Jonny spielt auf – am Ende bleibt ein Gefühl der Leere, der Funke ist nicht übergesprungen

Jonny spielt auf, Oper von Ernst Krenek,  Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 31. März 2022

Foto: Elena Fink (Anita), Alexandros Tsilogiannis (Max), © Christian POGO Zach

„Die Schande von München“, erstmals in München aufgeführt im Jahre 1928, entfacht auch fast hundert Jahre später am selben Opernhaus einen handfesten Skandal

Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 31. März 2022

Jonny spielt auf
Oper von Ernst Krenek

von Barbara Hauter

„Jonny spielt auf“, die Erfolgsoper des jungen Komponisten Ernst Krenek aus dem Jahr 1927, gilt als Paradebeispiel für die Freiheit der Kunst. Und sie wirft auch im Jahr 2022 immer noch die Frage auf, was Kunst darf.

Das Werk gilt als erste Jazzoper und wurde weltweit zur Sensation, hatte 421 Aufführungen allein in der ersten Spielzeit. Es atmet den Geist der goldenen 20er des letzten Jahrhunderts, eine Zeit voller überbordendem Optimismus, Fortschrittsglauben, Verheißungen, Tabubrüchen. Jazzmusik war das Symbol dieser künstlerisch freien und wilden Periode. Krenek erfasste diesen Zeitgeist. „Jonny spielt auf“ ist eine rasante, burlesque Story über einen schwarzen Jazzmusiker, der dem Violinenvirtuosen Daniello sein kostbares Instrument entwendet und einer weißen Opernsängerin nachstellt.

Eine Jazzband spielt, die Protagonisten nehmen es mit der Treue nicht so genau, auf der Bühne tauchen neue technische Errungenschaften wie Automobil, Zug, Lautsprecher und Radio auf. Selbst die Rolle der Frau war sensationell: statt einer leidenden, sterbenden Hauptdarstellerin ist die Sopranistin in „Jonny spielt auf“ höchst selbstbestimmt und unterwirft sich keinem Mann. Das Stück war der Inbegriff der Moderne. Es gab atemberaubende Inszenierungen, die an die Grenzen des damals technisch Machbaren gingen.

Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
© Christian POGO Zach

Das alles hat den Nazis nicht gefallen: Als es 1928 im Münchner Gärtnerplatztheater aufgeführt wurde, kam es zu massiven Störungen durch braune Horden. Das Werk wurde als undeutsch diffamiert und verboten. Später erklärten es die Nazis zu dem Paradebeispiel für „entartete Musik“, zur Warnung mit einem herabwürdigenden Bild eines schwarzen Saxophonisten mit Judenstern.

Ludwig Mittelhammer (Jonny), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
© Christian POGO Zach

In Zeiten eines sich wieder regenden braunen Ungeistes ist es also höchst löblich, die heute selten gespielte Oper auf die Bühne zu bringen. Das Gärtnerplatztheater startet mit der Neuproduktion den Versuch, die damalige Situation zuzeiten der Münchner Erstaufführung von 1928 lebendig werden zu lassen. Eine in Teilen historische Inszenierung sozusagen. Undenkbar damals, einen Schwarzen die Rolle des Jonny spielen zu lassen. Selbstverständlich war der Jazzmusiker ein schwarz geschminkter Weißer. Regisseur Peter Lund hat nach reiflicher Überlegung und ausführlicher Diskussion mit People of Color entschieden, auch in seiner Produktion Blackfacing zu verwenden, statt einen dunkelhäutigen Sänger zu engagieren. Und damit handelte sich das Theater einen handfesten Skandal ein.

Blackfacing ist höchst umstritten, da es farbige Menschen verletzt. Letztlich musste sich das Gärtnerplatztheater dem Shitstorm beugen und in den folgenden Aufführungen auf das Blackfacing – auch als historisches Zitat – verzichten. Jonny wird von einem ungeschminkten Weißen gespielt, während die weißhäutigen Protagonisten leichenblass geschminkt wurden. Uns als Zuschauer hat das sehr beschäftigt. Auf der einen Seite sind die Gefühle zu achten. Auf der anderen Seite ist gerade das Gärtnerplatztheater ein weltoffener Ort, mit sehr reflektierten Kunstschaffenden, die eben nicht ausgrenzen und herabwürdigen. Einige Szenen erschienen uns mit dem weißen Jonny geradezu absurd. Der Ekel, den die Operndiva äußert, als der eigentlich Schwarze sich ihr nähert, wird in seiner rassistischen Dimension eben erst deutlich, wenn die Szene durch das Blackfacing zusätzlich gebrandmarkt ist.

