Kleine Tonhalle Zürich: Kammermusik von Schostakowitsch und Haydn überzeugt mit einem kontrastreichen Programm

Kammermusik-Lunchkonzerte „Dunkelheit und Licht“, Haydn und Schostakowitsch  Tonhalle Zürich, 20. Juni 2024

Kleine Tonhalle © Georg Aerni Presse

Kammermusik-Lunchkonzerte
„Dunkelheit und Licht“

Dmitri Schostakowitsch: Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110
Bryce Dessner:  «Little Blue Something»
Joseph Haydn: Streichquartett B-Dur op. 76 Nr. 4 Hob. III:78 «Sonnenaufgang»

Klaidi Sahatçi (Violine)
George-Cosmin Banica (Violine)
Gilad Karni (Viola)
Paul Handschke (Violoncello)

Tonhalle Zürich, Kleine Tonhalle, 20. Juni 2024


von Julian Führer

In der Kleinen Tonhalle Zürich ist eine Reihe Kammermusik-Lunchkonzerte zu erleben, die in der laufenden Saison dem Motto „Darkness and Light“ gewidmet ist. Das besprochene Konzert wurde von keiner etablierten Quartettformation, sondern von den Stimmführern des Zürcher Tonhalle Orchesters gegeben. Sie präsentierten unter anderem Werke von Dmitri Schostakowitsch und Joseph Haydn, zwei bedeutenden und prägenden Komponisten für diese Gattung.

Überraschend war, dass das Konzert mit Schostakowitschs düsterem Streichquartett in c-Moll Opus 110 begann. 1960 in Dresden komponiert, ist es in vielem recht charakteristisch für die spätere Schaffensphase des sowjetischen Komponisten. Schostakowitschs Werke waren zunehmend grüblerisch, auch die größeren symphonischen Werke meist sparsam orchestriert, die Sätze hatten oft langsame Tempi, und Schostakowitsch baute immer wieder Zitate und Selbstzitate in die Werke ein.

Das achte Streichquartett, auch für kleines Orchester arrangiert und unter dem Namen „Kammersymphonie“ bekannt, besteht aus fünf Sätzen, von denen drei mit ‚Largo‘ überschrieben sind. Als Eingangsmotiv wird die Tonfolge D-Es-C-H, also DSCH, die Initialen Dmitri Schostakowitschs, vom Cello präsentiert, von der zweiten Violine übernommen und im Laufe des Werkes immer wieder zitiert. Schostakowitsch gab ihm das Motto „Dem Gedächtnis der Opfer des Faschismus und des Krieges“, soll aber geäußert haben, dass dieses Quartett zudem ein Nachruf auf ihn selbst sei. Auch das Kopfmotiv aus dem ersten Cellokonzert taucht auf (im dritten Satz).

Zwischen den sehr langsamen Teilen sticht der zweite Satz (Allegro molto) drastisch hervor. Ob man nun auf die Anlehnung an jüdischer Musik achtet oder auf das irrwitzige Tempo – die düstere Eingangsstimmung scheint eher einer ausweglosen Verzweiflung gewichen, und nach dem Intermezzo des dritten Satzes verebbt die Musik zusehends bis zum Morendo-Schluss. Die Musiker des Tonhalle Orchesters spielten das Quartett mit Sinn für die Kontraste, die sie aber nicht bis zum Exzess ausloteten (man vergleiche die im Internet verfügbare Version des David Oistrakh Quartet). Ein eher geschlossenes als zerrissenes Klangbild, das zu den folgenden Stücken einen Bogen schlug, aber die existenziellen musikalischen Abgründe Schostakowitschs manchmal in den Hintergrund treten ließ.

Das erfreulich zahlreiche Publikum applaudierte freundlich, aber noch nicht begeistert.

Das als Brückenschlag gespielte, eher kurze „Little Blue Something“ von Bryce Dessner baut auf einer Kanonstruktur auf, aus der heraus sich vor allem die Violinen mit Verzierungen hervorheben. Für das Kronos Quartet geschrieben und vor inzwischen zehn Jahren erstmalig eingespielt, handelt es sich um ein Werk, das einerseits gut durchhörbar ist und andererseits doch über einige komplexe Wendungen verfügt, die seine Struktur reizvoll machen. Die sich aufhellende musikalische Stimmung übertrug sich auch auf das Publikum.

Zu Joseph Haydns umfangreichem Schaffen gehören auch fast 70 (!) Streichquartette, von denen das Quartett in B-Dur Opus 76 Nr. 4 Hob. III:78 den Abschluss dieses Mittagskonzertes bildete. 1797 entstanden, zeigt die Gruppe der dem Grafen Joseph Erdödy gewidmete Quartette Haydn auf der Spitze seines Schaffens (Das dritte Quartett dieser Reihe ist als „Kaiserquartett“ noch einmal deutlich bekannter).

Haydn war ein Meister darin, die konventionelle Form mit großer Kreativität zu füllen und sich ihren Grenzen zu nähern. Gerade im zweiten Satz (Adagio) wird weniger an einem Motiv gearbeitet als vielmehr assoziiert und harmonisch variiert. Der Finalsatz beschleunigt (ähnlich wie manche Klaviersonaten Haydns) das Tempo wie in der Stretta einer Oper. Haydns Humor ist sehr präsent, und man ahnt, dass Haydns mitunter knorriges Augenzwinkern in Beethovens Grummeln eine Fortsetzung gefunden hat.

Der effektvolle Schluss rief beim Publikum viel Applaus hervor, wie überhaupt das letzte Stück in der geschlossensten Interpretation gespielt wurde.

Die Programmatik (von der Düsternis zum Licht) war in den drei gespielten Quartetten sehr deutlich zu hören; vielleicht wurde sie Schostakowitsch nicht ganz gerecht, aber das Konzert ist sicher als Erfolg zu sehen, und der Zuspruch des Publikums beweist, dass auch an einem Donnerstag über Mittag die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit anspruchsvoller klassischer Musik vorhanden ist.

Julian Führer, 22. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Elbphilharmonie, 10., 11. und 12. November 2022

Tonhalle-Orchester Zürich, Lionel Bringuier, Igor Levit, Wiener Konzerthaus

Giuseppe Verdi, Messa da Requiem Opernhaus Zürich, 1. April 2024, Wiederaufnahme

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