Klein beleuchtet kurz 60: Bayreuth ist wie nach Hause kommen

Klein beleuchtet kurz 60: Bayreuth ist wie nach Hause kommen  Bayreuther Festspiele, 13. August 2025

Bayreuther Festspielorchester unter Christian Thielemann; Foto Patrik Klein

Kaum hat man seine Ferienwohnung im beschaulichen Eckersdorf ganz in der Nähe des Schloss Fantaisie bezogen, hat sich in der Community von Bayreuth als anwesend geoutet und schon sind am Abend Freunde um den Tisch versammelt – Orchestermusiker, Chorsänger, Sänger – und man hat sich viel zu erzählen – das ist Bayreuth.

von Patrik Klein

Im letzten Jahr hatte ich mal auf den Besuch der Bayreuther Festspiele verzichtet und war stattdessen für zwei Wochen bei den Wertinger Festspielen unterwegs für klassik-begeistert. Da könnte man denken, was für eine Alternative ist das denn? Weit gefehlt, denn in dem Ort nahe Augsburg fand und findet jedes Jahr ein attraktives Festival mit Konzerten, Liederabenden und Kinderopern statt, wo sich auch einige Künstler aus Bayreuth betätigen, man genießen kann, Kontakte knüpft, ja einfach Spaß hat.

In diesem Jahr musste es aber mal wieder die Stadt am Roten Main sein. Vier Abende waren gebucht, beginnend mit „Parsifal„, am nächsten Tag „Lohengrin„, darauf folgend „Tristan und Isolde“ und schließlich die Neuproduktion der Saison „Die Meistersinger von Nürnberg“. Erstmals saßen wir in der Galerie Reihe 1 und 2 und waren verblüfft von der phänomenalen Akustik dieser Plätze. Und wie das so bei mir üblich ist, wenn mit privaten Tickets ins Opernhaus marschiert wird, dann gibt es in den Social Medias am Abend danach ein aktuelles Update meiner Empfindungen und etwas später den Beleuchter für Klassik-begeistert.

Blick aus der Galerie Reihe 1; Foto Patrik Klein)

Parsifal

Man ist ja förmlich hingerissen von der exzellenten Festspielakustik auf der Galerie Reihe 1. Da kommt die Verwandlungsmusik und der Karfreitagszauber mit glühendem Wagnermischklang aus dem gedeckelten Orchester.

Und erst die herausragenden Stimmen des Abends, sie stehen wie eine Eins im Raum mit voller Textverständlichkeit.

 – wer hier nach Übertiteln schreit, ist selber schuld –

Ein wirklich starker Abend mit viel Jubel für alle Beteiligten – Im ersten Akt geriet das Orchester mit sehr gedehnten Tempi tragend und Anmut verströmend, im zweiten und dritten Akt gelangten die Spannungsbögen auf direktem Weg ins Zentrum der Zuhörerwonne – das Ensemble war von A bis Z festspielwürdig – entsprechend akkumulierte das Schlussgetrampel und die Bravosalven – Klasse Orchester – Klasse Chor – die Solisten zum Niederknien –

Die Regie von Jay Scheib nach der von mir vor 2 Jahren gesehenen und rezensierten Produktion geriet noch intensiver, einleuchtender mit einem radikalen Schluss – bärenstark –

Morgen kommt Lohengrin mit einer satten Besetzungsänderung in der Titelrolle (Bereits in der zweiten Pause erfuhr man über Social Media von der Sommergrippe des Piotr Beczala; die Festspielleitung entschied sich blitzschnell gegen das Cover und für Klaus Florian Vogt)

Curtain Call Parsifal; Foto Patrik Klein

Lohengrin

Bayreuther Festspiele – Lohengrin – man muss es so deutlich sagen: wenn Christian Thielemann dieses großartige Orchester dirigiert und diese Spitzenmusiker aus vielen europäischen Top-Orchestern zu motivieren weiß, dann ist das, als ob man auf eine Reise eingeladen wird, auf der man alles erleben kann, was das Herz begehrt und was möglicherweise der Intension des Komponisten sehr, sehr nahe kommt.

Ich empfinde es wie eine Fahrt auf einem Nachen, der durch die verschiedensten Formen von Gewässern schippert – mal gelassen fließend, ja fast stehend wie ein stiller Teich; dann mal in schwungvolle Flüsse abdriftend, schäumende, gar wütende Wasserfälle hinunterpoltert, Erdbeben erlebend und Tsunamis überdauert, aber die Ruhe und die Anmut erstrebend gleitet auf den schillernden Spiegelflächen der Ozeane nach einem Orkan.

