Midori © beethoven.de
Midori gibt einen intimen, intensiven Soloabend in Bonn
Beethoven-Haus, Bonn, 25. Mai 2023
Johann Sebastian Bach (1685-1750) – Sonate Nr. 2 für Violine solo a-Moll BWV 1003; Sonate Nr. 3 für Violine solo C-Dur BWV 1005; Partita Nr. 2 für Violine solo d-Moll BWV 1004
Thierry Escaich (*1965) – „Nun Komm“ für Violine solo (2001)
John Zorn (*1953) – „Passagen“ für Violine solo (2011)
Midori, Violine
von Brian Cooper, Bonn
Intimer geht’s nimmer: Eine Geigerin und ihr Instrument im Bonner Beethovenhaus, auf der Bühne des Kammermusiksaals, dieses herrlichen Konzert-Wohnzimmers mit seinen nur 199 Plätzen. Selbst ein Klavierabend hat nicht diesen Effekt, denn da steht ja noch dieses schwarze Ungetüm, der Konzertflügel. Hier also nichts als Midori und ihre Geige, den gesamten Abend über. Der Flügel steht abgedeckt im Hintergrund. Nicht einmal einen Notenständer braucht sie bei Bach; die beiden zeitgenössischen Werke spielt sie dann vom Tablet.
Es scheint die Woche der lebenden Legenden zu sein. Noch am Vorabend gastierte der knapp 96-jährige Herbert Blomstedt in Köln, und nun, tags darauf, an diesem sonnigen Donnerstagabend in Bonn, Midori. Solo. Ihre CDs gehören zum Soundtrack meiner Jugend. Sie ist Jahrgang 1971 und feiert in dieser Saison schon ihr 40. Bühnenjubiläum. Kein Wunder, wenn man bereits im Alter von elf Jahren mit dem New York Philharmonic unter Zubin Mehta debütiert hat.
Nicht allzu oft hat man Gelegenheit, einen so intimen Konzertabend zu erleben, und dann auch noch in einem Saal von so überschaubarer Größe. Bach für Violine solo, und das einen gesamten Abend lang, erlebte ich – neben Vesselin Paraschkevov in einer Refrather Kirche und Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – erst zum dritten Mal. In Erinnerung sind auch alle sechs Cellosuiten mit Mischa Maisky, in drei Konzerten hintereinander, ebenfalls in der Kölner Philharmonie.
Die Sonaten und Partiten BWV 1001-1006 von Johann Sebastian Bach dürften für so ziemlich jeden geigenden Menschen Grundnahrungsmittel und Lebenselixier sein. Für viele Musikliebende, aktiv wie passiv, ist Bach ohnehin der Allergenialste von allen Komponisten. Jazzmusiker wie der Pianist Esbjörn Svensson begannen ihre Tage immer mit Bach. Und ein kluger Mensch sagte mal, Bach sei eine Lebensaufgabe.
Und so ist es auch bei Midori: Wenn sie Bach spielt, spielt sie ihn gleichsam als Suchende. Die Schnecke zeigt erstaunlich oft Richtung Boden, aber gerade durch diese ungewöhnliche geigerische Pose entsteht eine Klangintensität, die einen sofort ergreift und umarmt. Eben noch ist Midori die paar Schritte auf die Bühne rausgekommen und hat unter dem herzlichen Applaus freundlich – sehr freundlich – ins Halbrund gelächelt. Dann schließt sie die Augen und spielt. Die Augen bleiben bei Bach fast durchweg geschlossen, nur ab und zu öffnet sie sie und scheint kurz zu staunen ob der wunderbaren Klänge, die sie da auf ihrer Guarneri del Gesù erzeugt.
Wie sie in den langsamen Kopfsätzen der beiden Sonaten den letzten Ton verklingen und den Bogen lange auf der Saite lässt, verharrend, absolut in sich ruhend, das ist bewegend. Die C-Dur-Fuge: überirdisch, dicht, intensiv. Viele sind ja von gebrochenen Akkorden genervt, manche wünschen sich gar den Rundbogen zurück und hören ihren Bach nur von Emil Telmányi. Bei Midori klingt es ideal.
Zeugnis der Intensität von Midoris Spiel legen auch die sich in ausnahmslos jedem Stück lösenden Bogenhaare ab. Es wunderte einen nicht, wenn die Künstlerin wöchentlich zum Bogenbauer ginge. Und auch wenn es selbstverständlich scheint: Die Gedächtnisleistung, drei Bach-Stücke auswendig zu spielen, ist aller Bewunderung wert.
Zwischen den Bach-Werken spielte Midori zwei zeitgenössische Werke, „Nun Komm“ von Thierry Escaich sowie die zehn Jahre jüngeren „Passagen“ von John Zorn. Beide nehmen Bezug auf Bach, und in beiden ist immer wieder (transponiert) das B-A-C-H-Motiv zu hören. Escaich lässt „Nun komm, der Heiden Heiland“ aufflackern. Die Flageoletttöne zu Beginn werden von der mit der linken Hand gezupften G-Saite begleitet, und mit G-pizzicati endet das Stück. Dazwischen fliegen die Fetzen: Man fühlt sich an Hindemiths Bratschensonate erinnert, an den Satz mit der so originellen Bezeichnung „Tonschönheit ist Nebensache“.
Die Tonschönheit ist bei John Zorn tatsächlich Nebensache. Das ist mitnichten ein Vorwurf. Ist „Nun Komm“ noch verhältnismäßig konventionell, wenngleich ein tolles Stück, geht John Zorn in seinem – auch mit Anklängen an die folgende Chaconne gespickten – Stück über die Grenzen hinaus. Die Grenzen der Spielbarkeit naturgemäß, aber auch die Grenzen der Instrumentengesundheit. Man ist ein wenig in Sorge um die (insbesondere bei Bach) herrlich klingende Guarneri-Violine…
Das Publikum kann man sich an diesem Abend kaum gesitteter wünschen. Konzentriertes Hören, keine Smartphones, wenig Programmzettelgeraschel, wenig Husten. Nach der Chaconne sekundenlange Stille. Ein magischer Abend. Und zu so etwas gehört eben auch ein gutes Publikum. Da kann die Geigerin noch so fantastisch spielen.
Nach der Chaconne verbietet sich eigentlich eine Zugabe, doch ein heimlicher Gedanke, der mir gekommen war, „Wie spielt sie wohl den Kopfsatz der E-Dur-Partita?“, wurde erhört. Genau das Stück spielte sie noch fürs dankbare, anschließend im Stehen applaudierende Publikum.
Nach einem solchen Abend geht man dann durch die Bonner Nacht in Richtung Beuel und findet selbst den Bertha-von-Suttner-Platz schön.
Dr. Brian Cooper, 26. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at