Kirill Petrenko © Chris Christodoulou
Zum Auftakt seiner europäischen Mahler-Tour fegte Kirill Petrenkos einzigartig kontrastvolle und facettenreiche Mahler 9 durch die Philharmonie. Die Philharmoniker spielten in Top-Form und stellten den Berliner Mahler-Klang völlig auf den Kopf!
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko, Dirigent
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9
Philharmonie Berlin, 15. Mai 2025
von Johannes Karl Fischer
Der Ansturm auf die Karten machte auch nach dem Vorverkauf nicht Halt, so suchten einige Besucher ihr Kartenglück noch in einer langen Schlange vor der Abendkasse. Ganz wie in alten Zeiten… bis auf ein paar sehr vereinzelt leer bleibende Plätze (irgendjemand wird immer krank) passte kein Blatt Papier mehr in die Philharmonie.
Zurecht: Nachdem Kirill Petrenko vor vier Jahren die Vertonung von Mahlers tragischen Lebensumständen in der Sechsten mindestens einen Hauch zu fröhlich traf und bei mir einige Zweifel hinterließ, ob Mahler nun so sein Ding sei, haute er mit dieser mitreißenden, kolossal lebendigen Neunten mindestens die ganze Mahler-Stadt völlig vom Hocker!
Insbesondere in den beiden langsamen Ecksätzen ließ sein dynamisches, bewegendes Dirigat diese Musik zu prachtvollem Leben aufblühen. Der monumentale, umschwärmende Orchesterklang unter seiner Leitung flutete die Philharmonie mit einem Meer an tiefsinnig emotionalen, strudelartigen Mahlermelodien. Man spürte die fegenden orchestralen Wellen tief in der musikalischen Seele brennen, insbesondere die Streicher ließen die warmen, intensiven Klänge ihrer Instrumente mit all ihrer Liebe zur Musik aus den Saiten strahlen. Die fast 25 Minuten des Schlussadagios zogen wie in einem einzigen musikalischen Bogen über die Bühne, unmerklich sanft stieg und fiel die Spannung und versenkte den Saal in der Welt des Mahlerklangs.
Furchtlos stürzte Herr Petrenko die Philharmoniker auch in die stürmische Rondo-Burleske. Die trotzigen, umhersausenden Fugenthemen jonglierte er mit viel Spaß durch den Saal und ließ das Orchester durch die nahezu explodierende Energie dieses Satzes tanzen. Der rasende und messerscharf präzis musizierte Kontrapunkt kulminierte in der eindrucksvollen geschriebenen Zirkelfuge, ehe ein wohl atmendes Trompetensolo wie auf einer sonnigen grünen Alpenauen über das Orchester schwebte. Wie in einem symphonischen Gesamtkunstwerk exponierte der philharmonische Chefdirigent alle musikalischen Kontraste des Werks und stellte den Mahler-Klang völlig auf dem Kopf.
Dieser Paukenschlag hatte sich bereits mit dem sensationell gespielten Kopfsatz angekündigt. Die voranschreitenden Harfenklänge zu Beginn der fast anderthalbstündigen Symphonie zogen sanft und in aller Ruhe über die Bühne, ehe die lebendigen, schwungvollen Streichermelodien wie ein Sog prächtig durch den Saal fegten. Die legendären Aufnahmen der alten Mahler-Größen um Claudio Abbado und Leonard Bernstein schien Petrenko mit diesem einzigartig kontrastvollen, facettenreichen und energetisch ausdrucksvollen Mahler-Klang regelrecht zu überrollen!
Ein solch sensationeller Klang wäre ohne die ebenfalls spitzenmäßigen Einzelleistungen im Orchester kaum möglich gewesen.

Ganz vorne gab Konzertmeister Daishin Kashimoto einen regelrecht Meisterkurs im Orchesterspiel und spornte gemeinsam mit dem Chefdirigenten das Orchester zu musikalisch bewegenden Höchstleistungen an! Bis ans letzte Aushilfen-Pult lebten alle Musizierenden sichtlich mit Leib und Seele in dieser Musik, die Geigenbögen schienen an einigen Stellen nahezu von den Saiten zu fliegen. Auch die Bläser präsentierten sich in gewohnter Höchstform, die Hörner zauberten einen klaren, runden Bläserklang durch den Saal. Warum allerdings Stefan Dohr den Löwenanteil des Hornapplauses bekam, ist mir unklar, den hätte in diesem Werk eigentlich Paula Ernesaks mit ihren sehr zahlreich exponierten und souverän gespielten Soli der 2. Hornstimme verdient.
Nach diesem Konzert gehen die Philharmoniker auf eine europaweite Mahler-Tour. Ob das Publikum beim Amsterdamer Mahler-Festival diese feurige Neunte auch so fulminant feiern wird in Berlin?
Johannes Karl Fischer, 15. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Konzertant: Petrenko und „Madama Butterfly“ Philharmonie Berlin, 25. April 2025
Staatskapelle Berlin, Simone Young, Dirigentin Philharmonie Berlin, 20. April 2025
Utopia Ensemble, Teodor Currentzis Philharmonie Berlin, 10. April 2025