Foto: Simon Pauly (c)
Händel-Festspiele Halle 2018
Teil II
Die Konzerte
von Andrea Bauer
Im Vordergrund des Podiums liegt ein Mann mit nacktem Oberkörper zusammen gekrümmt, er wird später aufstehen und tanzen. Ein dumpfes Dröhnen hängt in der Luft. Die Hauptperson des Abends sieht man erst auf den zweiten Blick: Joyce DiDonato, zu Beginn noch hinter dem Orchester, bewegt sich zu den ersten Klängen nach vorne.
Die Mezzosopranistin präsentierte sich in Halle, wo ihr der diesjährige Händelpreis verliehen wurde, mit keinem gewöhnlichen Konzert, sondern einer aufwendigen Performance, die der Regisseur Ralf Pleger für sie zu dem Motto ihres jüngsten Albums „War and Peace“ entworfen hat. Die Optik dieser Show bestimmen viele abstrakte, frei assoziierte Videoprojektionen, vor allem wo es um Krieg geht, flimmert und blitzt es um die Sängerin herum, und dann und wann taucht Pleger die Bühne ganz in Rot (Videodesign: Yousef Iskandar, Lichtdesign: Henning Blum).
Es lässt sich darüber streiten, ob Sänger heutzutage ihre Recitals so inszenieren müssen, um sich die Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern. In der Tat lässt das Interesse besonders bei Liederabenden erschreckend nach. Wiederum in einem Festival wie Halle, wo die Händelenthusiasten – darunter auch Donna Leon- von weither, sogar aus Australien, anreisen, hätte es einer solchen spektakulären Show weniger bedurft. Zumal sich der Eindruck einstellt, dass kommerzielle Aspekte hier wichtiger waren als künstlerische Entscheidungen. Jedenfalls wirkten die am modernen Tanz orientierte Choreografie von Manuel Palazzo und die von Vivienne Westwood entworfene Hautcouture für Joyce DiDonato etwas beliebig.
Geniale Musik, dieses Fazit drängte sich damit auf, bedarf keiner Illustration, schon gar nicht, wenn sie derart schön und berührend vorgetragen wird.
Aber was Joyce DiDonato und das Ensemble Il Pomo d’oro unter der Leitung von Maxim Emelyanychev musikalisch hier boten, ist kaum zu toppen. – Das beginnt schon damit, dass die Amerikanerin, wie in den „Scenes of horror“ („Jephta“) zu erleben, ihren großen Mezzo schlank und sicher durch alle Register zu führen versteht.
Aber wie stark berührt einen diese Sängerin erst, wenn sie ganz im Piano und mit dem Ausdruck großer Schwermütigkeit eine von Händels schönsten Arien anstimmt, das Lamento „Lascia ch’io pianga“. Da liegt in jeder Phrase eine tiefe Traurigkeit, dringen die besungenen Tränen mitten ins Herz. Wer solche strahlendklaren, leisen, schönen Kopftöne hervorzubringen vermag, gilt zurecht als eine der besten Mezzosopranistinnen unserer Zeit.
An dem Abend gibt es freilich noch andere Darbietungen, die in dieser Qualität nicht allzu oft geboten werden, die „Pensieri“-Arie der Agrippina zum Beispiel. Harte, aggressive Streicherakkorde leiten sie ein. Der erste gesungene Ton kommt dann so leise wie aus dem Nichts, und dann bewältigt diese phänomenale Sängerin die endlos anmutende lange Phrase ergreifend auf einem einzigen Atem. Da sitzt man, zutiefst bewegt, mit offenem Mund: Wie schafft sie das nur?
Aber auch das Ensemble Il Pomo D’Oro empfiehlt sich als ein außergewöhnlich exquisiter Klangkörper, der sich aus vielseitig ausgebildeten Musikern rekrutiert, die offenbar nicht nur ein Instrument beherrschen: Mit der größten Selbstverständlichkeit wechselt da überraschend eine Geigerin vom hintersten Pult zur Sopranino-Blockflöte, um in einem hinreißenden Zwiegesang mit Joyce DiDonato wie ein Vögelchen zu tirilieren, auswendig, versteht sich.
