Sopranistin Karen Vourc’h berührt als brillante Émilie-Verkörperung, die Bremer Philharmoniker beweisen heldenhafte Qualitäten bei Strauss
8. Philharmonisches Konzert „Mut“
Programm:
Jean Sibelius: Rakastava, Symphonische Dichtung für Streicher und Percussion op. 14
Kaija Saariaho: Émilie-Suite für Sopran und Orchester
Richard Strauss: Ein Heldenleben op. 40
Karen Vourc’h Sopran
Marko Letonja Dirigent
Bremer Philharmoniker
Konzerthaus Die Glocke, Großer Saal, 26. Februar 2024
von Gerd Klingeberg
Weiche Streicherklänge in Moll fließen in ruhepulsigem Metrum dahin. Entführen in eine fahl leuchtende, verwunschene Welt des Nordens. „Rakastava“ ist eine zu Herzen gehend gefühlvolle Symphonische Dichtung von Jean Sibelius.
Im zweiten Teil kommen feingliedrige folkloristische Elemente dazu; die schnellen Tonrepetitionen der sordinierten Streicher lassen den Eindruck entstehen, alles geschehe wie hinter einem fern aufsteigenden zarten Nebelschleier. Freundliche Partien und Melancholisches bis hin zu resignativer Tristesse werden in der sensiblen instrumentalen Darbietung wunderschön zum Ausdruck gebracht.
Es ist ein wahrhaft berührender Start ins 8. Philharmonische Konzert der Bremer Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Marco Letonja. Die derart erstellte atmosphärische Dichte hätte auch gut als unmittelbare Verbindung zur nachfolgenden Émilie-Suite von Kaija Saariaho fungieren können. Doch Letonja sorgt überraschend für eine starke Zäsur, die „Rakastava“ quasi im Nachhinein weitestgehend ins Abseits rutschen lässt. Ihm scheint es wichtig zu sein, zur Émilie-Suite eine gesprächskonzertartige, weit über das Zeitmaß von kurzen erklärenden Worten hinausgehende Einführung samt Musikbeispielen zu geben.
Vielleicht aus Sorge, dem Auditorium mit Moderner Musik allzu viel zuzumuten oder es gar zu verärgern? Oder aus mangelndem Vertrauen in die Fähigkeiten der Zuhörer, sich durch die reguläre Einführungsveranstaltung oder das ausführliche Programmheft vorab ausreichend informiert zu haben – oder sich auch einfach überraschen zu lassen?
Keine Frage, die Suite fordert mit ihrer überaus anspruchsvollen Tonsprache heraus, bietet ungewohnte Klänge und Strukturen und hat gewiss einiges an Polarisationspotenzial. „In unseren Träumen ist alles aufgebrochen, nichts folgt einer linearen Logik“ hat die im letzten Jahr verstorbene finnische Komponistin einmal gesagt. Und genau das spürt man in ihrem ungemein fesselnden Werk, das sich wohl am besten dann mitteilt, wenn man sich in Émilies situative Gedanken und Gefühle versetzt, die sie umtreiben während einer einzigen Nacht, jene, auf die sich die Suite konkret bezieht.
Der außerordentlich subtil angelegte Gesang der vielfach preisgekrönten Sopranistin Karen Vourc’h unterstützt dies in jeder Hinsicht. Vourc’h nutzt die besonderen Eigenarten der französischen Sprache, das Ineinanderfließen von Wörtern wie auch die markante Schärfe einzelner Konsonanten, um die Inhalte rezitierend, im Parlando, rufend eruptiv oder vor sich hin sinnend zu vermitteln. Sie wird damit zur gänzlich untheatralen, authentischen Verkörperung der Person Émilie. Das stets an der Dynamik der Sängerin orientierte, somit zumeist zurückhaltend agierende Orchester generiert dazu irritierend irisierende, kaum definierbare sphärische Klänge von bezwingender Intensität. So entsteht ein hochspannender, mehr als nur optisch-akustischer Sinneseindruck, der unter die Haut geht und jede Menge Gänsehautfeeling verursacht.
Émilies Taumel der Bewusstlosigkeit und der drohende Abgrund des Vergessens werden in einer letzten Klangkollage bestechend nachgezeichnet.
Für Momente herrscht nachdenkliche Stille. Der starke Applaus lässt erkennen, dass zumindest der weit überwiegende Teil der Zuhörer diese so besondere Auseinandersetzung mit ungewohnter Musik sehr wohl zu würdigen weiß.
Nach der Pause geht es weiter auf jetzt wieder bekanntem Terrain. „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss bietet dem ganz groß besetzten Orchester reichlich Möglichkeiten, unter Nutzung opulenter Farbigkeit grandiose Klanggemälde zu erstellen. Das geschieht mit größter Bravour.
Sämtliche Instrumentengruppen sind mit energischer Verve dabei, egal, ob es um epische Heldengesänge ohne Worte, tumultuarisches Schlachtengetöse mit schepperndem Krawumm oder friedvolle Weltabgeschiedenheit in liedhaft säuselnden Melodien geht. Vom hauchfeinen Pianissimo bis hin zum donnernd dröhnenden Ultra-Fortissimo nutzt das Ensemble dabei sämtliche Abstufungen.
Primgeigerin Anette Behr-König hat den riesigen Soloviolinpart übernommen; ihre virtuose, nuanciert interpretierte Ausführung wird zum unbestrittenen Glanzpunkt des Werkes, dem indes auch andere Solisten kaum nachstehen. Und ja, es darf auch mal richtig romantisch überzuckert zugehen: Letonja, der mit seinem durchweg verlässlichen und souveränen Dirigat den großen Apparat jederzeit im Griff hat, weiß sehr genau die Grenze zum allzu Kitschigen zu wahren. Auch dann, wenn am Ende der Held in einem – stark an „Also sprach Zarathustra“ erinnernden – Motiv irgendwo in den Tiefen der Unendlichkeit verschwindet…
Gerd Klingeberg, 27. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Intensive Begegnungen“ der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen Die Glocke Bremen, 9. Februar 2024
7. Philharmonisches Konzert der Bremer Philharmoniker: „Glanz“ Die Glocke Bremen, 4. Februar 2024