NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg, Marin Alsop Dirigentin;
Foto Patrik Klein
Erfolgreiche Frauen dominierten das Konzert in der ausverkauften Elbphilharmonie Hamburg. Auch wenn das Saxophonkonzert des schottischen Komponisten James MacMillan nur fünfzehn Minuten dauerte, brannte es sich doch in die Synapsen des Zuhörers ein.
Da das Saxophon erst im Jahr 1840 erfunden wurde, reichte entsprechend auch die Tradition großer Solokonzerte für dieses Instrument nicht in die Tiefen der Musikgeschichte zurück. Erst im 20. Jahrhundert verwendeten einige Komponisten dieses wohlklingende Instrument, wie zum Beispiel in den Ballettsuiten des letzten Stück des Abends, indem sie es solistisch in ihre Werke implementierten.
Die junge britische Musikerin Jess Gillam, die als führende Vertreterin dieses Instruments gehandelt wird, die die jüngste Solistin in der Geschichte der BBC Last Night of the Proms war, ließ nun mit ihrer dynamischen Bühnenpräsenz und einer ansteckenden Persönlichkeit das Werk MacMillans lebendig werden. In Glitzeroutfit und zunächst etwas scheu betrat sie das Podium, bevor dann die Post im wahrsten Sinne des Wortes abging.
Drei Sätze à fünf Minuten enthielt das auf Archetypen der traditionellen schottischen Musik basierende blechlose Stück. March, Strathspey and Reel hieß der erste bei geradlinigem Marschieren im 2/2-Takt. Eine swingende Sequenz folgte mit einem eingeflochtenem Geigen Solo, bevor es überging zu den typisch furiosen schottischen Tänzen des Hochlands mit auf- und absteigenden Tonfolgen. Im zweiten Satz wurde es dann besinnlicher und eine Art Kommunikation zwischen Soloinstrument und Orchester. Final ging das Stück dann über in ein wild springendes Tänzeln in britische Folk Music. Die Solistin zeigte ganzen Körpereinsatz. Manchmal klang es zwischen Lokomotive und Schiffsnebelhorn, berauschend und auch irritierend. Überraschend dunkel und orakelhaft schwang sich das Ende der Saxophonmelodie mit den Streichern in geheimnisvolle Himmelssphären.
Da das Publikum wie berauscht schien, gab es als Zugabe eine weitere Kostprobe auf ihrem Soloinstrument angelegt zwischen Klassik und Jazz, Virtuosität und Eleganz. Atemberaubend.
Zuvor eröffnete Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 aus seiner einzigen Oper Fidelio das Konzert. Die dramaturgisch wichtigsten Handlungsfäden der Oper wurden in diesen fünfzehn Minuten musikalisch zusammengefasst. Parallelen zu der Handlung und dem musikalischen Vortrag, in der sich eine Frau gegen Herrscherwillkür auflehnte, wären rein zufällig und nicht beabsichtigt. Oder doch? Die amerikanische Dirigentin Marin Alsop trat vor einigen Jahrzehnten als eine der ersten Dirigentinnen in dieser männerdominierten Berufsgruppe auf und gelangte zu großen Erfolgen mit internationalen Orchestern. Sie führte das Orchester wuchtig bis zart verschmolzen zu einer Einheit, Fanfaren erklangen aus dem Off und machten den Hörgenuss bereits zu Beginn des Konzerts zu einem musikalischen Ereignis.
Marin Alsop entführte nach der Pause dann in eine der berührendsten Liebesgeschichten der Welt. Prokofjews »Romeo und Julia« verarbeitete den Shakespeare-Stoff zu einem Ballett, seinem wohl bekanntesten und beliebtesten Werk. Daraus entstanden Suiten, die nicht nur Ballettliebhaber, sondern auch das Konzertpublikum begeisterten. Die Musik war durchflochten mit zartschmelzenden Melodien. Dynamische Tänze gerieten teils aberwitzig virtuos, teils mitreißend durch ihre kraftvollen Rhythmen. Das Orchester folgte der Dirigentin voller Spielfreude und Klangschönheit, erstrahlte in glühendsten Farben und präzisesten Rhythmen. Die auswendig dirigierende Amerikanerin überzeugte mit einer Mischung aus Können, Autorität und wunderbarer Sympathie.
Das Publikum war am Ende kaum zu bremsen.
Patrik Klein, 1. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
NDR Elbphilharmonie Orchester
Jess Gillam Saxofon
Dirigentin: Marin Alsop
Ludwig van Beethoven
Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 op. 72a
James MacMillan
Konzert für Saxofon und Orchester
Sergej Prokofjew
Suiten aus dem Ballett »Romeo und Julia« op. 64
Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!