Levit dirigiert Levit

Klavierabend Igor Levit   Philharmonie Berlin, 28. Oktober 2024

Igor Levit © Felix Broede Sony Classical 2021

Allen Unkenrufen zum Trotz: Die Klassik lebt. Einer, der hochkarätig dargebotene klassische Musik mit bürgerschaftlichem Engagement verbindet, reißt das Publikum aus den Sesseln: Igor Levit, Träger des Internationalen Beethovenpreises und der Statue B des Internationalen Auschwitz Komitees, spielt Bach, Brahms und Beethoven in der Berliner Philharmonie. (Und nein, für die unnatürliche Ansammlung von Alliterationen kann ich nichts.) 

Klavierabend Igor Levit

Johann Sebastian Bach
Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903

Johannes Brahms
Vier Balladen für Klavier op. 10

Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92 (Bearbeitung für Klavier solo von Franz Liszt)

Philharmonie Berlin, 28. Oktober 2024

von Sandra Grohmann

Beethovens Siebte muss natürlich dirigiert werden. Ein Nicken zu den Hörnern, ein Lächeln in Richtung der Flöten, der Einsatz für die Violinen – das ist selbst dann zu erwarten, wenn die Symphonie in der Klavierfassung von Franz Liszt erklingt.

Jedenfalls dann, wenn Igor Levit diese hochvirtuose Aufgabe übernommen hat und ein lebendiges Mienenspiel hinter der dicken Partitur zeigt, gelegentlich auch mit der rechten Hand einen Einsatz zu geben scheint. Er ruft die ganze Farbigkeit eines Orchesters auf, und wiewohl sein Spiel gelegentlich durchaus hart im Anschlag sein kann, lässt er doch die Geigen erklingen. Diese Vielfalt weckt die Erinnerung an einen seiner Lehrer, Pavel Gililov, der in Entzücken geraten kann, wenn es gelingt, dem Klavier die Stimmen aller möglichen Instrumente zu entlocken.

Beethovens Siebte ist ein Ohrwurm, vor allem natürlich der zweite Satz begleitet die eigenen Schritte nach jedem Hören noch tagelang und lässt sie gemessener ausfallen als sonst. Das ist auch bei Liszts Version nicht anders, die die vielen Orchesterstimmen erhält und aus dem geliebten Stück weder eine hölzerne Transkription noch einen abgerissenen Gassenhauer macht. Ich gestehe, dass mir die Orchesterfassung trotzdem lieber ist und dass mich – anders als den überwiegenden Teil des Publikums – Levits Technik auch nicht aus dem Sitz reißt. Natürlich braucht man, um dieses Werk zu spielen, eigentlich fünf Hände. Mich beeindruckt das, aber es rührt mich nicht an.

Sehr anrührend hingegen die vor der Pause auf dem Programm stehenden Balladen op. 10 und das als Zugabe dargebotene Intermezzo op. 118 Nr. 2 von Johannes Brahms. Zart und gedankenvoll schlagen einen diese Stücke in den Bann. Während des Spiels dirigiert Levit sich nicht nur selbst, hier lässt er nicht nur – wie zuvor schon bei Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge BWV 903 – alle Stimmen deutlich hervor- und wieder zurücktreten, arbeitet delikat mit dem rechten Pedal; hier kostet er nicht allein die Klangfarben seines Steinways aus und brilliert nicht vordergründig: Hier lässt er den Flügel singen, erzählt Geschichten. Er hält die Linie auch im Lento, und das trotz des gelegentlich ein wenig scharfen Anschlags. Das Pianissimo schmiegt sich wie Organza über den Saal, verweht, legt sich wieder. Da wird das Hören zum Lauschen, und wenn Igor Levit seiner Linken zulächelt, dann lächeln wir unwillkürlich mit.

Beethovens 7. gibt es übrigens noch in einer anderen ungewöhnlichen Fassung demnächst wieder in Berlin zu hören (allerdings als Konserve) und zu sehen: vom 5. bis 8. Dezember in der Choreographie von Sasha Waltz und mit den live gespielten elektronischen Ergänzungen von Diego Noguera im Radialsystem Berlin. Die Klassik lebt, kann ich da nur sagen.

Sandra Grohmann, 30. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Antrittskonzert Christian Thielemann, Berliner Staatskapelle, Igor Levit, Klavier Philharmonie Berlin, 8. Oktober 2024

Igor Levit, Klavierabend Die Glocke, Bremen, 4. September 2024

Klein beleuchtet kurz Nr. 12: NDR mit Igor Levit Elbphilharmonie, 4. Februar 2024

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