„Die Schöpfung" im Musikverein Wien: Yutaka Sado erschafft grazile Wesen

Joseph Haydn, Die Schöpfung. Oratorium in 3 Teilen, Musikverein Wien, 28. September 2018

Foto: Tonkünstler-Orchester 2018  © Martina Siebenhandl
Joseph Haydn, Die Schöpfung. Oratorium in 3 Teilen, Hob. XXI:2,
Musikverein Wien, Großer Saal, 28. September 2018

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
RIAS-Kammerchor
Yutaka Sado, Dirigent
Christina Landshamer, Sopran
Maximilian Schmitt, Tenor
Jochen Schmeckenbecher, Bariton

von Jürgen Pathy

Skurriles ereignet sich dieser Tage in der Musikhauptstadt. Wozu nicht einmal der Allmächtige in der Lage ist, scheint im sonst so morbiden Wien dieser Tage kein Problem darzustellen – innerhalb weniger Tage vollzieht sich die Schöpfungsgeschichte bereits zum zweiten Mal: Nachdem zu Beginn der Woche Teodor Currentzis fremde Wesen aus dem Ural und der Akropolis in das Wiener Konzerthaus schleuste, erblicken unter den Fittichen Yutaka Sados, 57, grazilere Pflanzen und Lebewesen das Antlitz des edlen Musikvereins.

Yutaka Sado © Peter Rigaud

Als göttliches Werkzeug dienen dem japanischen Dirigenten die Musiker des Tonkünstler Orchesters Niederösterreich, die der allseits beliebten „Schöpfung“ Joseph Haydns einen himmlischen Anstrich verleihen. Obwohl die ersten Geigen – überwiegend mit blutjungen Musikerinnen besetzt – nicht durchwegs einen butterweichen Klang erzeugen, erschaffen das Ensemble und deren Chefdirigent nach nur drei Tagen der Vorbereitung ein beruhigendes Aquarellbild, in dem zarte, helle Pastellfarben den Ton angeben. Durchbrochen wird der Frieden nur durch grobe Farbkleckse, die das Blech unfreiwillig in das idyllische Bild patzt.

Harmonischer fügen sich die überirdischen Kommentatoren des apokalyptischen Ereignisses in das pastöse Klangbild – die drei Erzengel Gabriel, Uriel und Raphael rezitieren meist Verse aus der Genesis, dem ersten Buch Mose.

Christina Landshamer © Marco Borggreve

Als Erzengel Gabriel grüßt die Münchner Sopranistin Christina Landshamer, 41, lerchenhaft den Morgen, erweckt zärtlich girrend die Liebe des Taubenpaares und lässt aus jedem Busch und Hain lyrisch die süße Kehle der Nachtigall erschallen. „Gott sah das Licht, dass es gut war“, verkündet der Erzengel Uriel alias Tenor Maximilian Schmitt, dessen Verkündigungen der biblischen Werke jedoch nicht immer dem Heiligen gerecht werden können. Umso überzeugender hallen die göttlichen Botschaften des Erzengels Raphael in den ehrwürdigen Hallen des Wiener Musiktempels, die der deutsche Bariton Jochen Schmeckenbecher, 51, ausdrucksstark und mit perfekter Artikulation in die Welt posaunt.

Als himmlische Verkünder erweisen sich die Damen und Herren des glänzenden RIAS-Kammerchors.

Auch wenn der Musikverein momentan teilweise vom göttlichen Schatten des Wiener Konzerthauses verdeckt wird, dürfen sich alle Bewohner Wiens privilegiert fühlen – nicht nur aufgrund der enormen Dichte hochkarätiger Musiker, sondern auch des Protektorats der vielen Götter, Halbgötter und Erzengel wegen, die zurzeit in der wunderschönen Musikhauptstadt weilen.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 29. September 2018
für klassik-begeistert.de

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