Umjubelte „Schöpfung“ in Bregenz: Haydns Meisterwerk ist der musikalische Höhepunkt der Festspiele

Joseph Haydn, Die Schöpfung,  Bregenzer Festspiele, 26. Juli 2021

Foto: © Bregenzer Festspiele / Dietmar Mathis

Bregenzer Festspiele, Konzert im Festspielhaus, 26. Juli 2021

Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ gilt als Opus Magnum, als Höhepunkt im Schaffen des österreichischen Barock-Komponisten.  Die Entscheidung, mit dieser Krönung in Haydns Schaffen dem musikalischen Programm der diesjährigen, nach einjähriger Corona-Quarantäne wieder stattfindenden Bregenzer Festspiele gleichsam die Krone aufzusetzen, war folgerichtig, ja fast zwingend.

von Charles E. Ritterband

Es war nicht nur der (bisherige, denn es steht ja noch „Rheingold“, halb-szenisch inszeniert, auf dem Programm) Höhepunkt der Festspiele – es war auch sozusagen das Festkonzert zu deren 75-jährigem Jubiläum. Dass dabei das Hausorchester der Festspiele, das „Orchestra in Residence“, die Wiener Symphoniker, in großer Besetzung ihren glanzvollen Auftritt hatten, war selbstverständlich. Und die „Schöpfung“ hat auch eine symbolische Bedeutung, nämlich die Neu-Schöpfung, nachdem die Kunst, zumindest direkt vor Publikum, mehr als ein Jahr lang aussetzen musste.

Vor allem zwei Sänger begeisterten an diesem Abend, der vom Publikum mit nicht enden wollendem Applaus goutiert wurde: Shira Patchornik mit ihrem strahlenden, herrlich leuchtenden Sopran und den mit präziser Stimmakrobatik gemeisterten Koloraturen. An ihrer Seite, mit augenzwinkerndem Humor der sonore Bassbariton Florian Boesch, eine Berühmtheit in allen Konzertsälen. Exzellent, aber in seiner Rolle als dritter Erzengel notgedrungen an dritter Stelle positioniert und daher an Glanz hinter seinen beiden Kollegen zurückstehend, der Tiroler Patrik Reiter.

© Bregenzer Festspiele / Dietmar Mathis

Hervorragend die groß besetzten Chöre, der Bregenzer Festspielchor und der Chor des Theaters am Kornmarkt, Bregenz. Über die Wiener Symphoniker, die in Bregenz ihre zweite musikalische Heimat haben, lässt sich nur Lobendes sagen: Das Dirigat des Kolumbiers Andrés Orozco-Estrada, seit 2021 Chefdirigent der Symphoniker (und erster Gastdirigent des London Philharmonic Orchestra) leitete diesen Klangkörper gleichermaßen mit südamerikanischem Temperament und europäischer Subtilität.

Das indirekt von Händels großen Oratorien im April 1798 – wohl nicht zufällig in den Revolutionsjahren Europas – in Wien uraufgeführte Werk stieß bei seiner Erstaufführung im damaligen Stadtpalais Schwarzenberg – obwohl in geschlossener Gesellschaft – auf derart immenses öffentliches Interesse, dass Dutzende von Gendarmen und berittene Polizisten aufgeboten werden mussten, um Ruhe und Ordnung zu gewährleisten.

© Bregenzer Festspiele / Dietmar Mathis

Mich persönlich berührt dieses Werk wohl wie kein zweites: Der Zuhörer wird buchstäblich von einem Lichtstrahl geblendet, wenn der Chor „Es werde Licht! Und es ward Licht“ intoniert und das Orchester sich mit gewaltigen Klängen aus dem Dunkel der Nacht vor der Schöpfung emporschwingt. Fast schmerzt es mich, wenn hier die Schönheit der Welt nach dem Schöpfungsakt besungen wird – und ich mir die vielfältigen, unwiderruflichen Zerstörungen an dieser Welt zwei Jahrhunderte später vor Augen halte. Doch am meisten berührt mich das Duett von Adam und Eva – es ist das zärtlichste Bekenntnis zu Mann und Frau, das ich kenne:

„Holde Gattin! Dir zur Seite fließen sanft die Stunden hin, Jeder Augenblick ist Wonne, keine Sorge trübet sie.

Teurer Gatte! Dir zur Seite schwimmt in Freuden mir das Herz. Dir gewidmet ist mein Leben, deine Liebe sei mein Lohn.“

Dr. Charles E. Ritterband, 27. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Foto: Charles E. Ritterband

Musikalische Leitung: Andrés Orozco-Estrada

Choreinstudierung: Benjamin Lack

Shira Patchornik   Sopran

Patrik Reiter   Tenor

Florian Boesch   Bassbariton

Wiener Symphoniker

Bregenzer Festspielchor

Kornmarktchor

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