Klein beleuchtet kurz 55: Utopia gibt sich mit Brahms und Mahler erneut die Ehre in der Elphi

Klein beleuchtet kurz 55: Utopia mit Brahms und Mahler  Elbphilharmonie, 9. April 2025

Regula Mühlemann, Teodor Currentzis, Utopia Orchester (Foto Patrik Klein)

Das mittlerweile zur absoluten Weltklasse zählende Utopia Orchester unter der Leitung des griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis greift wieder einmal aus einer Farbpalette der Möglichkeiten die schillerndsten Töne heraus und sorgt für Jubelstürme im ausverkauften Haus in Hamburgs Hafen City.

von Patrik Klein

Man fragt sich ja immer wieder, warum jeder Ton, der vom Podium strömt und die Synapsen des Zuhörers streichelt, diese besondere Wirkung des Utopia Orchesterklangs auslöst.

Unterhält man sich mit Musikern des Orchesters, so vernimmt man Ehrfurcht vor der Arbeit des charismatischen Dirigenten. Man probe intensiv bei den Vorbereitungen, jüngst im Funkhaus Berlin, manchmal bis spät in den Abend. Tarifliche Restriktionen sind weitgehend unbekannt, denn jeder Musiker des Orchesters hat einen verpflichtenden Projektvertrag.

Auch interpretatorisch lobt man den Chef am Pult in ganzer Linie, denn er hat klare Vorstellungen einerseits, ist aber auch weitgehend offen für Impulse aus dem Orchester. So kommt es denn, dass diese besondere Fokussierung auf die Musik und die Spielfreude im Zentrum eines jeden Konzertes steht.

Alexandre Kantorow, Teodor Currentzis, Utopia (Foto Patrik Klein)

Und dann ging man auf Tournee in fünf großen Städten: Hamburg, Berlin, München, Stuttgart und Rom. Auf der Premiere am gestrigen Abend standen erneut zwei packende Werke auf dem Programm, deren Intensität und Klang die Spielfreude des Orchesters, bestehend aus mehr als 100 Mitgliedern aus 30 Nationen, die sonst fest in europäischen Klangkörpern spielen, unterstrich. Dabei hatte Currentzis prominente Unterstützung vom französischen Klavier-Shootingstar Alexandre Kantorow und der aus der Schweiz kommenden Starsopranistin Regula Mühlemann.

Deckellos das Klavier im Orchester integriert – Pianist und Dirigent schauten sich direkt und tief in die Augen.

Brahms Zweites Klavierkonzert wurde vom Komponisten kleinlaut als ein „klitzekleines Konzert mit einem ganz kleinen zarten Scherzo“ beschrieben, was eine maßlose Untertreibung darstellte und in Wahrheit extrem virtuos, technisch höchst anspruchsvoll und ausgerechnet das Scherzo besonders dramatisch angelegt wurde.

Diesen Anforderungen wurde der junge Pianist Alexandre Kantorow, den man mit seinen knapp 30 Jahren bereits mit den berühmtesten Orchestern der Welt erleben konnte, in überragender Weise gerecht. Sein fulminantes, immer im Einklang mit dem Orchester stehendes Spiel, zeichnete sich durch scheinbaren Mühelosigkeit aus. Es war gekennzeichnet durch eine immense Zusammenstellung technischer Brillanz, tiefgründiger Verbundenheit mit der Musik, dabei den Klangfarbenreichtum und Spannungsaufbau immer im Fokus habend.

Im Gleichgewicht zwischen Kopf und Herz.

Teodor Currentzis und Alexandre Kantorow (Foto Patrik Klein)

Auch rein optisch wirkte seine Präsenz nie geschauspielert oder manieriert, sondern diente nur dem puren musikalischen Ausdruck. Lyrische Passagen wurden mit großer Poesie gestaltet und im nächsten Moment ein voller, orchestral anmutender Klang entwickelt, der sich geschmeidig in das präzise Orchester wie in einem spielerischen Dialog einfügte.

Der balsamisch anmutende Beginn mit dem Hornsolo ließ den Zuhörer erahnen, dass heute Abend starke Musik vom Podium strömen wird.

Taktstocklos dirigierte Currentzis mit teils ausladenden und intensiven Gesten, als ob er die Musik ausatme – ein Gänsehautschauer jagte den nächsten. Das Zusammenspiel zwischen Pianist und Orchester, ein intensiver Dialog zwischen beiden konnte direkter kaum sein. Im dritten Satz hörte man leiseste Cello- und Klarinetten Klänge, die an Zartheit kaum zu überbieten waren und das feine Spiel Kantorows umrahmten. Im letzten Satz im 6/8tel Takt standen alle Streicher auf, um den Walzeranklängen zusätzlichen Ausdruck zu verleihen.

Die Hütte tobte und der Mann an den Tasten gab noch einmal Brahms mit seinem Intermezzo Op. 117 zum Allerbesten.

