Julia Fischer © Felix Broede
Die beiden Violinisten haben ein besonderes Programm für den heutigen Abend mit dem WDR Sinfonieorchester zusammengestellt. Mit romantischer Musik locken sie auf unbekanntere Pfade und begeistern mit frischen Interpretationen das Kölner Publikum.
Pjotr Tschaikowski
Sérénade mélancholique b-Moll, op. 26 für Violine und Orchester
Josef Suk
Fantasie für Violine und Orchester, op. 24
Zugabe:
Béla Bartók
44 Duos für Violine: Nr. 44 Siebenbürgisch (Ardeleana). “Erdélyi” Tánc
Antonín Dvořák
Sinfonie Nr. 7 d-Moll, op. 70
Zugabe:
Antonín Dvořák
Tschechische Suite (Česká suita) op. 39: Nr. 2 Polka
Julia Fischer (Violine)
WDR Sinfonieorchester
Dirigent: Cristian Măcelaru
Kölner Philharmonie, 26. Januar 2024
von Petra und Dr. Guido Grass
„Julia Fischer und Tschaikowski“, so prangt es prominent von den Plakaten, Programmheften und auf den Webseiten. Doch statt wie so oft Tschaikowskis Violinkonzert aufzuführen, entschieden sich Fischer und Măcelaru für Tschaikowskis selten gespielte „Sérénade mélancholique b-Moll, op. 26 für Violine und Orchester“.
Die Violinistin betritt in langer Glitzerrobe die Bühne. Sorgsam beobachtet Măcelaru jeden ihrer Schritte und folgt ihr behutsam. Diese Achtsamkeit überträgt er wunderbar durch sein Dirigat auf das Orchester. Mit klarer und doch weichem Schwung gibt er den Einsatz. Die Flöten intonieren schmerzlich lieblich das erste Motiv, das dann durch das Orchester wandert. Begleitet vom zarten Pizzicato der tiefen Streicher setzt die Violine ein. Wie Fischer leise und dennoch prominent, mit warmen Ton den Valse triste anstimmt berührt unmittelbar.
Măcelaru dient mit seinem Orchester vollends seiner Solistin, die er immer im Blick hält, um ihr bestmöglich zu folgen. Mit leicht federnde Dynamik und verhaltenen Rubati lässt er die Musik romantisch und lebendig erklingen. Seine fließenden Bewegungen und Zeichen fordern einen stets zarten Ton im Orchester. Es ist eine große Kunst, wie dies beispielhaft von den vier Hörnern umgesetzt wird.
Nach und nach schraubt sich die Violine nach oben. Auch in hohen Lagen wird Fischer jedoch nie scharf oder aggressiv; die tremolierenden hohen Töne bleiben klar und zugleich weich. „Bewegt, aber nicht zu sehr“, hätte wahrscheinlich Maler dem Orchester in die Partitur geschrieben. Zum Ende kehrt abermals Ruhe ein. Während Fischers langer letzter Ton auf der Violine langsam vergeht, deuten zartest gezupfte Töne der Streicher das Ende. Dirigent, Orchester und Solistin haben ein offensichtlich gemeinsames Verständnis, wie dieses Kleinod zu Gehör kommen soll.
Tschaikowskis Serenade ist kein Virtuosenstück, mit dem der Solist sein Können mit halsbrecherischen Läufen zur Schau stellen kann. Vielleicht ist dies der Grund, dass Leopold Auer, für den das Stück eigentlich geschrieben wurde, nicht den Violinpart in der Uraufführung übernommen hatte. Dennoch verlangt der Solopart vollendete Spieltechnik, um mit zumeist zartem, warmen Ton die Melancholie auszudrücken. Dieser Grundton darf nie verloren gehen, auch wenn die Stimme in die oberen Lagen wandert. Hier zeigt sich, dass Fischer eine vollendete Virtuosin ist. Das findet auch das Publikum und ebenso Măcelaru, der sich sichtlich herzlich bei der Violinistin bedankt.
Josef Suks „Fantasie für Violine und Orchester“ sollte öfter programmiert werden
Ganz andere Herausforderungen an den Solisten stellt Josef Suks „Fantasie für Violine und Orchester, op. 24“. Josef Suk ist hierzulande zwar kein Unbekannter, aber wird jenseits seiner schwarzen Asrael-Sinfonie kaum gespielt. Seine „Fantasie für Violine und Orchester“ ist eine Rarität. Auch wir hören sie heute zum ersten Mal.
Zackig gibt Măcelaru den Einsatz zur im knalligen Fortissimo beginnenden Einleitung. Nach wenigen Takten nimmt Fischer das Motiv und den aggressiven Ton des Orchesters auf. Nach einem halsbrecherischen Lauf könnte sie ein wenig rasten. Sie fühlt jedoch mit der weiterhin hochgedrehten Musik des Orchester mit und saugt die gesamte Stimmung für ihren nächsten Einsatz in sich auf.
Einmal mehr überzeugt uns das Blech des WDR Sinfonieorchesters. Knallende Posaunen und Trompeten sorgen für Aufruhr und erschrecken. Wie jedoch die Hörner piano und mit Dämpfer die repetitiven Töne einen kaum hörbaren Kontrast zu den gesanglichen Stimmen im übrigen Orchester bilden, zeugt von großer Klasse. Mysteriös bleibt die Musik so in der Schwebe.
