Heather Jurgensen und Yaroslav Ivanenko im Ballettbüro des Theaters Kiel am 10. Dezember 2024 (Foto: RW)
Interview mit der Primaballerina Heather Jurgensen und ihrem Ehemann Yaroslav Ivanenko, dem Kieler Ballettdirektor, Teil I
von Dr. Ralf Wegner
Heather Jurgensen wurde 1967 in Detroit, Michigan geboren. Ihre tänzerische Ausbildung erhielt sie in Carlisle, Pennsylvania. Mit 16 Jahren besuchte sie in New York die School of American Ballet, von 1986 bis 1989 tanzte sie beim New York City Ballet. 1989 engagierte sie John Neumeier beim Hamburg Ballett. Dort wurde sie 1991 zur Solistin und 1994 zur Ersten Solistin ernannt. 2007 gab sie die aktive Tänzerlaufbahn auf und begann in Riga ein Masterstudium der Kultur- und Medienwissenschaften. Seit 2011 ist sie stellvertretende Ballettdirektorin beim Ballett Kiel, außerdem ist sie Kuratoriumsmitglied bei der „Stiftung Tanz Transition Zentrum Deutschland“.
Heather Jurgensen ist mit Yaroslav Ivanenko verheiratet, den sie vom Hamburg Ballett her kannte und der jetzt das Kieler Ballett leitet. Beide haben einen 14-jährigen Sohn.
Bei John Neumeier wurden mit der tänzerischen Bewegung Inhalte vermittelt, in New York stand der Stil im Vordergrund
klassik-begeistert: Liebe Heather Jurgensen, Sie tanzten ab 1986 beim New York City Ballet. Wie haben Sie den Wechsel zum Hamburg Ballett erlebt? Was war der Grund für den Wechsel?
Heather: Als ich beim New York City Ballet zu tanzen begann, hielt ich es für das Beste, was mir damals passieren konnte. Ich hatte mir das gewünscht. Es war aber auch die Zeit der Umstellungen nach der Ära Balanchine, der 1983 gestorben war. Und ich habe sehr schnell festgestellt, dass ich noch auf der Suche nach etwas anderem war. Ich wollte die Welt entdecken und hatte vom Hamburg Ballett gehört, kannte damals John Neumeier allerdings noch nicht.
Als ich dann in Hamburg vortanzte, merkte ich schnell, dass ich dort mehr gefordert würde als in New York. Es gab eine solche Fülle an Informationen, wie ich es vorher nicht gekannt hatte. Das war eine neue, aufregende Zeit für mich, das hat mir gut gefallen.
klassik-begeistert: Wenn Sie Ihre Ausbildungszeit in der Schule des American Ballet und ihr Engagement beim New York City Ballet mit dem Wirken in Hamburg vergleichen, gab es wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Ausbildung und der technisch-tänzerischen Anforderungen?
Heather: Die Technik und der Stil Balanchines waren in New York sehr wichtig. Für die technische Seite des Tanzes galt das auch in Hamburg. Bei John Neumeier ging es beim Tanz darüber hinaus um Inhalte. Mit der Bewegung sollte etwas erzählt werden. Im Vergleich mit den eher abstrakten Stücken in New York war das wohl der entscheidende Unterschied.
Ich hatte beim Hamburg Ballett sehr viel Glück mit meinen Kollegen und Kolleginnen
klassik-begeistert: Von 1994 bis 2007 tanzten Sie hier als Erste Solistin. Wir haben Sie zwischen 2001 und 2007 insgesamt 6mal als Ginevra in Neumeiers Artus Sage zusammen mit Lloyd Riggins als König Artus und Carsten Jung als Lancelot bewundern dürfen. Welche Erinnerung haben Sie an diese Partie und wie gestaltete sich das Verhältnis zu ihren beiden männlichen Partnern?
Heather: Carsten Jung und Lloyd Riggins waren beide ausgezeichnete Partner, bessere kann man sich nicht wünschen. Für mich hatte Neumeiers Artus Sage eine spezielle Bedeutung. Es war ein zutiefst emotionales Stück. Mich hat die Kraft dieser zwischen zwei Männern stehenden Frau sehr fasziniert. Wie sie gespalten war zwischen ihren Emotionen und ihrem Pflichtgefühl. Auch die Musik von Sibelius empfand ich als traumhaft.
klassik-begeistert: Wie gestaltete sich die Konkurrenz zu Ihren Kolleginnen bei der Besetzung der Hauptpartien? Gab es überhaupt eine Konkurrenz?
Heather: Wir hatten eine sehr gute Beziehung unter den Kolleginnen. Ich nenne Anna Polikarpova, Joëlle Boulogne, Silvia Azzoni oder Hélène Bouchet. Wir teilten miteinander nicht nur die Garderobe, sondern auch viele Erlebnisse. Wir unterstützten uns gegenseitig. Wir erlebten Höhen und Tiefen, das schweißte uns in der Companie zusammen. Ich fand diesen Zusammenhalt großartig. Und wenn ich auf mein Leben zurückblicke, ist das ein Schatz für mich, der mir immer bleiben wird.
klassik-begeistert: Welchen Einfluss hatten Sie auf die Auswahl ihrer männlichen Partner? Und wenn Sie keinen hatten, wie kamen Sie als Tänzerin damit zurecht?
