Werther konzertant: Ein Abend, der bis zur letzten Minute in Romantik und Schwermut zu Herzen geht

Jules Massenet, Werther  Konzertante Premiere an der Deutschen Oper Berlin, 23. Juli 2025

Werther konzertant © Bettina Stöß

Die meisten Zuschauer waren wegen Tenorstar Jonathan Tetelman gekommen, der sich aber nicht als einziges Glanzlicht empfahl. Vielmehr stand ihm mit der russischen Mezzosopranistin Aigul Akhmetschina eine mindestens ebenso treffliche Charlotte als große Entdeckung des Abends zur Seite.

Das Orchester der Deutschen Oper dynamisierte unter Enrique Mazzola so feinnervig und farblich nuanciert wie lange nicht mehr.

Werther (konzertant)
Jules Massenet (1842 – 1912)

Drame lyrique in vier Akten
Libretto von Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann nach dem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe
Uraufführung am 16. Februar 1892 in Wien

Werther   Jonathan Tetelman
Charlotte   Aigul Akhmetshina
Albert   Dean Murphy
Sophie   Lilit Davtyan

Dirigent   Enrique Mazzola
Orchester und Kinderchor der Deutschen Oper Berlin

Konzertante Premiere an der Deutschen Oper Berlin, 23. Juli 2025

Von Kirsten Liese

Konzertante Aufführungen erweisen sich doch oftmals als äußerst dankbar!! Die Konzentration liegt ganz und gar auf der Musik, das Risiko unsinniger Inszenierungen entfällt und noch dazu wird viel Geld für störenden Regie-Murks gespart. Das trifft sich in Zeiten großer Sparvorgaben ideal. Zumal gerade Massenets „Werther“ nach Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ an der Deutschen Oper Berlin schon einmal szenisch in die Binsen ging. Ältere Zuschauer werden sich vielleicht noch daran erinnern – es muss irgendwann in den 1980er Jahren gewesen sein – als Massenets tragisches Liebesdrama in einer hässlichen Waschküche ihren Lauf nahm.

Mithin hat die Deutsche Oper mit ihrem konzertanten Saisonabschluss mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wobei noch hinzukommt, dass konzertante Aufführungen längst nicht mehr statisch wie ein Oratorium anmuten, ein wenig Spiel ist immer dabei. Meist durchleben die Sänger auf natürliche Weise ihre Figuren, ohne dass sie dazu eines Regisseurs bedürfen. An diesem Premierenabend gelang das besonders eindringlich.

Stimmliche Exzellenz

Die meisten Zuschauer in der nicht restlos ausverkauften, aber sehr gut besuchten Deutschen Oper sind natürlich des Tenorstars Jonathan Tetelman wegen gekommen wie ich auch.  Der löst die hohen Erwartungen vollends ein, zur Überraschung vieler ist er aber nicht das einzige Glanzlicht dieser Aufführung, vielmehr steht ihm mit der russischen Mezzosopranistin Aigul Akhmetschina eine Charlotte zur Seite, die stimmlich mindestens ebenso grandios singt. Und auch in allen übrigen Partien sind exzellente Sängerinnen und Sänger zu erleben, deren Namen – das muss ich bekennen – mir noch nicht zuvor untergekommen waren.

Werther konzertant © Bettina Stöß
Tetelmans Paraderolle

Werther ist eine anspruchsvolle, dankbare große Rolle, die einem Startenor Gelegenheit bietet, alles zu zeigen, was er drauf hat. Zudem steht die Figur des unglücklichen, leidenschaftlich für die anderweitig vergebene Charlotte entflammten Liebenden Tetelman wie auf den Leib geschrieben. Mit großem Volumen bewegt er sich agil und sicher durch alle Register, sein Tenor tönt dabei stets schlank und geschmeidig, wenngleich in der Mittellage ein bisschen glanzlos. Aber wenn er in sehr dramatischen Momenten seinen unendlichen Schmerz entlädt, besitzen seine Spitzentöne eine eindringliche Wucht. Und solche Stellen mit langen Tönen in extremer Lage gibt es viele in der Partitur. Tetelman meistert sie ohne Schärfen.