Zu recht bekommt die Truppe unter dem Deckel donnernden Applaus – auch der neue Chor erspielt und singt sich in meinen Ohren mit Zauber und Gesangskultur wonnevoll ins Herz – kraftvoll, präzise, textverständlich und immer bestens im Gleichgewicht mit Solisten und Orchester –

Wer hätte das gedacht? Das Gesangsensemble beachtlich wie immer auf dem Grünen Hügel – einer der Höhepunkte des Abends für mich das Duett Elsa/Ortrud im zweiten Akt –

Hier wurde mir klar, dass ich vor einigen Jahren in Lübeck eine Senta erleben durfte, wo ich wusste, die hörst Du irgendwann mal ganz woanders – eben war es so weit:

Miina-Liisa Värelä hat alles, was eine Ortrud braucht – ganz klar bekommt sie von mir die Krone des Gesangs an diesem kurzweiligen Abend –

Tristan und Isolde

Tristan und Isolde – in dieser Musik steckt so viel Liebe, Leidenschaft, Erotik und pure Lust, dass es schwerfällt zu akzeptieren, dass die Bilder der Inszenierung Tristesse, Zerfall und das Festhalten an alten Traditionen suggerieren –

Dafür trumpft die Musik an diesem Abend umso stärker auf – aus dem Graben strömen langsam dahinwogende Wellen voller Dramatik und Spannungsbögen, die sich lustvoll aufbauen und entladen –

Curtain Call Tristan und Isolde; Foto Patrik Klein

In der Pause traf ich mich dann mit der Festspielleiterin, irgendwie ist auch das schon lieb gewonnene jährliche Tradition und für mich eine besonderes Vergnügen, mal so „en passant“ mit der Urenkelin des Komponisten und eine der bedeutendsten Intendantinnen unserer Zeit einen Klönschnack zu halten.

Semyon Bychkov, einer meiner Favoriten in der Elbphilharmonie, wird zu recht am Ende gefeiert ohne wenn und aber – die Sängerriege durchweg prachtvoll – die beiden Protagonisten beneidenswert kraftvoll, leidenschaftlich und klug Kräfte aufteilend –

Camilla Nylund ist als Isolde auf dem Höhepunkt ihrer Gesangskunst; der Liebestod „Mild und leise wie er lächelt, wie das Auge hold er öffnet – seht ihrs Freunde? Seht ihrs nicht?“ gelingt so tiefgründig, anrührend und authentisch, dass einem die Tragweite dieser letzten Worte einer Sterbenden lange im Sinn bleiben – großartig – Jubel – morgen Meistersinger – good night

Curtain Call Meistersinger; Foto Patrik Klein

Die Meistersinger von Nürnberg

Da lässt man doch tatsächlich aus der aufgeblasenen deutschen Kuh die Luft raus! Unverschämtheit oder kleine Spitze in der an sich komischen Interpretation?

Nach dem Motto in der Schule: Das Beste kommt zum Schluss: eigentlich hatte ich die Meistersinger nie so eindeutig auf meiner Favoritenliste der Wagneropern – zu lang, zu deutungsschwer, zu umstritten – aber schon der von mir lange Zeit bewunderte Stefan Mickisch bezog in seinen Vorträgen immer stärker die Qualitäten der Meistersinger ein – „je länger man sich mit ihnen beschäftigt, umso aufregender wird die Musik“

Es schien mir in der vierten besuchten Oper auf dem Grünen Hügel in dieser Saison, dass ich diesem Motto langsam näher kommen werde.

Eigentlich war ich besonders fokussiert auf das Debut des Michael Spyres als Stolzing, der mir in der Elbphilharmonie mit einem atemberaubenden Pollione aufgefallen war.

Der langen Rede kurzer Sinn, es wurde ein berauschender Abend, ein berauschend langer Abend voller sprühenden farbigen Ideen sowohl auf der Bühne als auch aus dem Graben – wenn auch nicht alles klappte, dem Mann am Pult schon mal die Pferde durchgingen oder die Balance zwischen Chor, Orchester und Solisten etwas aus den Fugen geriet.

Apropos Fuge: die gelang im zweiten Akt durchaus gut, besser als in der Premiere – auch ein Grund, warum ich da so gut wie nie hin gehe – aber diese Musik, diese Vielzahl an aufeinander oder nebeneinander herlaufenden glühenden Motive aus allen Musikepochen – spitzfindig auf die Schippe genommen und immer wieder motivisch in Wagners Kompositionswelt zurückgeholt. Das flashed!

Die Ohren wurden immer größer und nahmen Stimmungen wahr, die mir bislang entgangen waren – und dann dieses Ensemble aus wirklich großartigen Sängern – und zwei Sängerinnen.