Verunglückt wirkte dagegen der Auftritt Ralf Plegers als Laudator. In seinem legeren Aufzug mit Schirmmütze machte er schon äußerlich keine gute Figur, als Redner erging er sich nur in Allgemeinplätzen.
Dank Joyce DiDonato klang der Abend aber musikalisch bestens aus, mit dem „Morgen“, einem der schönsten Lieder von Richard Strauss, überirdisch schön gesungen.
Solche Kopftöne, von denen dieses Lied durchdrungen ist, die DiDonato aufzubieten weiß, stehen der Sopranistin Sophie Karthäuser, die zu den besten Mozart-Sängerinnen ihrer Generation zählen soll, seltener zu Gebote.
Die Belgierin präsentierte sich mit der Capella Augustina unter Andreas Spering in einer Matinee. Das Programm wirkte hier jedoch weniger ausgewogen, da die rein instrumentalen, mehrsätzigen Concerti Grossi zwischen den ausgewählten Arien größeren Raum einnahmen als der Gesang. Wer vor allem der Sängerin wegen gekommen war, sah sich diesbezüglich ein wenig enttäuscht.
Aber vermutlich liegt die Ursache dafür auch in Karthäusers Technik. Bisweilen, vor allem in der Höhe strapaziert sie ihren Sopran, so dass sich Schärfen einschleichen. Davon muss sich die Stimme erst einmal erholen. In den mittleren Registern klingt sie zudem bisweilen ein bisschen zu dick und das Vibrato nicht besonders schön gemessen an zahlreichen anderen herausragenden, weniger namhaften Sopranistinnen, die sich am Eröffnungswochenende in Halle versammelten.
Großer Beifall ist Karthäuser dennoch gewiss, vielleicht auch deshalb, weil sie sich mit Haut und Haaren für den Ausdruck und die Affekte in den ausgewählten Arien aus den Opern „Giulio Cesare“, „Faramondo“ und „Orlando“ verzehrt, mit Hingabe singt und in der Höhe mit großem Volumen triumphiert. Am besten gelingt ihr Cleopatras Arie „Se pietà di me non senti“, da erstrahlen im Mittelteil dann doch einmal leise Töne von großer Zärtlichkeit.
Zu einem Höhepunkt am ersten Wochenende avancierte schließlich eine Aufführung des Oratoriums „Samson“ in einer Einstudierung des exquisiten schottischen Dunedin Consorts unter der Leitung von John Butt.
Samson, oder Simson, wie er im Alten Testament auch heißt, ist jener Held, der im Zuge des Verrates seiner Frau Dalila von den Philistern gefangen genommen, geblendet und geschoren wurde, seine Kraft aber wiedererlangte, nachdem sein Haar wieder gewachsen war und schließlich selbst zu Tode kam, als er einen Philistertempel zum Einsturz brachte.
Händel verlangt seinem Helden viel ab, beschäftigt ihn viel und mit teils sehr virtuosen Arien.
Tenöre, die solchen Ansprüchen gewachsen sind, lassen sich heutzutage schwer auftreiben. Aber hier war mit dem Briten Joshua Ellicott ein grandioser Traumtenor an Bord. Groß und schlank ist seine Stimme, dazu geschmeidig und wohltönend, und sogar seine Koloraturen singt er mit einem selten gehörten wunderbaren Legato.
Ebenso Gutes lässt sich über die beiden Bässe Matthew Brook – in der Rolle von Samsons Vater- und Vitali Rozynko – als Samsons Herausforderer Harapha- sagen. Alle beide verfügen über profunde große Stimmen, singen kultiviert, textverständlich und durchleben aufwühlend ihre Seelenzustände.
Und dann fand sich in diesem superben Ensemble, seitens der Frauen von Jessica Dandy angeführt, eine Altistin mit feinen, lyrischen Stimmgaben, noch eine Sopranistin mit einer engelsgleichen, kristallinen, hellen Stimme. Ihr, deren Name im Programmheft leider vergessen wurde, waren nur die kleineren Nebenpartien einer Philisterin und einer Israelitin vorbehalten, was für ein Luxus!
Andrea Bauer, 30. Mai 2018, für
klassik-begeistert.de