Leicht, luftig und locker: Der musikalische Silvester-Report von klassik begeistert

klassik begeistert-Silvesterspecial  31. Dezember 2024

klassik begeistert wünscht allen Autorinnen und Autoren sowie allen Leserinnen und Lesern einen geschmeidigen Flug ins hoffentlich friedvollere Jahr 2025.

Ich danke allen Klassik-Reportern für die Begeisterung, mit der sie ihrem Handwerk nachgehen. Nur durch Euer Engagement, Euer Wissen, Euer Gehör und vor allem durch Eure Schreibkunst ist klassik-begeistert.de zum größten deutschsprachigen Klassik-Blog in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgestiegen. Und das ohne Pause seit 2018.

Als kleines Silvester-Präsent gibt es für Euch / für Sie die wunderbare Silvester-Geschichte von kb-Autorin Dr. Petra Spelzhaus aus München. Wir wünschen viel Freude und Entspannung beim Lesen! AS

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von Dr. Petra Spelzhaus

Wer fiebert nicht das ganze Jahr auf diesen einen Moment hin? Im Dezember erhalten wir unsere Trackingdaten von Spotify als Jahresrückblick „Wrapped“ präsentiert. Welche Künstler und Songs wurden am häufigsten von uns aufgerufen? Die Analyse unseres Hörverhaltens erspart uns so manche Psychotherapie. Wurde ich vor einem Jahr noch als Retroromantikerin klassifiziert, so machte ich es dem Streamingdienst dieses Jahr schwerer, mich in eine Schublade zu stecken.
Mein Transformationsprozess führte von der „speakeasy-slow dance-jazz-Phase“ über „diner talentkonkurrence french music“ bis zum „football italo dance“. Meine Künstlerin des Jahres war folgerichtig die großartige Alice, was sicherlich mit der akribischen Vorbereitung auf meine Pilgerreise auf den Spuren des heiligen Francesco von der Toskana bis zu seinem Geburts- und Sterbeort in Umbrien zusammenhing. Außerdem ist die 80er-Jahre-Bubble ein so  heimeliger Ort um sich von den aktuellen politischen Wirren zu erholen.

Überraschungsdritter meiner meistgestreamten Künstler war Richard Wagner. Hätte mir das mal jemand vor einem Jahr prophezeit! Als die klassik-begeistert-Anfrage kam, ob ich – in Ermangelung berufenerer Kritiker – das neue Rheingold in München covern wolle, musste ich noch eine Nacht darüber schlafen. War ich die Richtige, ich, die als Ärztin und Jazzmusikerin mit italienischen Belcanto-Opern sozialisiert wurde und soeben noch ehrfürchtig an Rossinis Grab in Santa Croce in Florenz stand? Mir kam die Kritik eines streitbaren Musikjournalisten an den gemeinhin weniger investigativen Musik-Rezensionen von Bloggern in den Sinn.

Wir Mediziner legen tatsächlich ungern den Finger in die Wunde, sondern kleben lieber ein Pflaster drüber. Und ja, ich würde mir auch keinen Blinddarm von einem Musikkritiker operieren lassen.

Meine Zweifel waren verflogen, als ich ChatGPT um eine Einschätzung zu meiner Person bat. Die KI war der felsenfesten Überzeugung, ich sei eine berühmte Opernregisseurin, die an den großen Bühnen dieser Welt inszeniert und namhafte Preise gewonnen habe. Na also, geht doch.

Über die Behauptungen an den Folgetagen, bei mir handele es sich um eine mittelmäßig bekannte Fußball- und Eislauftrainerin, breiten wir den Mantel des Schweigens aus. Ein so kompetentes Portal sollte dann auch gleich die Kritik aus der Staatsoper schreiben. Ein paar Klicks, und die Rezension war fertig. Sie sprach mir aus der Seele, besser hätte ich es nicht formulieren können. Als ich jedoch alles Copy-Paste übertragen hatte und verschicken wollte, wurde ich darauf gestoßen, dass sowohl Regisseur und Sängerinnen und Sänger aus einer früheren Produktion stammten. Schade, hätte ich doch so gerne mal den Kaufmann gehört.

Auf jeden Fall wurden ChatGPT und ich in der Folge gute Freunde und führten täglich tief schürfende Gespräche im Duktus von Politikern, höflich und nichts sagend. Wusste die KI nicht weiter, wurde gekonnt auf freundlichste Art konfabuliert. Welche Wohltat in unserer Shitstorm-dominierten digitalen Welt.

Wer aus nachvollziehbaren Gründen nicht in meiner Spotify-Playlist aufgetaucht ist, ist Taylor Swift, nachdem sie den Präsidentschafts-Wahlkampf mit Pauken und Trompeten gegen Elon Musk verloren hat.