Geprägt ist das Stück von großen Kontrasten. Die volksliedhaften, melancholischen Themen setzt Fischer mit wunderbar gesanglichem Ton um. Wie ein Tanz im Herbst lässt sie ihre Violine schwingen, eins mit dem Orchester. Wie im Frühling zwitschern die Holzbläser gemeinsam mit den Violinen.
Man glaubt das Stück ende im cantabilen Pianissimo, doch noch einmal bäumt sich die Musik zum Fortissimo-Schluss auf.
Die Fantasie birgt einen großen Reichtum an musikalischen Ideen, Herausforderungen und oft schnellen Stimmungswechseln. Măcelaru und Fischer halten sich hier gut im Auge, so dass alles wie aus einem Guss gelingt. So wie es heute gespielt wird, ist es ein unglaublich berührendes Stück mit vielen Facetten.
Sichtlich zufrieden schauen nicht nur Solistin und Dirigent, sondern auch das Orchester.
Auf den jubelnden Applaus in der vollbesetzten Kölner Philharmonie folgt eine Zugabe der Extraklasse:
Zu Zweit zum Tanz nach Siebenbürgen – da geht die Post ab!
Während des gesamten Konzertes war zu spüren, dass sich mit Fischer und Măcelaru zwei musikalische Seelen gefunden haben, die sich im gegenseitigen Respekt ermutigen. So wendet sich Fischer mit den Worten zum Publikum: „Ich habe Christian überzeugt, mit mir das Duett Nr. 44 aus Béla Bartóks 44 Duos für Violine zu spielen.“
Măcelaru, vor seiner Dirigentenlaufbahn Konzertmeister in Miami, hat das Violinspiel offensichtlich nicht verlernt. Der ungarisch-siebenbürgische Volkstanz ist besonders als Duo sicher vertrackt. Bei uns und dem Publikum kommt jedoch der Spaß an, den diese tolle Musik macht – auch den beiden Solisten. Sympathisch, wie Măcelaru den verdienten Applaus allein Fischer gönnt und ihr aus der Ferne Küsschen zufliegen lässt.
Leidenschaft und Drama – mit einem Sprung ins Glück
Antonín Dvořák war nicht nur der Lehrer, sondern später auch der Schwiegervater von Josef Suk. Mit seiner Sinfonie Nr. 7 d-Moll, op. 70 hat das WDR Sinfonieorchester ein Stück ausgewählt, das Josef Suks Fantasie für Violine und Orchester nahe steht.
Als Auftragskomposition der Londoner Philharmonic Society in der St. James’s Hall von Dvořák selbst uraufgeführt, beginnt der 1. Satz „Allegro maestoso“ ebenso wie Suks Fantasie bedrohlich. Während die Hörner lange Töne spielen, grummeln die Pauken. Gespenstisch, wie Celli und Bratschen eine fremdartige Melodie hierzu spielen.
Măcelaru © Thomas Brill
Mit großen Gesten treibt Măcelaru das Orchester weiter an, steigert den Ausdruck und springt auf dem Podest dem ersten dramatischen Höhepunkt entgegen, bevor die Stimmung zwischenzeitlich mit einem Walzer friedlich wird.
Der heitere Charakter wird insbesondere durch den Wohlklang der Klarinetten gestützt. Noch einmal arbeitet der Dirigent nach und nach die große Dramatik heraus, bevor zum Satzende die Musik allmählich erstirbt.
Den zweite Satz „Poco Adagio“ interpretiert das Orchester im großen Kontrast. Insbesondere das Holz kann hier glänzen. Berührend gelingt der Dialog zwischen Oboe und Flöten. Der satte, fast schmalzige Ton der Streicher, allen voran die Bratschen, erzeugt eine im besten Sinne theatralische Sentimentalität.
Das „Scherzo. Vivace“ bringt einen erneuten Stimmungswechsel. Mit tänzerischen Gestus lässt Măcelaru das Orchester atmen. Natürliche Rückungen des Tempos und der Dynamik hauchen der Musik Leben ein. Pointierte Akzente bei den Streichern tun ihr Übriges.
Im letzten Satz „Finale. Allegro“ greift Dvořák einmal mehr emotional in die Vollen. Die Trompeten glänzen bei unheilkündende Fanfaren, bevor uns Streicher und Holzbläser zum Tanz beim Volksfest auffordern – jedoch nur kurz. Gespenstisch schreiten die Fagotte und Geigen auf. Dramatisch kämpfen die Themen in einer Orchesterfuge. Choralhaft endet die Sinfonie mit großem Furor.
Dvořák wollte, dass seine 7. Sinfonie die ganze Welt bewegt: 1885 ist es ihm in London gelungen und auch heute ist das Kölner Publikum begeistert von der lebendige Darbietung des WDR-Sinfonieorchesters.
Zur Freude des Publikums im vollends ausverkauften Haus spendiert das Orchester mit einer Polka aus Dvořáks Tschechischer Suite, op. 39 noch eine zweite tänzerische Zugabe und lässt sich vom verdienten Applaus umbranden.
Petra und Dr. Guido Grass, Köln, 29. Januar 2024
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti, Dirigent Kölner Philharmonie, 20. Januar 2024