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José Carreras, „A life in Music“ – Abschiedskonzert
Laeiszhalle Hamburg, 20. Oktober 2016
„Gracias, José!“, schrie ein Mann aus Reihe 11. Das Publikum in der zu fast 90 Prozent ausverkauften Hamburger Laeiszhalle war sofort nach dem letzten Takt des Brindisi-Trinkliedes aus Verdis „La Traviata“ aufgestanden und bedachte José Carreras mit langem Applaus. Zuschauer reichten dem Tenor Blumen und eine Flasche Wein auf die Bühne. Als Dank bedachten der 69-Jährige und seine Mitstreiterin, die russische Sopranistin Venera Gimadieva, den Saal mit fünf Zugaben.
So endete ein gut zwei Stunden währender Abend in der Hamburger „Musikhalle“. Es war, wenn man dem Management des katalanischen Weltstars glauben mag, der letzte Auftritt des Tenors in der Hansestadt. Carreras befindet sich gerade mit dem Bohemia Sinfonieorchester Prag unter Leitung seines Neffen David Giménez auf Abschiedstour. „The final World Tour“ heißt dieser wohl finale Abschied, nachdem Carreras nach seinem Rücktritt vom Rücktritt (2009) seit 2014 in der Oper „El Juez“ des österreichischen Komponisten Christian Kolonovits in der Titelpartie des Richters Federico Ribas in Bilbao, St. Petersburg und im Theater an der Wien zu hören gewesen war.
Carreras wirkte auf der Bühne zart, scheu, ja fast zerbrechlich. Er beschränkte sich an diesem Abend vorwiegend auf spanische Lieder, Kanzonen und Musicaltitel, die dem Umstand Rechnung trugen, dass sein Stimmumfang inzwischen deutlich eingeschränkt ist. Ja, die Titel schienen so ausgewählt zu sein, dass der Tenor kein großes Risiko einzugehen hatte.
Bei seinem Auftritt in Stuttgart schrieben die Stuttgarter Nachrichten: „In Höhenlagen oberhalb des Notensystems wagt sich der Spanier nur selten vor, und wenn (wie in ‚Alma de Dios’ von José Serrano), dann nur mit einigem Kraftaufwand und deutlichen Atempausen um die Spitzentöne herum. Manchmal aber blitzt das jugendlich-elegante Timbre, der typisch sonnige Tonfall wieder auf, der den jungen Carreras ausgemacht hat, vor allem nach der Konzertpause in den beiden schlagerartigen Titeln ‚Lejana tierra mia’ von Carlos Gardel und ‚Passione’ von Nicola Valente.“
Musikalisch gesehen war Carreras’ Auftritt in der Hamburger Laeiszhalle kein Highlight. Bei den wenigen Passagen im höheren Register sang er meist sehr zögerlich und häufig zu tief, im tieferen Register fehlte ihm vollends das Volumen. Viele Spitzentöne sang er lieber gleich bis zu einer Oktave tiefer an. Dass er einmal ein ganz großer Sänger mit einem unvergleichlichen Timbre war, das klang erst ganz zum Schluss im „Klassik-Medley“ von Leonhard Bernstein über Franz Lehár bis Giuseppe Verdi an. Da zeigte sich: Hier, in dieser musikalischen Welt, war Carreras einmal zu Hause, hier kann er ganz mit Herz und Seele singen.
Das Publikum in der Laeiszhalle war von Carreras beeindruckt, auch wenn dessen Glanzzeit schon einige Zeit zurück liegt: „Wir sind begeistert, dass er noch einmal singt“, sagten Irene und Heinrich Meine aus Jork (Niedersachsen), beide 57. „Er ist zwar nicht mehr ganz so bei Stimme wie früher, aber immer noch eine Persönlichkeit auf der Bühne.“
Auch Renate Willeke aus Lübeck (Schleswig-Holstein), 68, die mit ihrem Mann Manfred, 65, angereist war, zeigte sich angetan: „Ich erwarte nicht die Stimme eines 40-Jährigen. José Carreras singt immer noch sehr schön.“
Katrin Weidtmann, 47, und Andreas Franke, 46, aus Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) waren sehr zufrieden: „Wir sind beide Carreras-Fans. Natürlich ist es für einen fast 70-Jährigen schwer, stimmlich mit dem Orchester mitzuhalten. Er muss haushalten, das ist normal.“
Für die künstlerisch stärksten Momente am Abend sorgte die aufstrebende russische Sopranistin Venera Gimadieva. Sie hat in diesem Jahr schon die Violetta in Verdis Oper „La Traviata“ am Royal Opera House London und an der Sächsischen Staatsoper in Dresden gesungen. Ihr agiler lyrischer Sopran stand Carreras’ sehr reifer Stimme jugendlich leuchtend gegenüber. Ihr Gesang ließ auch fast vergessen, dass das Bohemia Sinfonieorchester Prag zwar routiniert, aber ohne nennenswerte Differenzierung oder gar künstlerische Gestaltung sein Programm abspulte. David Giménez beschränkte sich aufs Taktieren, mehr nicht.
„Die Stimme eines Tenors liegt zwischen der eines Mannes und der eines Teenagers“, hat José Carreras einmal gesagt. Es sei unmöglich, die stimmliche Intensität eines jungen Mannes für immer zu erhalten. Das stimmt. So bleibt das außerordentliche Lebenswerk des Katalanen: Bereits 1976 sang Carreras unter Herbert von Karajan den Don Carlos in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper bei den Salzburger Festspielen. Es folgten Auftritte an allen großen Opernhäusern der Welt.
1987, auf dem ersten Höhepunkt der Karriere, die schlimme Diagnose: Blutkrebs. Carreras besiegte die Krankheit dank einer Knochenmarktransplantation, und es begann eine zweite Welt-Karriere in einer Zeit, als drei Tenöre Fußballstadien füllten und die Schallplattenfirma Decca über hundert Millionen Dollar mit einer Live-Konzertaufnahme in den Caracalla-Thermen während der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien verdiente. Eine Milliarde Menschen sollen diesen Auftritt im Fernsehen verfolgt haben.
Danach sang Carreras in unzähligen Stadien auf der ganzen Welt gemeinsam mit Luciano Pavarotti und Placido Domingo – vorwiegend berühmte Melodien aus der Welt der Tenor-Arien. „Die drei Tenöre“ begeisterten ein Millionen-Publikum. José Carreras, der jüngste im Bunde, hatte bereits 1988 die Carreras-Stiftung gegründet. Diese sammelte in den vergangenen zwei Jahrzehnten allein in Deutschland über 200 Millionen Euro für den Kampf gegen Leukämie und andere bösartige Blut- oder Knochenmarkerkrankungen.
Nach Auftritten in Berlin, Leipzig, Stuttgart und Hamburg folgen nun München, Mannheim und im Januar 2017 Frankfurt. „Die Konzerte seiner Final World Tour werden vermutlich die letzte Gelegenheit sein, den spanischen Startenor noch einmal live zu erleben“, sagen die Veranstalter.
„Vermutlich“.
Weitere Konzerte:
Dienstag, 25. Oktober 2016, München, Philharmonie, 20 Uhr
Montag, 31. Oktober 2016, Mannheim, Rosengarten, 20 Uhr
Sonntag, 15. Januar 2017, Frankfurt, Alte Oper, 20 Uhr
Mittwoch, 22. März 2017, Wien, Konzerthaus, 19.30 Uhr
Andreas Schmidt, 21. Oktober 2016
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