(Gustav Mahler Jugendorchester mit Ingo Metzmacher; Foto PK)
Das von Claudio Abbado in den 1980er Jahren gegründete Jugendorchester, welches als eines der besten Nachwuchsorchester der Welt gilt, tut sich mit einer riesigen, beinahe podiumsüberfüllenden Besetzung schwer mit Beethoven und Schönberg, kommt aber dann nach der Pause mit einer überbordenden Klangwucht von Schostakowitschs Sinfonie Nr. 8 aus der Deckung.
von Patrik Klein
Vor einigen Jahren bereits erlebte ich in Bozen das Orchester unter Marc Minkowski und hatte es noch bis heute in blendend guter Erinnerung, war begeistert von einer Truppe junger Leute auf dem Sprung in die Weltelite der großen Orchester. Die Musiker sprühten damals vor Motivation, Harmonie mit dem Dirigenten und gekonnter Interpretation der Werke.
Beim Elbphilharmonie Sommer Gastspiel gestern Abend war davon zunächst wenig bis nichts zu spüren. Man hatte eine riesige Besetzung aufgefahren mit 9 Kontrabässen, reichlich besetztem Blech und Holz, fettem Schlagwerk, Celesta und vor allem einer schier unendlichen Schar an Streichern.
Im ersten Teil des Konzertes nahm man dann mit genau dieser riesigen Besetzung Schönbergs Fünf Orchesterstücke mit Beethovens Coriolan- und Leonoren-Ouvertüre attacca in die Zange. Oder wollte man damit den Komponisten, der als einer der einflussreichsten des frühen 20. Jahrhunderts gilt, vielleicht umarmen?
Taktstocklos und kaum metrische Schläge vollziehend suggerierte Metzmacher mehr, als er dirigierte und das kam bei seinem Orchester in meiner Wahrnehmung nur unzureichend an. Man blickte in verstörte aber konzentrierte Gesichter von Musikern, die versuchten keine Fehler zu machen. Blicke zum Dirigenten suchte man vergeblich. Als wollte man sich verstecken. Und sorry, das hörte man dann auch leider bei Beethoven und auch bei Schönberg. Die Präzision war dahin, die Farben verblassten, man war sogar manchmal in einigen Instrumentengruppen über einen Takt auseinander. Muss man Beethoven so wuchtig, so überlaut und so unpräzise spielen?
Das Orchester hatte keine Seele, keine organische Atmung und keinen Zusammenhalt. Das klang manchmal ganz ordentlich, aber weit davon entfernt von dem, was ich in Bozen erlebte.
Zum Glück war es dann nach der Pause deutlich besser mit Schostakowitschs „Stalingrader“ von 1943. Thematisiert über den Wendepunkt des zweiten Weltkrieges mit einer Art Requiem statt pompöser Siegeshymne versuchte der Komponist die Erwartungen seines Auftraggebers zu erfüllen. Das Stöhnen des russischen Volkes unter der Herrschaft des Kremls wurde von ihm in unter die Haut gehende Noten gepackt.
Vor allem das Blech und das groß besetzte Schlagwerk liefen beim zweiten Teil des Konzerts zu Höchstform auf. Scheinbar waren die Musiker auf dem Podium bei unveränderten Verhaltensmustern wie im ersten Teil des Konzertes trotz Dirigenten einfach selbstsicherer.
Zum Schluss gab es dann auch ordentlich Applaus nicht nur von den vielen mitgereisten Orchesterfreunden.
Patrik Klein, 29. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gustav Mahler Jugendorchester
Dirigent: Ingo Metzmacher
Ludwig van Beethoven
Ouvertüre zu »Coriolan« op. 62
Arnold Schönberg
Fünf Orchesterstücke op. 16
Ludwig van Beethoven
Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 op. 72a
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65
Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!
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