Lang Lang und Mirga Gražinytė-Tyla; Foto Patrik Klein
Samstag Abend noch brachten zwei Frauen aus den USA und Großbritannien die schönste und bestklingendste Konzerthütte des Globus in wahre Rauschzustände. Jess Gillam und Marin Alsop zeigten in der Elbphilharmonie, was musikalisch heutzutage möglich ist und vor wenigen Dekaden noch verboten und geächtet war. Nun stand eine junge Litauerin am Pult eines der renommiertesten Orchester überhaupt und ließ die Absage von Christian Thielemann vergessen.
Da konnte sogar der Weltstar am Klavier, Lang Lang, trotz sensationellem Spiel kaum von der zarten Person mit klarem und raumgreifenden Taktstockansagen ablenken.
„Mutter Gans“ (Ma mère l’oye) von Maurice Ravel in orchestrierter Fassung stand als erstes auf dem Programm. Das impressionistische Klanggemälde mit detailverliebter Märchenerzählung, in der viel Kinderseele steckt, geriet zu einer grandiosen Mischung aus Wissen über die Absichten Ravels und einer Portion kindlicher Naivität. Das groß besetzte Orchester erfasste die Harmonien und Klangflächen des Komponisten und spielte so beeindruckend natürlich, dass eine unschuldige und simple Poesie entstand, wie sie bei Kindern vorhanden sein sollte.
Und dann kam der Weltstar am Klavier Lang Lang, der in dem vom Jazz beeinflussten Konzert für Klavier und Orchester G-Dur mit technischer Brillanz und einfühlsamen Zusammenspiel mit der Staatskapelle Dresden aufwartete. Mit etwa 20 Minuten Länge ist das Klavierkonzert von Ravel kein bombastisches Stück, mit dem ein Pianist brillieren kann. Es muss leicht klingen, heiter und unterhaltsam im besten Sinne des Wortes. Leicht zu spielen war es deshalb noch lange nicht. Weder für den bestens aufgelegten Pianisten, noch für das schlank besetzte Orchester, das vor allem für die Bläser einiges an Herausforderung bot. Es begann mit einem Peitschenknall, der die Zuhörer wie in eine Zirkusarena versetzte. Nach einem seltsam anmutenden Geflirre von Tönen spielte die Piccoloflöte einsam das erste Thema. Der langsame zweite Satz des Klavierkonzerts hat als eines der schönsten „Lieder ohne Worte“ Musikgeschichte geschrieben.
Zirkusambiente wie aus dem vorhergehenden Satz mit Anspielungen an die baskische Heimat Ravels machte sich nun breit, gespickt mit Blues- und Jazz-Souvenirs von seiner letzten Amerika-Reise. Zum Finale dann der rasante dritte Satz in der Art eines „Perpetuum mobile“, der eine Jagd durch die Instrumente mit ebenso abruptem Ende wie Anfang darstellte.
Lang Lang ließ mit immer weniger Manierismen als in frühen Zeiten seine Hände über die Tasten gleiten voller Zartheit und Empathie. Dann schraubte er sich kraftvoll in virtuosen Läufen, den Kopf im Nacken zurücklehnend in perfekt abgestimmte Kommunikation mit dem Orchester. Als Zugabe gab es von Debussy „Clair de lune“, bei dem der phänomenale Pianist seine differenzierte Anschlagtechnik auf die Spitze trieb.
Präzision, emotionale Tiefe und Lebendigkeit sind Bezeichnungen, die sich die Dirigentin aus Litauen in den letzten Jahren erworben hatte. Erwartungsgemäß spannungsreich, ausdrucksstark, präzise und äußerst dynamisch gerieten dann auch nach der Pause die beiden Werke Claude Debussys La mer und Maurice Ravels Daphnis et Chloé.
Dass das Publikum am Ende zwar ordentlich Beifall spendete, der Funken wie im gestrigen Konzert allerdings nicht ganz so übersprang, war sicherlich der im Konzertprogramm konzentrierten impressionistischen Literaturauswahl geschuldet.
Sächsische Staatskapelle Dresden
Lang Lang, Klavier
Dirigentin: Mirga Gražinytė-Tyla
Maurice Ravel
Ma mère l’oye / Suite für Orchester
Konzert für Klavier und Orchester G-Dur
Zugabe Lang Lang: Debussy, Clair de lune
Claude Debussy
La mer / Drei sinfonische Skizzen
Maurice Ravel
Daphnis et Chloé / Fragments symphoniques, deuxième série
(Klassik-begeistert-Autor Patrik Klein)
Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!