Im Theater an der Wien bezirzt Armida nicht nur Rinaldo

Joseph Haydn, Armida, Theater an der Wien, 21. Februar 2018

René Jacobs, Musikalische Leitung
Birgitte Christensen, Armida
Thomas Walker, Rinaldo
Robin Johannsen, Zelmira
Anicio Zorzi Giustiniani, Ubaldo
Magnus Staveland, Clotarco
Riccardo Novaro, IIdreno

Kammerorchester Basel

von Jürgen Pathy

Viva la Joseph Haydn! Hoch lebe der Meister der Wiener Klassik, der zu Unrecht ein Dasein im Schatten seiner Kollegen Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart fristet. Viel zu selten werden die unzähligen Meisterwerke des Altmeisters aus den verstaubten Tiefen der Schatzkisten gehievt, viel zu selten wird es ihnen vergönnt sich im Glanz der großen Bühnen zu sonnen. Zum Glück beschreitet das traditionsreiche Theater an der Wien seine eigenen Pfade und beschenkte das zahlreich erschienene Publikum mit der erfolgreichsten aller Haydn Opern: „Armida“

Um das Libretto rund um die Zauberin Armida und den ihr verfallenen, beinahe abtrünnig gewordenen Kreuzritter Rinaldo umzusetzen, wurde der belgische Dirigent und Countertenor René Jacobs, 71, in das Haus an der Linken Wienzeile geladen.

„Bei einer Oper ist nicht nur die musikalische Qualität entscheidend, sondern auch die Geschichte“, sagt der in Gent geborene Echo Klassik und Grammy Gewinner. „Was kann man heute mit dem Libretto machen, wie könnte man es für ein modernes Publikum umsetzen – und wenn ich das überhaupt nicht sehe, dann lass ich es sein“, fährt er fort.

Das „Drama Eroico“ in drei Akten basiert auf Torquatto Tassos Epos „Das befreite Jerusalem“ und spielt vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Ersten Kreuzzuges (1096-1099) – Kreuzritter sind auf dem Weg die heilige Stadt zu befreien und belagern die heidnische Stadt Damaskus. Was René Jacobs nun bewogen haben könnte diese Opera Seria umzusetzen, bietet Spielraum für Spekulationen: War es die aktuell hochbrisante Lage im Nahen Osten, die umwerfende Musik oder beides?

Noch vor Beginn der konzertanten Aufführung betritt der 2022 scheidende Intendant Roland Geyer, 65, die Bühne und verkündet, der Grippeteufel habe erneut zugeschlagen: der Bariton Riccardo Novaro (Idreno) könne dennoch auftreten aber seine zwei Soloarien würden gestrichen.

Idreno, der König von Damaskus, beauftragt seine Nichte Armida mit einem hinterlistigen Plan. Mit ihrem magischen Liebreiz soll sie die besten Kreuzritter in ihr Zauberschloss locken, sie erotisch benebeln und zum Überlaufen ermutigen. In der virtuosen Titelrolle kann die Sopranistin Birgitte Christensen mit ihrer reifen, vollmundigen Stimme überzeugen. Im dritten Akt muss sie der anspruchsvollen Rolle zwar ein wenig Tribut zollen, dennoch ist es ein wahrer Hochgenuss der 1972 geborenen Norwegerin bei der Arbeit lauschen zu dürfen.

Nicht nur das Publikum verfällt ihren magischen Koloraturen, sondern auch der Kreuzritter Rinaldo, der sich der erotischen Magie nicht verwehren kann und sich der gegnerischen Seite anschließt. Er wäre der Einzige, der den magischen Myrtenbaum fällen könnte, der den Zauberwald beschützt, mit dessen Holz die heiligen Krieger aus dem Abendland einen erheblichen Vorteil genießen würden. In die Rolle des zwischen Liebe und Pflichtbewusstsein hin und her gerissenen Rinaldo schlüpft der schottische Tenor Thomas Walker, der laut einem Interview erst relativ spät seine stimmlichen Qualitäten erkannte: „Als ich herausfand, dass ich eine gute Stimme habe, war ich bereits einundzwanzig“.

Zu Beginn seines Auftrittes lässt er diese Qualitäten jedoch vermissen. Nervös und verkrampft tritt der Barde in das Rampenlicht und wirkt bei den halsbrecherischen Koloraturen seiner ersten Arie „Vado a pugnar contento“ völlig überfordert. Zur Freude aller Anwesenden kann er sich immens steigern und berauscht gemeinsam mit seiner Armida im Liebesduett „Cara, saro fedele“, mit dem Joseph Haydn seinen beiden Titelhelden stimmlich alles abverlangt. Das Publikum honoriert mit dem energischsten Szenenapplaus.

Um nichts hinten nach stehen die weiteren Rollen: die beiden Ritter Ubaldo und Clotarco wurden vom Heerführer Gottfried von Bouillon entsandt, um Rinaldo aus den Zauberfängen der Armida zu entreißen. Als Ubaldo beeindruckt der italienische Tenor Anicio Zorzi Giustiniani mit einem kernigen Timbre und ausdrucksstarkem Schauspiel. Kurz aber gelungen der Clotarco des norwegischen Tenors Magnus Staveland.

Last but not least hat sich die us-amerikanische Sopranistin Robin Johannsen Lorbeeren verdient. Sie mimt eine großartige Zelmira, die mit ihrer energischen Stimme nicht nur Clotarco mit der Arie „Se tu seguir mi vuoi“ zu bezirzen weiß, sondern auch im letzten Akt mit der Arie „Torna pure al caro bene“ noch einmal eine Duftmarke setzt. Mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrer Ausstrahlung könnte sie mit Sicherheit auch in der Operette für Furore sorgen.

Für die malerische Umsetzung des reich gestalteten Orchestersatzes sorgt das Kammerorchester Basel, eines der führenden Ensembles des internationalen Musikbetriebs. In Zeiten des Gender-Mainstreams ist der Baseler Klangkörper mit genau fünfzig Prozent Frauenquote ein Vorzeigemodell. Grandios, wie das Ensemble die hinreißende Musik Joseph Haydns zum Leben erweckt, eine samtweiche und süß duftende Klangwolke erzeugt, auf der die hoch virtuosen Gesangseinlagen sanft in den Saal entschweben können. Nichts wirkt grob, alles wird mit feinen Pinselstrichen gemalt.

Selbst Wolfgang Amadeus Mozart hätte das Werk, das am 26. Februar 1784 im Rokkokoschloss Esterháza mit großem Erfolg uraufgeführt wurde, nicht umwerfender vertonen und orchestrieren können. Auch René Jacobs zollt dem österreichischen Komponisten Joseph Haydn großen Respekt – beim ausgiebigen Schlussapplaus deutet der Belgier nachdrücklich auf das Libretto. Die Musiker liegen sich in den Armen. Von der unnachahmlichen Atmosphäre des kleinsten Wiener Opernhauses erwärmt, kann das Publikum bedenkenlos in das spätwinterliche Wien entlassen werden.

Nach Warschau und dem Theater an der Wien gastiert das eingespielte Künstlergespann noch einmal am 23. Februar in Basel.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 22. Februar 2018
für klassik-begeistert.at

 

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