Wer sich der Auseinandersetzung nicht stellen will, kommt bei Lunds Inszenierung trotzdem auf seine Kosten: „Jonny spielt auf“ ist temporeich und knallbunt in Szene gesetzt. Die skurrilen Kostüme scheinen direkt dem Kinofilm „Alice im Wunderland“ entsprungen. Die Protagonisten sind keine Menschen aus Fleisch und Blut sondern Karikaturen: Der übergewichtige jüdische Manager, die hochdramatische, ganz in rot gekleidete Operndiva, der Star-Geiger als André-Rieu-Verschnitt, der selbstmitleidige, schmächtige Komponist, der sich im Kontrast zur inszenierten Moderne in die Natur, sprich auf einen Gletscher zurückzieht.

Holger Ohlmann (Manager), Elena Fink (Anita), Juan Carlos Falcón (Bahnangestellter)
© Christian POGO Zach

Die Sänger sind in Höchstform. Komponist Max, normalerweise von Alexandros Tsilogiannis gesungen, wird vom halserkrankten Stammsänger nur gespielt. Vom Balkon ertönt die Stimme von Roman Payer, der bis Februar in Stralsund als Max auf der Bühne stand. Passend zum gefühlsduseligen, larmoyanten Komponisten lässt er seinen Tenor weich erklingen und erntet extra Applaus für sein gelungenes spontanes Einspringen.

Maria Celeng singt ihre Operndiva-Karikatur entsprechend schrill und ein wenig übertrieben – vergnüglich zum Bestaunen. Violinenstar Daniello wird vom souveränen Gärtnerplatz-Allrounder Mathias Hausmann ein wenig schmierig gegeben. Ludwig Mittelhammer als Jonny schafft es, seine Figur – der stehlende, lügende, klischeehafte Schwarze – sympathisch wirken zu lassen. Musikalisch leistet das Orchester Erstaunliches. Michael Brandstätter führt es von der präzisen, atonalen, kühlen Musik der damals modernen neuen Sachlichkeit perfekt zu jazzhaften Swingtönen.

Doch trotz der hohen musikalischen Qualität und der spannenden Aufführungsgeschichte bleibt am Ende ein Gefühl der Leere, der Funke ist nicht übergesprungen. Vielleicht hat dem Gärtnerplatztheater der Mut gefehlt, sich gänzlich zu positionieren und die zeitgemäße Brisanz des Themas herauszuarbeiten. Dabei ist die Frage, was Kunst darf, so aktuell wie 1928.

Barbara Hauter, 01. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Michael Brandstätter

Regie: Peter Lund

Choreografie: Karl Alfred Schreiner

Bühne: Jürgen Franz Kirner

Kostüme: Daria Kornysheva

Licht: Michael Heidinger

Videodesign: Meike Ebert / Raphael Kurig

Dramaturgie: Michael Alexander Rinz

Max: gespielt von Alexandros Tsilogiannis

gesungen von Roman Payer

Anita: Mária Celeng

Jonny: Ludwig Mittelhammer

Daniello: Mathias Hausmann

Yvonne: Judith Spießer

Manager: Holger Ohlmann

Hoteldirektor / Bahnangestellter: Juan Carlos Falcón

Erster Polizist: Caspar Krieger

Zweiter Polizist: David Špaňhel

Dritter Polizist: Manuel Winckhler

Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

INHALT

Der Jazzbandgeiger Jonny hat es auf die Geige des berühmten Violinvirtuosen Daniello abgesehen. Gerade als er derer in einem Pariser Hotel habhaft werden kann, kommt ihm Opernsängerin Anita in die Quere, die mit Daniello eine Liebesnacht verbringt, obwohl sie noch taufrisch mit dem Komponisten Max liiert ist. Kurzerhand versteckt Jonny das Instrument in Anitas Banjokasten und reist ihr zu Max hinterher, wo der Dieb die Geige endlich in seinen Besitz nehmen kann. In den Hochalpen treffen daraufhin alle Beteiligten ganz wie zufällig erneut aufeinander – und Jonny spielt auf!

In der Weimarer Republik das vielleicht erfolgreichste Bühnenstück nach der »Dreigroschenoper«, wurde diese rasante Gangsterkomödie ab 1933 von den Nazis gebrandmarkt und verboten. Der erst 27-jährige Krenek bildete in seiner »Zeitoper« die seinerzeitige Moderne ab und protestierte gleichzeitig gegen sie. Dafür nutzte er Jazz, Foxtrott und Tango, temporeiche Szenenwechsel und spektakuläre Schauplätze. Nach der skandalumtosten Münchner Erstaufführung von 1928 im Gärtnerplatztheater, begleitet von Morddrohungen, organisierten Störaktionen, Vandalismus und Schlägereien mit Polizeiaufgebot, kehrt »Jonny spielt auf« endlich wieder ans Haus zurück.

Hoffmanns Erzählungen, Musik von Jacques Offenbach, Staatstheater am Gärtnerplatz, Premiere A am 27. Januar 2022

Gian Carlo Menotti, Das Medium, Staatstheater am Gärtnerplatz, München, 02. November 2021

 

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