Tristan und Isolde, Catherine Foster und Bryan Register; (Foto Marlies Kross)
Ein Intendant gönnt sich zum Abschied noch einmal Wagner – in einem der schönsten deutschen Opernhäuser brennt man ein finales Feuerwerk mit großen Stimmen ab
von Patrik Klein
Stephan Märki, der Schweizer Schauspieler, Regisseur und seit der Spielzeit 2020/21 Intendant am Staatstheater Cottbus scheidet aus dem Amt und setzte noch einmal Wagners Meisterwerk Tristan und Isolde auf den Spielplan. Er führte bei der Neuproduktion 2023 selbst Regie und fand mit seiner bereits damals exzellent besetzten Inszenierung überregionale Beachtung.
Hierbei stand der Glaube an die große Liebe zwischen den beiden Protagonisten und die Verlegung der Geschichte in die Weiten des Weltraums im Zentrum. Die Bühne erinnerte an eine Art Raumkapsel, deren Dreidimensionalität fein integriert wurde in die Jugendstilarchitektur des herrlich anzusehenden Cottbusser Opernhauses. Man glitt durch die Galaxien, erlebte hautnah die Tücken des Weltraums und fühlte sich wie im Parsifal, als ob sich die Zeit zum Raum verwandelte. Bereits nach dem Vorspiel geriet die Szene durch den Klang der Stimme des jungen Seemanns aus den Proszeniumslogen bei erleuchtetem Sternenhimmel der Decke darüber zu einem Meisterwerk der optischen und akustischen Verschmelzung. Und so rauschte man durch das Weltall, bis die gesamten Mitstreiter des Protagonistenpaares im Laufe der Handlung zu Greisen nahe am Tod mutierten.
In der dann alles entscheidenden Szene im dritten Aufzug, da saß der Held Tristan schwer und tödlich verletzt im Raumgleiter, die Masse und Energie der Unendlichkeit des Raumes drohte ihn wie in einem Sog die letzte Menschlichkeit zu entziehen. Beäugt von der Liebestrankspenderin Brangäne erschien Isolde im allerletzten möglichen Moment und nahm ihn bei den Händen, zusammen in den Weltraum schreitend und selbst zu funkelnden Sternen werdend (irgendwie erinnerte mich das ein wenig an die berühmte Ruth Berghaus-Inszenierung in Hamburg vor etlichen Dekaden). Zum Finale beeindruckten die beinahe zu Kunstwerken zählenden Mäntel der beiden Sterbenden, die mit vielen winzigen Leuchten verziert waren und zu Sternschnuppen mutierten.
Da musste man nach dem letzten Ton erst einmal die eigenen Tränen trocknen und die Krawatte öffnen.

Das komplette Ensemble des Staatstheaters mit seinen angereisten Wagneropernstars, der Opernchor und das Philharmonische Orchester wuchsen an diesem 1. Mai über sich hinaus und bescherten dem ausverkauften Haus puren Wagnergenuss.
Genuss auf ganzer Linie wie bei einem Drei-Sterne-Menü in Kevin Fehlings „The Table“
Natürlich hatten die Gäste, der Tristan des Bryan Register, der König Marke des Albert Pesendorfer, die Isolde von Catherine Foster und schließlich die Brangäne von Christa Mayer bewiesen, dass sie zu recht auf den allergrößten Opernbühnen dieser Welt zu Hause sind. Und sie sangen klug in diesem kleinen Haus. Häufig geriet der Gesang kammermusikalisch und feinste Nuancen traten zu Tage, die man in voluminöseren Sälen gerne überhört. Beim Liebesakt im zweiten Aufzug „O, sink hernieder, Nacht der Liebe!“ oder als der fulminant auftrumpfende König Marke seine Zuneigung zum untreuen Tristan besang und natürlich zum finalen „Mild und leise, wie er lächelt,…“ liefen dem Liebhaber kammermusikalischer Feinheiten wohl Gänsehautschauer im Sekundentakt über den Rücken.
Auch das Hausensemble mit Andreas Jäpel als Kurwenal, Nils Stäfe als Melot und schließlich Hardy Brachmann als Hirte und Seemann konnte an diesem Abend wohlklingend überzeugen.
Alexander Merzyn, Generalmusikdirektor des Hauses, hatte sicherlich den größten Anteil an dem Klangrausch des Abends. Er leitete sein Philharmonisches Orchester mitsamt dem Opernchor des Staatstheaters Cottbus souverän und große Spannungsbögen aufbauend durch den Abend. Aufrichtig und mit feinst eingesetzter Dynamik, exquisiter Intonation sowohl aus dem Bereich der Streicher als auch der Bläser, zog der Dirigent die Zuhörer in ein rotierendes Kraftwerk der Emotionen, die bestens disponierten Sänger nie zudeckend, aber immer mit klaren Gesten unterstützend.
Die rund 500 Menschen im nicht ganz ausverkauften Haus am Schillerplatz, von denen etliche von weit angereist kamen, waren entsprechend aus dem Häuschen. Wo konnte man einem solchen musikalischen Leckerbissen so nahe und so intim beiwohnen?

Richard Wagner: Tristan und Isolde
Musikalische Leitung: Alexander Merzyn
Regie: Stephan Märki
Bühne: Philipp Fürhofer
Kostüm: Hannah Barbara Bachmann, Philipp Fürhofer
Chor: Christian Möbius
Tristan: Bryan Register
König Marke: Albert Pesendorfer
Isolde: Catherine Foster
Kurwenal: Andreas Jäpel
Melot: Nils Stäfe
Brangäne: Christa Mayer
Ein Hirte: Hardy Brachmann
Ein Steuermann: Nils Stäfe
Stimme eines jungen Seemanns: Hardy Brachmann
Opernchor des Staatstheater Cottbus
Das Philharmonische Orchester
Patrik Klein, 1. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!
Klein beleuchtet kurz 57: Dorothee Oberlinger Elbphilharmonie, 18. April 2025,
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