Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 22. März 2018
Julian Rachlin, Dirigent
Lars Vogt, Klavier
Royal Northern Sinfonia, Orchester
Ludwig van Beethoven
Ouvertüre c-moll zu «Coriolan» op. 62 (1807)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 (1805-1806)
Leoš Janáček
Gute Nacht (Auf verwachsenem Pfade Nr. 7) (1901-1902)
Jean Sibelius
Valse triste op. 44/1 (Kuolema) (1904)
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie C-Dur K 425 «Linzer Symphonie» (1783)
Joseph Haydn
Streichquartett F-Dur Hob. III/17 (2. Satz: Andante Cantabile)
von Jürgen Pathy
Mit einer großartigen, stimmigen Programmauswahl haben Julian Rachlin, 43, und das 1958 gegründete Royal Northern Sinfonia, das einzige britische Vollzeit-Kammerorchester, den herrlichen großen Saal des Wiener Konzerthauses beehrt. Der in Litauen geborene und als Geigenvirtuose gefeierte Rachlin dieses Mal in einer ungewöhnlichen Rolle – der des Dirigenten.
Seit einer Operation am Mittelhandknochen vor einigen Jahren und der daraus resultierenden Zwangspause als Geiger widmet sich der in Wien aufgewachsene Musiker vermehrt dem Dirigieren – definitiv ein Gewinn für die Musikwelt.
Die Energie, die der jugendlich wirkende Maestro bei der Beethoven‘ schen Coriolan-Ouvertüre vom Pult aus verströmt, reißt nicht nur sein Ensemble mit, sondern auch den Rezensenten. Als Zuhörer mittleren Alters, der den großen Leonard Bernstein nur mehr von Videos und CD-Aufnahmen kennt, spinnt sich im Kopf ein Vergleich zusammen. Bernstein soll ja ein Energiebündel gewesen sein. Die große Mezzosopranistin Christa Ludwig meinte in einem Interview sehr anschaulich: „Karajan machte die Musik, Bernstein war die Musik.“
Diese intensive Energie setzt sich auch im Beethoven‘ schen Klavierkonzert Nr. 4 fort – Rachlin und das bewundernswerte Orchester können den Spannungsbogen durchgehend aufrechterhalten. Als Solist gesellt sich der deutsche Pianist Lars Vogt, 47, zur beeindruckenden Musiker-Riege dazu. Seit der Saison 2015/16 ist er künstlerischer Leiter des in Newcastle beheimateten Royal Northern Sinfonia.
Vogt gestaltet den ersten Satz schwungvoll, hell, energisch – und ergänzt damit perfekt Dirigat und Orchester. Wer dem deutschen Pianisten in Interviews zuhört, der weiß, dass er das nicht aus Jux und Laune so interpretiert, sondern sich bewusst mit der Thematik des sinfonischen Klavierkonzerts auseinandergesetzt haben wird.
Zur Uraufführung des G-Dur-Konzerts kam es im März 1807, erste Skizzen zu diesem Meisterwerk finden sich bereits unter den Entwürfen zur Oper „Leonore“, die im November 1805 uraufgeführt wurde. Einer Zeit in der Ludwig van Beethoven, der ewige Junggeselle, unglücklich in Josephine von Deym (ehemals Brunswick) verliebt gewesen ist – das geht aus dreizehn Briefen hervor, die erst 1957 veröffentlicht wurden.
Vogt und Rachlin gestalten die Musik dennoch mit einem zuversichtlichen Esprit, lassen das Licht am Ende des Tunnels erkennbar werden. Selbst das düstere Andante in e-Moll gestaltet der in Düren geborene Pianist nicht so verzweifelt und resignativ wie manch andere seiner Kollegen.
Der nahtlos an das Andante anschließende dritte Satz, ein Rondo, ist von heiterem, triumphierendem Charakter geprägt. Ein Beethoven lässt sich nicht so schnell unterkriegen – von keiner fortschreitenden Taubheit und bestimmt nicht von einer unglücklichen Liebe. Beethoven, Vogt, Rachlin und das britische Orchester bezwingen vereint die Düsternis!
Rachlin ist nicht nur ein energischer Maestro, sondern auch ein cooler. Ungeniert, lässig hockt er im Hintergrund und lauscht Vogts Zugabe: Gute Nacht von Leoš Janáček – passender kann man nicht in die Pause geleitet werden.
Selbst von einem – mittlerweile leider obligatorischen – Handygeräusch lässt sich Rachlin nicht aus dem Konzept bringen und gibt leicht verzögert den Einsatz zum Valse triste von Jean Sibelius.
Die Linzer Sinfonie wird unter Rachlins geschmeidig, tänzelnden Bewegungen zu einem Genuss für alle Sinne. Animiert von seiner fröhlichen, unbefangenen aber dennoch zielstrebigen Art und Weise zu dirigieren, verschmelzen der Maestro und das Ensemble zu einem elegant musizierenden Klangkörper. Vier Sätze wie in einem geschmeidigen Fluss – ganz wie der Komponist, der das Werk in nur fünf Tagen, bei einem Aufenthalt in Linz Anfang November 1783, fertiggestellt hat.
Weiteres Lob gebührt dem oft gescholtenen Publikum: ruhig, fokussiert und ohne viele Zwischengeräusche verfällt es den berauschenden Klängen, atmet mit den Künstlern. Diese danken es mit dem Andante des Streichquartetts in F-Dur von Joseph Haydn – einfach nur zum Träumen.
Wer jetzt Sorge tragen könnte, Julian Rachlin würde seiner „Hassliebe“, seiner Stradivarius „ex Liebig“ abtrünnig werden, der sei beruhigt, „Der Orchesterklang ist unglaublich faszinierend, eine Droge. Aber es gibt für mich nichts Faszinierenderes, als selbst einen Ton zu produzieren. Das ist mit nichts zu vergleichen“, so der Musiker, der seiner Verlobten, der kanadischen Geigerin Sarah McElravy bald das Ja-Wort geben soll.
Als Konzerthaus-Besucher kann man nur hoffen, dass Rachlin weiterhin regelmäßig den Weg in den Großen Saal finden wird – egal ob als Solist oder als Stabführer.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 23. März 2018, für
klassik-begeistert.at
Foto: Janine Guldener