Bühne Walter Vogelweider
 Kostüme Götz Lanzelot Fischer 
Choreografie Christina Comtesse 
Choreinstudierung Martin Zeller
 Dramaturgie Christoph Blitt
 
Kapitän, der „Herzog von Urbino“ Matthäus Schmidlechner, 
Caramello, erster Offizier, der „Herzog von Urbino“ Richard Samek, 
Enrico Piselli, zweiter Offizier, der „Herzog von Urbino“ Philipp Meraner, 
Bartolomeo Delaqua, Finanzsenator von Venedig Günter Rainer, 
Barbara, seine Frau Gotho Griemeier, Stefano Barbaruccio, Senator von Venedig Alfred Rauch, 
Agricola, seine Frau Christa Ratzenböck, Giorgio Testaccio, Senator von Venedig Erich Josef Langwiesner, 
Constantia, seine Frau Ulrike Weixelbaumer, Annina Fenja Lukas, Pappacoda Mathias Frey, 
Ciboletta Theresa Grabner, Ilia Staple, Ein Stewart Ulf Bunde, 
Die Traumfigur Daniel Morales Pérez, Elias Morales Pérez, 
Stimme im Prolog (vom Band) Peter Matic

Chor des Landestheaters Linz, Statisterie des Landestheaters Linz, Bruckner Orchester Linz

 

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