Mal diabolisch, mal himmlisch: Musik ohne Erdenschwere

Kirill Gerstein, Franz Liszt, Etudes d’exécution transcendante,  Elbphilharmonie Kleiner Saal

Foto: (c) Höhne
Kirill Gerstein
Klavier
Franz Liszt, Etudes d’exécution transcendante S 139
Felix Blumenfeld, Etüde für die linke Hand op. 36
Alexander Nikolajewitsch Skrjabin, Trois études op. 65
György Ligeti, Fanfares / Etude Nr. 4 / Etudes pour piano, premier livre
Earl Wild, Embraceable You / Seven Virtuoso Etudes
György Ligeti, Arc-en-ciel / Etude Nr. 5 / Etudes pour piano, premier livre
Earl Wild, I got Rhythm / Seven Virtuoso Etudes
Earl Wild, Somebody loves me / Seven Virtuoso Etudes
Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 27. April 2017

Von Sebastian Koik

Kirill Grenzsteins Finger wirbeln unfassbar schnell auf den Tasten, rauschhaft und mitreißend. Man fühlt sich an Faust und seinen Pakt mit dem Teufel erinnert, so übermenschlich erscheint die pianistische Herausforderung der zwölf Etudes d’exécution transcendante von Franz Liszt, einem der spieltechnisch anspruchsvollsten Klavierwerke überhaupt. Robert Schumann meinte, dass höchstens zehn oder zwölf Pianisten auf der Welt sie bewältigen können.

Gernstein gibt in aberwitzig schnellen Läufen jedem Ton präzise Kontur und bringt ihn in schönstem Schliff zum Strahlen. Und bei aller Virtuosität überzeugt er nicht nur mit Technik und Spektakel, sondern auch mit zärtlichem, gefühlstiefem und berührendem Spiel. Der in den USA und in Deutschland lebende Pianist fegt über die Tasten wie ein Orkan und erzeugt zwischendurch fragile Klänge wie aus einer anderen Welt.

Die Kompositionen und das Spiel des Meisterpianisten scheinen über den Dingen zu schweben. In den magischsten Phasen des Konzertes ist das Musik ganz ohne Erdenschwere. Franz Liszt als Komponist und Kirill Gernstein als Interpret transzendieren das Arbeitsgerät Klavier, lassen Ort und Zeit vergessen. Die Musik wirkt mal diabolisch, mal himmlisch; mal menschlich und sehr oft übermenschlich. Es ist ein wilder Ritt voller Leidenschaft und Schönheit, eine pianistische Sternstunde!

In der zweiten Hälfte des Konzerts präsentiert Gernstein ausschließlich Etüden des 20. Jahrhunderts. In der Etüde für die linke Hand von Felix Blumfeld begeistert der Pianist mit wunderbar perlenden Läufen aus herrlich modellierten Tönen, mit Virtuosität, Tiefe, Schönklang und großer Musikalität.

Ein faszinierendes Stück ist auch die Etüde Nr. 4 „Fanfares“ von György Ligeti. Es ist eine polyrhythmische Studie, eine spannende Überlagerung verschiedener Rhythmen, und auch diese Herausforderung meistert Gernstein souverän. Die weiteren Stücke des Programms sind im Vergleich zu diesen Höhepunkten musikalisch eher uninteressant.

Unvergessen bleiben hingegen die gewaltigen Etudes d’exécution transcendante von Franz Liszt, die Gernstein bis auf die einzige langsamere und spieltechnisch relativ einfache Etüde No. 3 in Perfektion präsentierte – die bislang beeindruckendste pianistische Leistung in der Elbphilharmonie.

Sebastian Koik, 29. April 2017
für klassik-begeistert.de

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