Heather: Oh, ich hatte echt Glück mit meinen Partnern. Als ich ganz frisch in die Companie kam, durfte ich mit Ivan Liška tanzen. Viele Stücke habe ich mit Ivan Urban geprobt und aufgeführt, zum Beispiel Hamlet und Sylvia. Auch mit Jiří Bubeníček oder Thiago Bordin habe ich häufig getanzt, später auch noch mit Edvin Revazov. Mit meinem Mann Yaroslav Ivanenko hatte ich Stücke geprobt, wir haben kreiert, auch außerhalb. Ich hatte sehr viel Glück mit ganz tollen Partnern.
Übrigens ist John Neumeiers Sommernachtstraum sehr herausfordernd für den Partner. Ich hatte damals auf einer Japan-Tournee Jiří Bubeníček als Partner, und wir übten jede freie Stunde. Die Hebungen in diesem Ballett sind, anders als man denken würde, nicht beim Grand Pas de deux so schwer, sondern vielmehr bei der Aufwachszene am Anfang des zweiten Aktes und bei den Passagen in der Feenwelt. Das ist schon sehr tricky.
Nach meiner aktiven Tänzerkarriere folgte ich meinem Mann nach Kiel, das war für uns als junge Familie nicht immer einfach
klassik-begeistert: Sie schieden 2007 aus dem Ensemble aus. Gab es dazu einen konkreten Anlass? Wie lange vorher hatten Sie sich auf das Ende ihrer Karriere vorbereitet?
Heather: Ich glaube, man kann sich nie so richtig darauf vorbereiten. Ich fing mit 7 Jahren an zu tanzen. Tanz war mein ganzes Leben. Mit dem Tanz habe ich die Welt kennen gelernt. Als ich aufhörte, habe ich es zunächst wie ein Tief empfunden. Es war nicht leicht für mich. Ich fühlte mich aber gesund und auch erfüllt.
Für mich war aber die Zeit gekommen, denn ich wollte unbedingt ein Kind haben. Für mich war es ganz wichtig, eine Familie zu gründen. Übergangsweise habe ich damals in einem Laden gearbeitet. Dann aber bald mein Kultur- und Medienmanagement-Studium in Riga begonnen.
klassik-begeistert: Seit 2011 sind sie unter ihrem Ehemann stellvertretende Ballettdirektorin in Kiel. Wie verträgt sich diese berufliche mit der privaten Beziehung?
Heather: Als wir hier anfingen, war das für uns beide neu. Wir hatten hier viel zu tun, und unser Sohn war erst ein Jahr alt. Das zu koordinieren, war eine Choreographie für sich: Wer kümmert sich, wer kommt, manchmal kam die Babysitterin nicht. Man entwickelt Schuldgefühle, wenn man weggegangen ist. Das war nicht so leicht.
Aber unsere Companie ist so bereichernd, 19 Personen plus Team. Am Ende des Tages ist man schon stolz darauf, was unsere Tänzerinnen und Tänzer leisten und wie sie sich weiter entwickeln. Das ist eine große Freude für uns.
Yaroslav: Wir sprechen die ganze Zeit, auch zu Hause nach der Arbeit, über das Ballett. Manchmal kommen wir aber auch nach Hause und sagen, Schluss mit den beruflichen Themen, kümmern wir uns um unsere Familie, also um unseren Sohn, der sich übrigens noch nicht für das Ballett begeistern lässt.
Ich engagiere mich bei einer Stiftung, die sich um den Übergang vom aktiven Tanzen zu einem weiteren erfolgreichen Berufsleben kümmert
klassik-begeistert: Heather, Sie sind außerdem Kuratoriumsmitglied bei der „Stiftung Tanz Transition Zentrum Deutschland“. Können Sie uns darüber etwas Näheres sagen?
Heather: Als ich aufhörte, wurde diese Stiftung gerade gegründet. Sinnvoll ist es, die Tänzer bereits zu unterstützen, während sie noch tanzen, sie zu coachen und zu beraten. Um zu ergründen, wozu sie neben dem Tanz noch fähig wären. Wenn man tanzt, gibt man 100 bis 200%. Es ist sehr schwer, sich ein anderes Leben vorzustellen. Viele haben auch nicht den Wunsch, sich mit der Zukunft auseinander zu setzen.
Die Leiterin der Stiftung erwähnte, dass es bei den Tänzern oft Zweifel gäbe, was sie später mit ihrem Leben anfangen sollten. Manche geraten fast in Panik, weil sie es sich nicht vorstellen können. Sie fangen vielleicht etwas Tanznahes an wie Pilates oder Physiotherapie. 10 Jahre später sagen sie sich aber, dass ist doch nicht das, was ich wollte und wechseln dann nochmals ihren Beruf. Deswegen ist eine gute Beratung und Unterstützung ganz wichtig. Man verliert beim Übergang von der aktiven Zeit ganz viel. Körperlich verändert sich alles und man hat auch diese familiäre Einbindung in die Companie nicht mehr. Das kann schon eine sehr einsame Zeit sein.
Ich finde deshalb, dass es ganz gut ist, wenn die Tänzerinnen und Tänzer während ihrer aktiven Zeit sich auch außerhalb des Ballettsaals für etwas engagieren.
Dr. Ralf Wegner, 18. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil II unseres Interviews mit Heather Jurgensen und ihrem Ehemann Yaroslav Ivanenko lesen Sie Donnerstag, 19. Dezember 2024, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at