Wiener Konzerthaus, 20. Mai 2021
Jonas Kaufmann, Foto: © Gregor Hohenberg / Sony Classical
Jonas Kaufmann, Tenor
Helmut Deutsch, Klavier
von Andreas Schmidt
Die Donaumetropole Wien durfte sich am zweiten Konzerttag nach dem „Lockdown“ über einen ganz großen und beliebten Künstler freuen. Der bekannteste Tenor der Welt, Jonas Kaufmann, zog ein mit dem weltbesten Liedbegleiter, Helmut Deutsch und sorgte für eine Sternstunde im Wiener Konzerthaus.
Das Publikum war nach gut 75 Minuten aus dem Häuschen, dankbar und beseelt. 2/3 der Zuhörerschaft war weiblich, die meisten über 60 Jahre alt. Es gab schöne Blumen, vor allem Rosen, von einigen Damen. Jonas Kaufmann bot Lieder von Franz Schubert, Robert Schumann und Franz Liszt. Je länger der Abend, desto besser wurde der Münchner – oft sehr warm und wohlig und immer wieder feurig und froh. Der Startenor war sichtlich gut gelaunt und genoss seine Präsenz auf der Bühne.
Auch wenn Jonas Kaufmann von Autoren dieses Blogs und auch von mir immer wieder kritisiert wurde: An diesem Abend zeigte er wieder einmal, warum er ein ganz Großer seiner Zunft geworden ist. Vor allem in seiner unvergleichlichen Mittellage überzeugte er mit bronze-, bernstein- und nougatfarbenen Nuancen, mitunter gingen seine Töne richtig unter die Haut.
So etwa bei Franz Schubert, Die Bürgschaft:
„Und soll hier verschmachtend verderben,
Und der Freund mir, der liebende, sterben!“
Wunderbar weich und berührend bei:
Robert Schumann, Der Spielmann:
„Dass keinen der Wahnsinn übermannt,
Bin selber ein armer Musikant.“
Für mich der wärmste Moment an diesem Wiener Frühlingsabend:
Franz Liszt, Ihr Glocken von Marling:
„Ihr Glocken von Marling,
Behütet mich gut.“
Und wunderbar frisch und frei bei Liszts Freudvoll und leidvoll:
„Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt.“
Als Schulnote ist eine glatte 1 für diesen Abend von Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch zu vergeben. Eine 1 mit Stern oder gar Sternen war es nicht. Das liegt an Jonas Kaufmanns immer häufiger werdenden Angewohnheit, Töne im höheren Register und besonders Spitzentöne nicht rein und klar anzusingen. Er steuert viele höheren Töne immer wieder von unten an, nicht zielgenau – wir reden hier von Abweichungen von einem Achtel- bis Viertelton. Diese Spitzentöne geraten auch immer wieder zu eng und zu gepresst… zum Glück dann aber auch wieder gar nicht.
So bleibt abzuwarten, wie Jonas Kaufmann die anspruchsvolle Partie des Tristan in Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an der Bayerischen Staatsoper meistern wird. Diese Partie fordert wahres Stehvermögen und eine natürliche Strahlkraft.
Was bleibt ist ein sympathischer, präsenter und stimmlich bewegender Jonas Kaufmann, der an diesem Abend einmal mehr gezeigt hat, dass er solche kapitalistischen Marotten wie Doppel-Weihnachts-CDs nicht nötig hat und die letzten Jahre seiner Tenor-Karriere in den Dienst der großen Musik stellen sollte.
Andreas Schmidt, 20. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
PROGRAMM
Franz Schubert
Die Bürgschaft D 246 (1815)
Robert Schumann
Fünf Lieder op. 40 (1840)
Franz Liszt
Vergiftet sind meine Lieder S 289 (1842)
Im Rhein, im schönen Strome S 272/2 (1855)
Freudvoll und leidvoll S 280/1 (1844)
Freudvoll und leidvoll S 280/2 (1848)
O lieb, so lang du lieben kannst S 298 (1845)
Es war ein König in Thule S 278/1 (1842)
Ihr Glocken von Marling S 328 (1874)
Die drei Zigeuner S 320 (1860)
Die Loreley S 273/2 (1854–1856)
Ihre ständigen Diskriminerungen in Bezug auf das Alter und Gechlecht der
Besucher sind mehr als überflüssig und ja nicht neu.
Ihre Absicht Herrn Kaufmann damit zu treffen, nun ja, ein Schelm…
Aber das überflüssige Thematisieren gehört wohl zu Ihrem Weltbild.
Sie sollten gemerkt haben, dass Altersdiskriminierung der Vergangenheit
angehört, oder darf ich mit 78 Jahren jetzt keine Konzerte mehr besuchen.
Ich denke, ich verstehe trotzdem etwas von Musik, vielleicht kann man auch
im Alter daran Interesse haben, auch sind die finanziellen Mittel oft eher
vorhanden.