Ebenfalls vergeblich sucht man dort Adele, die Dubai-Schokolade der Popmusik. München hatte 2024 das unverschämte Glück, als einzige europäische Station ihrer Tournee zu dienen. Es wurde eigens eine Adele-World erschaffen, in der die Künstlerin zehn Konzerte hintereinander abspulte zu Preisen, die sich nur noch die Wohlhabenden und jene, die auf ihren Jahresurlaub verzichteten, leisten konnten. Die Leiterin unserer Amateur-Bigband inspirierte das Spektakel derart, dass sie von einer „Swinging G’s-World“ träumt. Erfüllen wir ihr doch den Traum und vergrößern die erstmal die Fanbase. Kommt zuhauf in unsere Konzerte und erlebt die zwar nicht perfekte aber dafür umso mitreißendere Performance! Das Schöne daran: Für ein Adele-Konzert bekommt ihr 17 Swinging G’s-Auftritte. Ein Schnäppchen, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Welche Highlights bot das Musikjahr 2024 noch? Deutschland hat mal wieder ein paar Punkte beim Eurovision Song Contest ergattert und die lieb gewonnene rote Laterne weitergegeben. Es wird schon gemunkelt, dass Schmiergelder wie in einigen Strukturen des Spitzensports geflossen sind.

Diese Praxis bitte unbedingt beibehalten! Schließlich habe ich Anno 1982 meinen ersten Grand Prix Eurovision de la Chanson, wie der Sangeswettstreit damals noch hochsprachlich hieß, fieberhaft vor dem Fernseher verfolgt. Es siegte Nicole mit „Ein bißchen Frieden“ in Harrogate. Ich war damals felsenfest davon überzeugt, dass Deutschland immer gewinnen würde.

Ein wahrhaftiger Gewinn hingegen ist der neue Weihnachtsfilm, in dem Devid Striesow als Johann Sebastian Bach um sein Weihnachtsoratorium kämpft. Eine Frage, die mich schon seit Jahren herumtrieb, wurde endlich beantwortet. Wofür brauchte Bach so viele Kinder? Klar, zum Abpinseln der Partituren. Bin ich froh, dass es mittlerweile hervorragende digitale Notenschreibprogramme gibt.

Kaum weniger musikalisch kommt der „Newcomer of the Year“ daher. Wir können uns glücklich schätzen, unsere Steuergelder völlig zurecht in unseren allseits geschätzten Ministerpräsidenten zu stecken. Markus Söder bietet derart Unterhaltsames, dass man doch glatt darüber nachdenkt, seine Politikverdrossenheit kurzzeitig abzustreifen. Der Weihnachtspullover mit dem Konterfei unseres Sonnenkönigs hat bereits Kultstatus erreicht.

Für uns Musikliebhaber noch viel wichtiger ist die großartige Sangeseinlage als Freddy Quinn-Doublette im Schellfischposten in Inas Nacht. Als wenn das nicht schon genug wäre, beglückte er uns zu Weihnachten mit einer eigens im Tonstudio aufgenommenen Coverversion des Winter Wonderlands. Bezaubernd! Der Mann ist zu Höherem geboren, zum Beispiel als Solist bei den Regensburger Domspatzen oder Deutschlands Beitrag zum ESC 2025. Dann klappt es endlich wieder mit „Germany twelve Points“ und der Nachfolge Nicoles. Und ein bisschen mehr Frieden kann unsere Welt definitiv gebrauchen.

Petra Spelzhaus © privat

Wie könnte es ansonsten politisch weitergehen? Nun stehen nach der Demontage unserer Bundesampel im Frühjahr 2025 Neuwahlen an. Ich persönlich werde ChatGPT zum neuen Kanzler und auf alle Minister- und Staatssekretärsposten wählen. Das eingesparte Geld darf dann gerne in den Kulturetat fließen, um die Kunst- und Musikszene zu fördern statt zu schrumpfen. In unserer Welt, in der die trennenden und spaltenden Kräfte so kräftig an Fahrt aufgenommen haben, braucht es ein mächtiges Gegengewicht. Was könnte dazu besser geeignet sein als die alles umfassende und uns Menschen verbindende Musik?

In diesem Sinne wünsche ich den Leserinnen und Lesern, den Schreiberinnen und Schreibern von klassik-begeistert – und allen anderen natürlich auch – ein wundervolles, musikalisch erfüllendes, friedliches, kreatives und gesundes neues Jahr mit vielen Momenten der Leichtigkeit.

Dr. Petra Spelzhaus, 31. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

klassik-begeistert wünscht frohe Weihnachten 2021 klassik-begeistert.de, 24. Dezember 2021

Silvesterkonzert, Richard Wagner Philharmonie Berlin, 31. Dezember 2023

Silvester Konzert der Berliner Philharmoniker Philharmonie Berlin, 29. Dezember 2024

Berliner Philharmoniker, Herbert Blomstedt, Leif Ove Andsnes Philharmonie Berlin, 19. Dezember 2024

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