Andsnes begeistert Wien mit Raritäten-Konzert

Klavierabend Leif Ove Andsnes, Klavier  Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 11. November 2022

Foto: © Gregor Hohenberg

Klavierabend
Leif Ove Andsnes, Klavier

Programm

Alexander Kusmitsch Wustin
Lamento

Leoš Janáček
Sonate 1. X. 1905 »Von der Straße« (1905)

Valentin Silvestrov
Bagatelle op. 1 Nr. 3

Ludwig van Beethoven
Sonate As-Dur op. 110 (1821)

***

Antonín Dvořák
Poetické nálady »Poetische Stimmungsbilder« op. 85 (1889)

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 11. November 2022

von Kathrin Schuhmann

Raritäten waren es, die der Pianist Leif Ove Andsnes für das Publikum im Gepäck hatte, das sich am Freitagabend im prall gefüllten Großen Saal des Wiener Konzerthauses eingefunden hatte. Zwar schmückten neben den zwei eher unbekannteren Komponisten Alexander Kusmitsch Wustin (1943-2020) und Valentin Silvestrov (*1937) die großen Namen Leoš Janáček (1854-1928), Ludwig van Beethoven (1770-1827) und Antonín Dvořák (1841-1904) das Programm, doch wartete Andsnes nicht mit den schon oft gehörten Gassenhauern dieser Geistesgrößen auf, sondern hatte es sich zur Aufgabe gemacht, im Rummel des großen Konzertbetriebs doch eher unterbelichtet gebliebene Werke ins musikalische Scheinwerferlicht zu stellen.

So erklang vom Tschechen Janáček auch nicht der oft dargebotene Klavierzyklus Im Nebel (V mlhách), sondern seine weniger bekannte Klaviersonate mit dem Beinamen Auf der Straße. Das zweisätzige Werk verleumdet seinen Urheber nicht: Die für Janáček charakteristische Klanglandschaft, wie sie sich im zumeist elegisch-klagenden Mollklang entfaltet, begegnet dem Hörer auch in diesem Werk zuverlässig. Leider ließ der starke Pedalgebrauch des Pianisten den dichten Klaviersatz indes vor allem im ersten, mit der Bezeichnung Vorahnung überschriebenen Satz phasenweise unverständlich wirken.

Hingeleitet zu dieser musikalischen Kostbarkeit war zuvor über das dreiminütige Lamento Wustins worden, das durch seine polytonale Anlage unverbrauchte Klangwirkungen erzeugt und insbesondere durch Andsnes Brillanz im Pianobereich zu begeistern vermochte.

Silvestrov dann entführte die Hörerschaft mit seiner Bagatelle op. 1/3 in gänzlich andere Gefilde. Die starke Akzentuierung auf mediantische Harmonik bei zugleich simpler wobei nicht banaler Melodik wirkte nach dem gedrungenen Janáček geradezu erholsam.

Als letztes Stück vor der Pause gab der norwegische Pianist Beethovens As-Dur-Sonate op. 110 zum Besten. Insbesondere die fugato-Passagen des Schlusssatzes strotzten nur so vor interpretatorischer Virtuosität und zogen gewiss auch all jene Zuhörer wieder in den Bann, die vor allem während des herausfordernden ersten Satzes vielleicht ein wenig gedanklich abgeschweift waren.

Den Höhepunkt des Abends stellte zweifelsohne die zweite Programmhälfte dar, die Dvořáks Zyklus Poetische Stimmungsbilder (Poetické nálady) op. 85 bildete. 55 Minuten nehmen die insgesamt 13 Stückchen, wenn man sie alle hintereinander abspielt, in Anspruch. Ein Vorhaben, das am Freitagabend erstmalig im Wiener Konzerthaus realisiert worden war! Noch nie wurde dieser Zyklus zuvor in Wien vollständig, wie auch eigentlich vom Komponisten intendiert, dargeboten.

Böse Stimmen könnten meinen, dass es dafür wahrscheinlich auch gewichtige Gründe gäbe, und ganz Unrecht hätten diese wohl nicht. Denn, obwohl es Dvořák gelingt, in den meisten der kleinen Stücke ganz herrliche Stimmungen zu kreieren, wird man den sich doch häufig wiederholenden gestalterischen Mitteln irgendwann überdrüssig.

Nichtsdestotrotz sei Andsnes, ein im Wiener Konzerthaus immer gern gesehener Gast, ein warmer Dank dafür ausgesprochen, nicht nur mit Dvořáks Zyklus, sondern das gesamte Programm durchziehend, sich auf auch unbekannteres Terrain gewagt zu haben.

Kathrin Schuhmann, 15. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Klavierfestival Ruhr, Marc-André Hamelin und Leif Ove Andsnes  Mülheim an der Ruhr, Stadthalle, 1. Juni 2022

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Robin Ticciati, Leif Ove Andsnes, Klavier, Kölner Philharmonie, 7. Februar 2022

CD Rezension: Lise Davidsen, Leif Ove Andsnes, Edvard Grieg, klassik-begeistert.de

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