Klaus Mäkelä © Marco Borggreve
Er kam, sah und siegte? Zumindest lässt Klaus Mäkelä selbst alteingesessene Klassikfans in Enthusiasmus ausbrechen. „Der beste Brahms, den ich je gehört habe“, hallt es durchs Wiener Konzerthaus. Energetisch: nachvollziehbar. Klangqualität: ausbaufähig! Das Oslo Philharmonic ist nun mal kein Chicago Symphony oder Concertgebouw Orchester.
Johannes Brahms, Symphonie Nr.1 & Doppelkonzert für Violine und Cello
Oslo Philharmonic
Klaus Mäkelä, Dirigent
Daniel Lozakovich, Violine
Wiener Konzerthaus, 6. Juni 2024
von Jürgen Pathy
Der trägt ja sein Cello, schießt mir durch den Kopf. Gewundert hätte es niemanden, wenn Klaus Mäkelä dem Solisten sein Instrument hinterherschleppt. Auf Augenhöhe mit dem Orchester – das ist Mäkeläs „USP“, sein Alleinstellungsmerkmal als Dirigent. An diesem Abend klemmt der finnische Shootingstar das Cello aber selbst zwischen die Beine.
Brahms, Doppelkonzert, das klingt unter Mäkeläs feiner Bogenführung fast wie eine Bach Partita. Anfangs zumindest, dann himmlisch leicht gebettet. Brahms – von jeglichem Gewicht befreit.
Die Geige gibt den Ton an
Der Dialog mit Daniel Lozakovich: fast schon diplomatisch, nobel zurückhaltend. Noch jünger als Mäkelä ist der zierliche Schwede, der bereits mit neun Jahren die Bühne als Geiger erobert hatte. 23 Jahre, zartes, blasses Gesicht, die Haare dunkel. Mäkelä, kaum älter. „Wie ein Liebespaar“, meint gar ein Gast. „Dick“ aufgetragen, klingt definitiv anders. Die Violine übernimmt hier eher das Kommando, Mäkelä fügt sich ein. Hat was, wirkt unprätentiös und erfrischend. Ob es zum letzten Schrei reicht, sei dahingestellt. Die Damenwelt ist auf jeden Fall entzückt.
„Die Schmalzlocke – er ist so richtig süß, der lebt für die Musik“. Wer Mäkelä auf der Bühne erlebt, kann dem eigentlich nichts entgegensetzen. Befreit, selbstsicher, ein gewinnendes Lächeln im Gesicht. Ein liebenswerter Kerl, der all seine Kraft in Brahms Erste wirft. Die in c-Moll, Brahms’ sicherlich „einfachste“ Symphonie, denkt man in alten Dimensionen. Die Sprache: Ganz klar an Beethoven angelehnt. Der ist mit Mäkelä viel eher per Du, als Tschaikowsky noch vor wenigen Monaten an selber Stelle. Die Spannung stimmt, der große Bogen, der Atem greift dieses Mal viel weiter um sich. Der Kopfsatz ist von Dramatik und Brisanz geprägt. Der Rest dann etwas undifferenziert.
Die Klangqualität lässt generell Wünsche offen. Zwischendurch, im Andante, blitzt es bei den Oslo Philharmonic zwar immer wieder durch: die Klarheit, die reine Schönheit des Gesamtklangbilds. In Summe lässt man aber Potenzial liegen: Dynamische Schattierungen oder andere Feinheiten bleiben etwas auf der Strecke.
Abwarten, was die Zukunft bringt
Ein endgültiges Urteil wäre dennoch viel zu früh. Dass Mäkelä zu den Hoffnungsträgern der Szene zählt, spricht aber Bände. Hüben wie drüben kämpft man um seine Aufmerksamkeit. Im September 2027 übernimmt Mäkelä in Amsterdam, das altehrwürdige Concertgebouworkest. 2019 vom „Gramophone“-Magazin zum besten Orchester der Welt gewählt. Im selben Jahr setzt er noch zum Sprung über den großen Teich an. Chicago Symphony Orchestra, einer der „Big Five“, den bedeutendsten Symphonieorchestern der USA.
Ein Beethoven-Zyklus, vielleicht Mahler Fünf oder gar eine Drei mit einem dieser Spitzenorchester. Dann wird sich weisen, ob der Hype um Klaus Mäkelä auf Hand und Fuß ruht oder nur dem Jugendwahn geschuldet ist.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 7. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Klaus Mäkelä, Dirigent, Truls Mørk, Violoncello, Oslo Philharmonic Elbphilharmonie, 1. Februar 2024