Nach der Pause wurde noch einmal umgebaut, das Orchester neu sortiert und die Streicher standen von Beginn an. Mahlers zugänglichste und heiterste, von liedhaften Melodien und einer beschwingten Orchestrierung geprägte vierte Sinfonie bahnte sich ihren triumphalen Weg. Die klassizistische Schlichtheit der Komposition mit einer überschaubareren Orchesterbesetzung ohne Posaunen, Tuba und nur vier Hörnern ließ die Musik tänzerisch und verspielt leicht wirken. Der Konzertmeister gab mit seiner auf einem Stuhl abgelegten Solovioline ein traurig tragendes Solo im dritten Satz.

Dann im Finale, dem Sopranlied über das himmlische Leben aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, wurde ein naiver, kindlicher Ton angeschlagen. Regula Mühlemann war im Orchester positioniert ebenfalls direkt ins Auge des Dirigenten blickend.

Regula Mühlemann sang wie ein Engel.

Utopia (Foto Patrik Klein)

Die Schweizer Sopranistin, die für ihre klare und lyrische Stimme zu den momentan meist gefragten Sängerinnen der Welt zählt, vereinte ihre künstlerischen Möglichkeiten zu einer feinfühligen Liedinterpretation mit einer tiefen emotionalen Ausdruckskraft auch in den anspruchsvollsten Passagen mühelos präzise gestaltend und das Orchester überstrahlend. Sehnsuchtsvoll und poetisch erzeugte sie eine zarte und innige Atmosphäre, die die Zuhörer in den Kosmos Gustav Mahlers hineinzog. Man konnte sich dem Zauber der Musik, der Natürlichkeit und Unmittelbarkeit des Orchesters und dem himmlischen Gesang Mühlemanns nicht entziehen.

Nach ein paar Sekunden nachdenklicher Stille brach der Jubel aus – völlig zu recht.

Patrik Klein, 10. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Utopia

Regula Mühlemann, Sopran
Alexandre Kantorow, Klavier

Dirigent: Teodor Currentzis

Johannes Brahms
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 83

Zugabe des Pianisten: Brahms Intermezzo Op. 117

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester und Sopran

(c) Patrik Klein

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!

Klein beleuchtet kurz 48: Teodor Currentzis und das Utopia Orchester

UTOPIA Dirigent Teodor Currentzis Elbphilharmonie, 18. Mai 2024

Klein beleuchtet kurz 6: Teodor Currentzis in der Elphi Elbphilharmonie, 12. Dezember 2023

8 Gedanken zu „Klein beleuchtet kurz 55: Utopia mit Brahms und Mahler
Elbphilharmonie, 9. April 2025“

  1. Ein wunderbarer Bericht eines wunderbaren Konzertes!

    Die von der Sopranistin vorgetragene Zugabe, zauberhaft leise begleitet vom Orchester, war unglaublich…Um welches Stück handelte es sich?

    Robert Welling

  2. Die Zugabe was das 4. Lied der Vier letzten Lieder von Richard Strauss. Kantarows Zugabe war übrigens keineswegs ein Brahms Intermezzo, sondern eine Transkription des Liedes Litanei auf das Fest Allerseelen von Schubert, durch das sehr freie Metrum als solches aber kaum zu erkennen.

    Michael Brehmer

    1. Lieber Herr Brehmer,
      schauen Sie gerne beim Veranstalter, der dürfte es ja noch besser wissen:

      Johannes Brahms
      Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 83

      Zugabe:

      Johannes Brahms
      Intermezzo Es-Dur op. 117/1

      – Pause –

      Gustav Mahler
      Sinfonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester und Sopran

      Zugabe:

      Richard Strauss
      Morgen! op. 27/4

      Beste Grüße
      Patrik Klein

  3. Beim Konzert in Berlin gab es in der Tat (leider!) kein Brahms Intermezzo als Zugabe, sondern Schuberts Litanei in Bearbeitung von Franz Liszt. Sollte Kantarow in Hamburg eine andere Zugabe gegeben haben? Das Intermezzo op. 117 ist halt sehr bekannt, das ließe sich eigentlich nicht verwechseln.

    Kirsten Liese

    1. Hallo Kirsten,
      ich hatte es mir bereits gedacht, dass man hier die Konzerte in Hamburg und Berlin mit unterschiedlichen Zugaben bedacht hatte. So what, die Hauptacts waren ja identisch, also eine mögliche Diskussion akademisch. Der nette Herr mit den Anmerkungen hätte es beim Lesen meines Artikels, der sich eindeutig auf die Elphi Hamburg bezog, differenzieren können.
      Viele Grüße aus HH
      Patrik

  4. Das verrückte war ja (in Berlin): die 4. kam kein bisschen heiter daher, das war ehr ein Totentanz. Und dafür, dass sie von der Besetzung her ja eher klein konzipiert ist, haben allein 100 (!) Streicher einen unfassbaren satten, warmen Klang erzeugt … war zwei Wochen vorher in Madrid zu Mahlers 2., der Mann ist echt jede Reise wert. Aktuell gibt es einen frischen Artikel im Spiegel zu seinem Standing in der Kulturlandschaft, finde den fair geschrieben, lesenswert …

    lutz stordel

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