Große Gefühle

Bei alledem wirkt seine Leidenschaft nicht wie eine bloße Behauptung, vielmehr erweckt er den Eindruck, er lege seine Seele offen. Jedenfalls fiebert und geht man ganz und gar mit seiner emotionalen Folter mit, die dann groß ist, wenn Charlotte ihn auffordert, sich nach einer anderen Frau umzuschauen. Nein, sein Herz gehört ganz allein ihr, es lässt sich auf keine andere übertragen. Dass sie einem anderen gehört, stürzt ihn in tiefe Verzweiflung.

Werther konzertant © Bettina Stöß

Einfach Wahnsinn, wie sich dieser Mann stimmlich verausgabt, den ganzen Abend über gestaltet er seine solistischen Szenen und Duette mit voller Kraft. 

Aber auch auf lyrischen Feinsinn an den leisen Stellen versteht sich der chilenische US-Amerikaner, der bei alledem sehr gut aussieht und den Eindruck erweckt, als sei er gerade tatsächlich unsterblich verliebt.

Große Entdeckung: Aigul Akhmetschina

Aigul Akhmetschinas Charlotte zeigt sich vorerst aufgrund ihrer misslichen Lage noch zurückhaltender. Was sie innerlich empfindet, dass sie die Gefühle des jungen Werther durchaus insgeheim erwidert und sich um ihn, der seiner unerfüllten Liebe wegen sterben will sorgt, offenbart sich erst im letzten Akt.

Die Russin entpuppt sich als große Entdeckung des Abends, rund, sinnlich, glutvoll tönt ihr Mezzo, bisweilen sogar noch schöner als Tetelmans Tenor.

Werther konzertant © Bettina Stöß

Wunderbar homogen verbinden sich die Stimmen des auch seitens ihrer Erscheinungen glaubwürdigen Paars.

Ihr letztes großes Duett, in dem sie Werther, der sich selbst getötet hat, im Sterben küsst, ist durchdrungen von tiefster Hingabe und emotionalen Exklamationen, die aufwühlen.

Reife Ensembleleistung

Eine bezaubernde, gänzlich andere Duftmarke an den Rändern dieser Tragödie steuert die Armenierin Lilit Davtyan als Charlottes Schwester Sophie mit ihrem silbern schimmernden Sopran bei, Dean Murphy gibt mit seinem profunden, großen geschmeidigen Bariton jenen Albert, den Charlotte ihrer Mutter am Sterbebett versprechen musste, zu heiraten.

Werther konzertant © Bettina Stöß

Unter den übrigen kleineren Partien ist noch Michael Bachtadze als Vater der Schwestern Charlotte und Sophie hervorzuheben, der die Oper zusammen mit dem ein Weihnachtslied vortragenden Kinderchor der Deutschen Oper (Einstudierung: Christian Lindhorst) stimmungsvoll anstimmt.

Orchester der Deutschen Oper lange nicht mehr so gut

Bei alledem dynamisiert das Orchester der Deutschen Oper unter Enrique Mazzola so feinnervig und farblich nuanciert wie lange nicht mehr. Mal sehr filigrane Streichermusik wird da hörbar mit hauchfeinen Soli des Konzertmeisters, mal großes Melos in den leidenschaftlich aufspielenden Celli.

Wie schön, dass mit dem Orchester jedenfalls wieder einmal ordentlich gearbeitet wurde, nachdem man zeitweise den Eindruck gewinnen musste, dass Donald Runnicles, der scheidende GMD, in seinen letzten Jahren mit dem Opernorchester doch mehr an der Oberfläche im Grobstofflichen blieb.

Ein erfreulicher Abend also rundum, der bis zur letzten Minute in all seiner Romantik und Schwermut zu Herzen ging. Und verdient belohnt wurde mit stehenden Ovationen.

Kirsten Liese, 24. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Werther (konzertant) Konzertante Premiere an der Deutschen Oper Berlin, 23. Juli 2025

Jules Massenet, Werther Opéra Royal de Wallonie-Liège, 19. April 2025

Jules Massenet, „Werther“ Staatstheater Stuttgart, 13. Juli 2021

Weill und Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny Deutsche Oper Berlin, 17. Juli 2025 Premiere 

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