Allen voran der Hans Sachs von Georg Zeppenfeld und der Beckmesser des Michael Nagy – wow – das war und ist Weltklasse –

Georg Zeppenfeld als Hans Sachs; Foto Patrik Klein

Ich nehme das Wort eigentlich selten in den Mund, aber hier ist es angebracht – absolut angebracht.

Spyres Stolzing war stark, hatte für mich aber im Mezza Voce Bereich und bei einem oberen Registerwechsel einen etwas sonderbaren (buttrigen) Klang – alle anderen noch hier aufzuführen würde die Kurznotiz sicher sprengen.

Kurzum, es war ein äußerst kurzweiliger siebenstündiger Abend voller Höhepunkte – die kleinen Patzer auszugleichen wird der Truppe in den nächsten Abenden sicher gelingen –

– good night und auf auf zu neuen Taten in 2026.

PARSIFAL 8. August 2025

Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado
Regie: Jay Scheib
Bühne: Mimi Lien
Kostüm: Meentje Nielsen
Licht: Rainer Casper
Video: Joshua Higgason + AR Parsifal
Dramaturgie: Marlene Schleicher
Chorleitung: Thomas Eitler-de Lint

Amfortas: Michael Volle
Titurel: Tobias Kehrer
Gurnemanz: Georg Zeppenfeld
Parsifal: Andreas Schager
Klingsor: Jordan Shanahan
Kundry: Ekaterina Gubanova

  1. Gralsritter:Daniel Jenz
  2. Gralsritter:Tijl Faveyts
  3. Knappe:Lavinia Dames
  4. Knappe:Margaret Plummer
  5. Knappe:Gideon Poppe
  6. Knappe:Matthew Newlin

Klingsors Zaubermädchen: Evelin Novak, Catalina Bertucci, Margaret Plummer, Victoria Randem, Lavinia Dames, Marie Henriette Reinhold

Altsolo: Marie Henriette Reinhold

LOHENGRIN 9. August 2025

Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Regie: Yuval Sharon
Bühne: Neo Rauch, Rosa Loy
Kostüm: Neo Rauch, Rosa Loy
Licht: Reinhard Traub
Chorleitung: Thomas Eitler-de Lint

Heinrich der Vogler: Mika Kares, Andreas Bauer Kanabas (01.08.)
Lohengrin: Klaus Florian Vogt kurzfristig für den erkrankten  Piotr Beczała
Elsa von Brabant: Elza van den Heever
Friedrich von Telramund: Olafur Sigurdarson
Ortrud: Miina-Liisa Värelä
Der Heerrufer des Königs: Michael Kupfer-Radecky

  1. Edler:Martin Koch
  2. Edler:Ya-Chung Huang (04.08.), Gideon Poppe
  3. Edler:Felix Pacher
  4. Edler:Markus Suihkonen

TRISTAN UND ISOLDE  10. August 2025

Musikalische Leitung: Semyon Bychkov
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Bühne: Vytautas Narbutas
Kostüm: Sibylle Wallum
Dramaturgie: Andri Hardmeier
Licht: Sascha Zauner
Chorleitung: Thomas Eitler-de Lint

Tristan: Andreas Schager
Marke: Günther Groissböck
Isolde: Camilla Nylund
Kurwenal: Jordan Shanahan
Melot: Alexander Grassauer
Brangäne: Ekaterina Gubanova
Ein Hirt: Daniel Jenz
Ein Steuermann: Lawson Anderson
Junger Seemann: Matthew Newlin


DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG 11. August 2025

Musikalische Leitung: Daniele Gatti
Regie: Matthias Davids
Bühne: Andrew D. Edwards
Kostüm: Susanne Hubrich
Chorleitung: Thomas Eitler-de Lint
Dramaturgie: Christoph Wagner-Trenkwitz
Licht: Fabrice Kebour
Choreografie: Simon Eichenberger

Hans Sachs, Schuster: Georg Zeppenfeld
Veit Pogner, Goldschmied: Jongmin Park
Kunz Vogelgesang, Kürschner: Martin Koch
Konrad Nachtigal, Spengler: Werner Van Mechelen
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber: Michael Nagy
Fritz Kothner, Bäcker: Jordan Shanahan
Balthasar Zorn, Zinngießer: Daniel Jenz
Ulrich Eisslinger, Würzkrämer: Matthew Newlin
Augustin Moser, Schneider: Gideon Poppe
Hermann Ortel, Seifensieder: Alexander Grassauer
Hans Schwarz, Strumpfwirker: Tijl Faveyts
Hans Foltz, Kupferschmied: Patrick Zielke
Walther von Stolzing: Michael Spyres
David, Sachsens Lehrbube: Matthias Stier
Eva, Pogners Tochter: Christina Nilsson
Magdalene, Evas Amme: Christa Mayer

Ein Nachtwächter: Tobias Kehrer

(c) Patrik Klein

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!

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