Dorothea Lenhart
Sehr geehrte Kommentatorinnen,
von Diskriminierung in Bezug auf Alter und Geschlecht kann hier keine Rede sein.
Wenn die Zuschauerinnen mehrheitlich 20 – 30 Jahre gewesen wären, hätte ich es auch erwähnt. Wenn überwiegend Männer im Saal gewesen wäre, wäre es auch eine Nachricht gewesen. Das Alter oder das Geschlecht zu erwähnen, ist doch beileibe nicht diskriminierend. Journalisten sind Chronisten, Beobachter, Zeitzeugen. Sie beantworten alle W-Fragen: Wer, was, wie, wo, wann, warum. Für die LeserInnen ist es sehr interessant und aufschlussreich, welche Altersgruppen bestimmte Konzerte besuchen und ob mehr Frauen oder mehr Männer sich für einen Künstler interessieren.
Herzliche Grüße
Andreas Schmidt, Herausgeber
Irgendwie hat Herr Andreas Schmidt ein Problem damit, dass ein großer Teil des Publikums von JK weiblich ist und über 60 Jahre, sonst würde er es nicht immer extra süffisant erwähnen… man kommt sich ja schon fast diskriminiert vor, als ob man da nicht mehr urteilsfähig sei… Wie steht es bei diesem Autor mit dem political correctness?!
Edith Hofmann
„Was bleibt ist ein sympathischer, präsenter und stimmlich bewegender Jonas Kaufmann, der an diesem Abend einmal mehr gezeigt hat, dass er solche kapitalistischen Marotten wie Doppel-Weihnachts-CDs nicht nötig hat und die letzten Jahre seiner Tenor-Karriere in den Dienst der großen Musik stellen sollte.“
Wie kommen Sie denn auf so einen Schwachsinn! Sie meinen offenbar, nur Liederabende der gestrigen Ausführung wären Musik. Irrtum: Volkslieder, Operette, Jazz, geistliche Musik, all das erfreut Musiker und Zuhörer.
„Kapitalistische Marotten“ sind eine Beleidigung! Mit Singen Geld verdienen ist wohl verboten oder was?
Waltraud Riegler
Hätte Kaufmann gerne gehört. Das Lied dürfte ihm generell liegen. Vielleicht sollte er seinen Focus generell viel mehr in diese Richtung lenken. Das habe ich mir schon öfters gedacht. Nicht erst in letzter Zeit, als ich ihn zum Beispiel als Don Carlos gehört habe, sondern vor allem seit ich seine Winterreise aus dem Jahr 2014 kenne. Für mich, eine der besten Aufnahmen des Liederzyklus. Nicht nur weil er als „Bari-Tenor“ über die ideale Stimmfarbe verfügt, sondern auch, weil er den trostlosen Wanderer derart glaubwürdig in Szene setzt. Von der feinen Stimmführung gar nicht zu reden.
Man höre sich nur die Krähe an oder das Wirtshaus, die Nebensonnen. Derart erschütternd und mitreißend, dass es mich bei jedem Hören paralysiert.
Jürgen Pathy
Von Helmut Deutsch natürlich alles auf dem Silbertablett serviert. Eine Aufnahme, die ganz klar zu empfehlen ist!
Jürgen Pathy
Na klar, statt Argumenten eine Beleidigung. Aber man ist ja so modern, Infotainment ist das Gebot der Stunde, da ist der objektive Chronist schnell vergessen. Was heißt hier „die meisten LeserInnen“? Wieder eine Statistik aus dem Handgelenk? Okay, jene der „Bunten“ oder des „Goldenen Blatts“, nicht aber solche eines niveauvollen Kulturblogs. (Warum übrigens tauchen diese Bemerkungen nie bei einem Gerhaher- u.a. – Liederabend auf?)
„Sehr positiv“? Allein Ihr stereotyper Vorwurf von Abweichungen von einem Viertelton führt doch die ganze Lobhudelei ad absurdum. Allerdings wäre das nur mit Klavierbegleitung tatsächlich der Fall, würde wohl der ganze Saal aufjaulen; um das zu hören muss man nicht besonders musikalisch sein! „Spitzentöne geraten auch immer wieder zu eng und zu gepresst… zum Glück dann aber auch wieder gar nicht“ – vielleicht weil es zur Interpretation gehört und nicht aus Unvermögen. Da wird doch nicht einfach nur lalala gesungen, um eine perfekte Stimme vorzuführen.
„kapitalistischen Marotten wie Doppel-Weihnachts-CDs“ – alle klassischen SängerInnen der letzten Jahrzehnte haben Weihnachtsplatten aufgenommen (die meisten unerträglich, weil mit großer Opernstimme – Ausnahme Wunderlich/Prey), was ist bei Kaufmann anders? Und was soll das gönnerhaft Mahnende „in den Dienst der großen Musik stellen“?
