Joshua Bell verzaubert die Elbphilharmonie

Joshua Bell, NDR Elbphilharmonie Orchester, Krzysztof Urbański,  Elbphilharmonie Hamburg, 12. Dezember 2019

Bildquelle: Joshua Bell

Elbphilharmonie Hamburg, 12. Dezember 2019

Joshua Bell Violine

NDR Elbphilharmonie Orchester
Dirigent Krzysztof Urbański

von Ulrich Poser

Der wunderbare Abend begann vielversprechend mit Ligetis Atmosphères für großes Orchester. Diese aus Stanley Kubricks „2001 – Odysee im Weltraum“ bekannte Komposition transferierte den Zuhörer von Takt 1 an, wie gleichsam den einsamen Astronauten aus dem Kinoerfolg, weit weg von der Erde in andere Dimensionen. Irgendwohin ins Weltall. Die von Ligeti selbst so bezeichnete Mikropolyphonie aus der „mikroskopischen Unterwasserwelt“ war in höchstem Maße synästethisch-assoziativ: Man sah farbige Bienenschwärme, die über diffuse Wolkengebilde in Richtung Weltall aufbrachen. Eine Reise zu fernen Planeten, ganz ohne LSD!

Das NDR Elbphilharmonie Orchester war unter der Leitung von Krzysztof Urbański bestens disponiert. Zärtlicher kann man Ligetis 4-P-Klangwolken und Unterwasser-Soundeskapaden nicht in den Saal hauchen.

Nach diesen betörenden 9 Minuten kam der 1962 geborene Amerikaner Joshua Bell, der (zumindest von Block E aus betrachtet) 20 Jahre jünger aussieht, auf die Bühne. Bell spielt übrigens eine 1713 gebaute Stradivari, die einem der späteren Eigentümer im Jahr 1936 aus der Garderobe der New Yorker Carnegie Hall gestohlen wurde. Der Dieb behielt sie bis zu seinem Tode 1985 und gestand seiner Ehefrau die Tat erst auf dem Sterbebett. Joshua Bell erwarb das wertvolle Instrument dann im Jahre 2001. Eine juristisch durchaus interessante Historie.

Jean Sibelius hat die finnische Natur mit all ihren Schönheiten und Katastrophen in seinem Violinkonzert d-moll op. 47 zur Grundlage erhoben. Ebenfalls höchst assoziativ, schwebt die spätromantische Violine vom ersten Ton an über den 3 Sätzen. Joshua Bell überzeugt in dem einzigen Solokonzert von Jean Sibelius mit einem wunderbar weich-schmeichelnden Ton, der an das geniale Spiel der ganz Großen, z.B. von Itzak Perlmann erinnert. Fernab von jeglichem Kitsch betört Bell, der natürlich auch zu den ganz Großen in seinem Genre gehört, das Haus mit schwindelerregender, unfassbarer Virtuosität, die sprachlos macht. Was für ein wunderbarer Abend; Paganini lebt!

Als Zugabe  folgte eine eigene Bell-Bearbeitung einer Nocturne von Chopin. Wohlklang par excellence, für den Bell völlig zu recht frenetischen Applaus und diverse Bravos erntete.

Krzysztof Urbański ist ein Dirigent der kleinen Gesten und u.a. deshalb gehört er auch zu den ganz Großen. Die akkuraten Einsätze garantiert er durch äußerst präzise Anleitung der an diesem Abend bestens disponierten Musiker. Das war wieder einer der Abende, an dem sich viele großartige Einzelleistungen zu einem Genialen verdichten.

Nach der Pause wurde die Sinfonie Nr. 3 h-Moll op. 45 des wiederentdeckten polnisch-jüdischen Komponisten  Mieczyslaw Weinberg gegeben. Der Schostakowitsch-Liebhaber musste nach dem Überfall Polens durch die deutsche Wehrmacht 1939 in die Sowjetunion (UdSSR) fliehen. In Minsk studierte er Komposition, zog dann aber wegen der auch dorthin heranrückenden Deutschen gezwungenermaßen ins usbekische Taschkent weiter. 1943 besorgte ihm der mittlerweile zum Freund gewordene Schostakowitsch eine Aufenthaltsgenehmigung für Moskau, wo er, trotz teilweise erheblicher Repressalien durch das brutale Regime Stalins bis 1953, bis zu seinem Lebensende 1996 lebte.

Die Musik der 3. Sinfonie erinnert teilweise an Schostakowitsch, enthält aber auch Anleihen an einfache russische Volksweisen. Gerade die Dynamik zwischen leisen sphärischen Glockentönen und Fortissimo-Tutti-Attacken macht die Komposition mit ihren eingängigen Melodien durchaus hörenswert. Fast mag es scheinen, als hätte Weinberg die Fantasie des Guten mit der Realität des Bösen zu einem Ganzen verwoben.

Alles in allem ein sehr lohnender Abend. Die den Rezensenten begleitende Wolfsfrau war im Grunde gleicher Meinung, merkte jedoch an, dass das Orchester teilweise „holzig“ klang. Was auch immer sie damit gemeint haben mag: Von dieser Feststellung distanziert sich der Autor hiermit ausdrücklich.

Ulrich Poser, 13. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert