Jenkins’ Mass for Peace rüttelt mich auf und entlässt mich mit Hoffnung

Karl Jenkins, The Armed Man: A Mass for Peace   Herz-Jesu-Kirche München, 21. November 2025

Die Ausführenden beim Schlussapplaus © Frank Heublein

Insgesamt erlebe ich ein wuchtiges fulminantes Konzert. Karl Jenkins hat keine Angst vor Musik mit großer Geste. Diese funktioniert an diesem Abend eindrucksvoll.

Karl Jenkins

The Armed Man: A Mass for Peace. Messe für Sopran, Muezzin, Chor und Orchester

Beth Taylor   Mezzosopran
Rahmudin Rajabi   Muezzin

Arcis-Vocalisten München
Münchner Rundfunkorchester

Anu Tali   Leitung

Herz-Jesu-Kirche München, 21. November 2025

von Frank Heublein

An diesem Abend wird in der Herz-Jesu-Kirche in München-Neuhausen mit The Armed Man eine interkulturelle Friedensmesse des zeitgenössischen britischen Komponisten Karl Jenkins aus dem Jahre 2000 in der Reihe Paradisi Gloria des Bayerischen Rundfunks aufgeführt. Jenkins verarbeitet sehr unterschiedliche kulturelle und historische Quellen. Teile des christlichen Oratoriums, ein muslimischer Gebetsruf, ein französisches Volkslied aus dem hundertjährigen Krieg, Auszüge aus dem indischen Epos Mahabharata und einem Gedicht über Hiroshima sowie Verse einiger bedeutender englischer Dichter.

Was macht Karl Jenkins daraus? Ein Werk, das Rhythmen übereinanderlegt, dass ich der Dirigentin Anu Tali einen zusätzlichen Arm aus Organisationsgründen wünsche (dreiarmige Anu Talis kann nur die KI erzeugen). Chor und Orchester können sich durch die rhythmischen Überlagerungen nicht aneinander orientieren. Starke Tempounterschiede, Lautstärken, die von einem Extrem ins andere fallen. Solistische Instrumente. A cappella Chorszenen. Es ist sehr viel zu tun für die Steuerfrau am Pult.

Anu Tali gelingt immerwährende volle Kontrolle. Hochkonzentriert sehe ich sie und besonders in den rhythmischen Überlagerungspartien habe ich höchste Achtung vor der Leistung ihres Dirigats.

Armed man, Anu Tali © BR

Das Titelgebende Volkslied L’homme armé aus dem hundertjährigen Krieg des fünfzehnten Jahrhunderts eröffnet mit militärisch klingender Trommel, leisem einfühlsamen Chor und einem Trompetensolo, dass die Trommel unterstützt und ich im Geiste Soldaten dadurch mutiger werden fühle. Auch ich bin entschlossen, mich einzulassen auf das, was da kommt. Wenngleich sich neben der Entschlossenheit in mir eine An- und Spannung aufbaut. Dramatisch klug komponierte Musik!

Muezzin Rahmudin Rajabi spricht direkt im Anschluss ein Gebet von der Empore. Ich höre nur und sehe nicht. Die fast immer auf gleicher Tonhöhe bleibende Stimme erzeugt einen kontemplativen innehaltenden Moment in mir.

Im Psalmentext „Save me from bloody men“ geht es mit Männerchor ruhig weiter, bis eine Trommelexplosionsstoß mich zusammenzucken lässt.

Das Sanctus ist ein Messetext. Jenkins überrascht mich damit, dass er diesen Text mit Marschmusikalischen Klängen unterlegt. Trommel und Blech wechseln mit Chorpassagen. Das Orchester flutet den Klangraum. Im nachhallenden Piano bleibt der stechschreitende Trommelrhythmus im Ohr.
Das Agnus Dei ist ein sehr zuversichtlicher Teil dieser Mass for Peace. Der Chor wärmt mein Inneres. Hörner, die Vertrauen und Güte versprechen.

Die Ausführenden beim Schlussapplaus © Frank Heublein

Das letzte Stück „Better is peace“ lässt in meinem Kopf in einigen Momenten die Vorstellung entstehen: ein Filmheld, der dem Sonnenuntergang entgegenreitet auf Ross oder Raumschiff. Der Chor verspricht a cappella ein weiteres Mal Mut und Zuversicht.