Simon Mortena
Sie rennen eine offene Tür ein. Kaufmann hat doch schon seit vielen Jahren bei der Aufteilung seiner Auftritte zwischen Oper, Konzert und Liederabend den letzteren zahlenmäßig an der Spitze.
Simon Mortena
Lieber Herr Schmidt, Sie berufen sich so gerne auf Ihre journalistische Aufgabe als Chronist. Sehr gut: Sie sollen hier einen kritischen Bericht über eine künstlerische Darbietung schreiben und nicht eine demographische Untersuchung der Publikumszusammensetzung (per schnellem Augenschein – oder haben Sie Unterlagen? Beim Alter kann man schnell danebenliegen) – ersterer gehört auf die Kulturseite, letzterer in die Gesellschafts(Tratsch)-Spalte (oder in die „Bunte“). Wer beides vermischt, versucht die künstlerische Leistung abzuwerten, was ja hier offensichtlich bezweckt wird (nicht zum ersten Mal in diesem Blog). Inwiefern ist es für die LeserInnen „aufschlussreich“, wie die geschlechts- und altersmäßige Aufteilung im Publikum bei einem Künstler ist? Was hat das mit der Qualität des Künstlers zu tun? Oder sollten Sie vielleicht doch der Meinung sein, dass es geschlechts- und altersspezifische Unterschiede bei der Beurteilung der musikalischen Qualität einer künstlerischen Darbietung gibt? Ist der Applaus daher unterschiedlich viel wert? Das wäre diskriminierend!!
Herzliche Grüße,
Simon Mortena
Lieber Herr „Mortena“,
Ihnen ist sicherlich nicht entgangen, dass der Bericht über Jonas Kaufmann sehr positiv war.
Die Differenzierung in Kultur und Gesellschaft ist altbacken. Die meisten LeserInnen interessieren sich
für Angaben zum Alter und Geschlecht.
Herzlich
Andreas Schmidt
Andreas Schmidt hat alles richtig gemacht. Es gibt einen alten journalistischen Grundsatz, der besagt, dass Hinweise auf das Publikum nur dann sinnvoll sind, wenn Außergewöhnliches zu beobachten ist: Zwei Drittel weiblich, die meisten über 60 (also ein ähnliches Publikum wie bei Helene Fischer), das ist so ein Fall.
Verpönt sind Beschreibungen wie „war gut besucht“. Das ist Geschwafel und sagt gar nichts aus. Zehn Menschen in einem Raum, der 15 Besucher fasst, das ist ein guter Besuch. 50 000 Leute im Dortmunder Signal-Iduna-Park gelten als schlechter Besuch (Fassungsvermögen: 82 000).
Es geht dabei um ein Bild, das dem Leser zur besseren Einschätzung vermittelt werden soll. Der Autor muss ich sich deswegen nicht von jedem die Geburtsurkunde zeigen lassen, um die Zielgruppe zu umschreiben.
Herzlichst Reinhard Berger
Ein Journalist besucht eine Veranstaltung. Er sieht und hört. Und schreibt. Er darf alles wiedergeben, was er wahrnimmt. So positiv wie Andreas Schmidt über Kaufmann schrieb, hätte ich ihn vielleicht nicht beurteilt. Sicher ist, die Damen überwiegen, sicher ist auch die älteren Damen überwiegen. In der Pause eines Konzerts vor ein paar Jahren hörte ich drei Damen über die künstlerische Leistung des Herrn Kaufmann diskutieren: Tja ich finde ja sein südliches Aussehen so angenehm, sagte eine und eine zweite fügte hinzu, diese Löckchen sind ja aus der Welt. Die dritte nickte begeistert und nahm ihren Espresso.
Würde Kaufmann nicht so gut ausgesehen haben wie er einst aussah (sieht immer noch ganz gut aus), dann wäre er in der Welt nie so weit gekommen und an einem großen deutschen Haus geblieben. Das Äußere ist leider sehr wichtig für viele. In New York hörte ich ganz ähnliches in einer Pause und mir wurde ganz anders, weil für mich nur die Stimme zählt und das schauspielerische Vermögen.
Andreas Schmidt soll uns alles berichten was er wahrnimmt. Das ist ehrlich.
Robert Forst
Herr Forst, Ihre Pausengeschichtchen sind sehr nett, allerdings nicht belegbar. Man kann viel erzählen. Ich möchte übrigens nicht wiedergeben, was ich an Äußerungen von Herren in der Pause von Garanča-Liederabenden gehört habe. Zum Fremdschämen. Oberflächliches Publikum gab und gibt es überall, dafür sind Künstler nicht verantwortlich, daher sollte man damit auch eine Kritik nicht verunzieren.
Simon Mortena