Die Arcis-Vocalisten München meistern diese anspruchsvolle Komposition. Manchmal sind die Stimmgruppen nicht aus einem Guss, dann höre ich einzelne Stimme heraus. Am Schluss hätte ich mir noch mehr Wumms gewünscht. Details. Denn im radikalen Flow der Dynamik nur auf die eigene Rhythmik zu achten, nicht auf die des Orchesters, das gelingt dem Ensemble insgesamt sehr gut.

Mezzo Beth Taylor hat ein sehr schönes auffällig dunkles Timbre in ihrer kraftvollen entschlossenen Stimme. Damit setzt sie einen gelungenen Kontrast zu den helleren weiblichen Chorstimmen.

Das Münchner Rundfunkorchester beweist seine Klasse zum einen in den Instrumentensoli. Horn, Trompete, Cello sind brillant im Ton und vermitteln tolle Stimmung. Zum anderen als Corpus: explosive Kraft ist reichlich vorhanden. Zartes einfühlsames Piano kann es ebenso exzellent.

Die Ausführenden beim Schlussapplaus © Frank Heublein

Insgesamt erlebe ich ein wuchtiges fulminantes Konzert, das mir in diesen etwa fünfundsiebzig Minuten nur wenig aber pointierte Zeit gibt, innezuhalten. Viel häufiger ist in mir gespannte Aufmerksamkeit, Vorbereitung auf die nächste Trommelexplosion, so zucke ich zusammen bei der ersten unerwarteten. In den leichteren Momenten halluziniere ich (das kann die KI auch), diese Melodie habe ich in einem Film gehört! Etwa beim Part „Hymn before action“.

Karl Jenkins hat keine Angst vor Musik mit großer Geste. Diese funktioniert an diesem Abend eindrucksvoll. Auch die Eingängigkeit nutzt der Komponist als Stilmittel. Denn er überrascht und konfrontiert mich als Hörer mit stetigen Brüchen, gerade dann, wenn ich meine, mir es in dieser anheimelnden Melodie gemütlich machen zu können.

Frank Heublein, 22. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Transparenzhinweis:

Warum ich im Text auch über KI spreche? Mein Telefon hat einen „magischen Radierer“. Da kann ich die störenden Köpfe und Smartphonebildschirme verschwinden lassen. Dass kann die KI also auch. Diese Technik habe ich in einigen Bildern dieses Textes eingesetzt. Dumm nur, dass manchmal auch Geigen in der Luft schweben, weil die dazugehörige Person des Orchesters weggelöscht wird durch die KI.

Auf der Seite des Münchner Rundfunkorchesters können u.a. die Texte des Oratoriums eingesehen werden und der Link auf das Konzert finden sie dort auch. Es wird am 7. Dezember 2025 ab 19:05 im Radiosender BR Klassik übertragen und steht danach 30 Tage als Stream auf Abruf zur Verfügung.

Karl Jenkins

The Armed Man: A Mass for Peace. Messe für Sopran, Muezzin, Chor und Orchester

  • The armed Man
    („L’homme armé“, 15. Jhdt.)
  • Call to prayers
    („Adhan“, islamischer Gebetsruf)
  • Kyrie
  • Save me from bloody men
    (Ps 56; 59)
  • Sanctus
  • Hymn before action
    (Rudyard Kipling)
  • Charge!
    (John Dryden/Jonathan Swift)
  • Angry flames
    (Tōge Sankichi)
  • Torches
    (aus dem indischen Epos „Mahabharata“)
  • Agnus Dei
  • Now the guns have stopped
    (Guy Wilson)
  • Benedictus
  • Better is peace
    (Thomas Malory/anonym/Alfred Tennyson/Offb 21,4/Ps)

Franz Schubert, Symphonie in h-Moll, D 759 „Unvollendete“ Kirche St. Joseph, München, 16. November 2025

Musikfest Bremen: „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ Unser Lieben Frauen Kirche Bremen, 19. August 2025

A Child of Our Time, Oratorium von Michael Tippett  (1944) Herz-Jesu-Kirche München, 4. Juli 2025

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