Tristan und Isolde, Foto Daniel Perez
Da war man auf Reisen in dem kulturell sehr bedeutenden Gebiet Andalusien, dachte sich, dass man die Schönheit der Landschaft, die multikulturellen Ereignisse der letzten Jahrhunderte bestaunt, hatte Etliches auf dem Zettel wie schon die Eintrittskarten für die Alhambra in Granada, und landete schließlich im Teatro Cervantes in Malaga genussvoll einem ja fast neuen „Tristan und Isolde“ – Liebestod beizuwohnen.
von Patrik Klein
Ich konnte es halt einfach mal wieder nicht lassen, vor einer geplanten Kultur- und Erholungsreise im Netz zu scannen, was es vielleicht an Oper oder Konzert in der Umgebung der Reiseresidenz geben könnte.
Schnell fiel das Augenmerk auf das Teatro Cervantes in Malaga, wo wir in rund 40 Kilometern Entfernung unser Feriendomizil aufschlugen. Magisch angezogen vom Stallgeruch Richard Wagners sah ich die Ankündigung des städtischen Theaters mit zwei szenischen Aufführungen von „Tristan und Isolde“ mit mehr als ansprechender Besetzung genau in unserer Reisezeit.

Das Teatro Cervantes fungiert als eines von vier Theatern in Malaga an der Costa del Sol. Das auf Vielseitigkeit ausgerichtete Kulturzentrum bietet in jeder Spielzeit rund 1100 Zuschauern fassend, spanische und internationale Bühnenkunst: Theaterstücke, Konzerte, Ballett und Opern sowie Kindertheater. Das 1869 erbaute Haus wurde bereits im Spanischen Bürgerkrieg zerstört und erst in den 1980er Jahren wieder hergerichtet.
Als Spielzeiteröffnung der neuen Saison griff man auf Bewährtes zurück und holte die 2023 in Sevilla gezeigte Inszenierung von Allex Aguilera sozusagen aus der spanischen Nachbarschaft an die Mittelmeerküste.
Mit einer Regie, die ungemein spannend, werktreu erzählte und die Fantasie anregend den Zuschauer in den Bann zog.
Dem spanisch-brasilianischen international erfahrenen Regisseur ging es wohl darum, den Zuschauer mit starken einprägsamen Bildern und einer Vielzahl an Videoprojektionen an das Drama heranzuführen, die Geschichte zu erzählen ohne irgendwelchen psychologischen Drahtseilakt zu vollziehen – was für ein Genuss!
Auf der an sich leeren, in graue Töne getauchten Bühne mit einer imposanten Plattform, auf der sich die handelnden Personen präsentierten, sah man immer wieder Symbole, wie das zerbrochene Schwert, das im verletzten Abgesandten Kornwalls steckte, Ritterrüstungen oder mystische pulsierende Gebilde, die das herannahende Unheil andeuteten. Es wogten die Wellen des Meeres im Hintergrund oder die riesige Krone Markes schwebte über der Bühne und wurde zum Gefängnis für die Liebenden, als sie am Ende des zweiten Aktes für sie verhängnisvoll entdeckt wurden.
Das Ensemble schien mir in seiner Kostümierung eine Vermischung von mittelalterlichen mit der postapokalyptischen Zeitlosigkeit zu assoziieren. Die Seeleute des nach Cornwall treibenden Schiffes spielten Karten, beachteten die davor agierenden Protagonisten kaum. Nach der Einnahme des vermeintlichen Todestrankes färbte sich die Bühne blutrot.

Im ersten Teil des zweiten Aktes dann, als Isolde und Tristan während ihres musikalisch voller Erotik und Leidenschaft vorgetragenen Liebesduetts vor dem Publikum brav Händchen hielten, ohne jegliche Leidenschaft einer Umarmung die gehörte Musik zu verdeutlichen oder die Wirkung von Blicken auszustrahlen, erinnerte mich das irgendwie an Ruth Berghaus in Hamburg vor vielen Jahren, wo sich die beiden Protagonisten stundenlang keines Blickes würdigten, dies aber konsequent und angelegt als Brechtches Theaterregiekonzept.
Man geriet videogesteuert in eine Fantasiewelt voller Mystik und Farben, die Gedanken konnten mit der Musik schwingen, schweben und sich entfalten. König Markes überdimensionale Krone senkte sich über die Liebenden und umklammerte sie in eine Art Käfig, wo sie gefangen und ihr Schicksal vorbestimmt war.
Im letzten Akt wurde es dann deutlich abstrakt mit dem Erscheinen eines weiß gekleideten japanischen Tänzers, der sich vor dem dunklen Hintergrund und in schräg einfallenden Lichtspektren spektakulär bewegte und einen Butoh (japanische Tanzkunstform) aufführte, Schönheit als auch Schrecken vereinigend. Vielleicht eine Anspielung auf den herannahenden Wahnsinn, auf die erlebte Liebe und auf den Tod? Als mit langem Bart gealterter japanischer Würdenträger erschien er in der Gestalt des Hirten, den letzten Teil des Dramas spektakulär einläutend.

Am Ende verließ die als Braut dargestellte Isolde, eingehüllt in blendende Lichterscheinungen die Szene über die Hinterbühne und ging in die Ewigkeit.
Das Malaga Philharmonic Orchester unter der Leitung des international erfahrenen Deutsch-Spaniers Pedro Halffter, der bereits mit Katharina Wagner zusammen den Tannhäuser gestaltete und als Künstlerischer Leiter des Teatro de la Maestranza und des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla sowie als Künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Orquesta Filarmónica de Gran Canaria fungiert, hatte bislang noch nie ein Werk Wagners in Malaga gespielt. Auch der Graben erlaubte nur eine reduzierte Besetzung.
Dennoch liefen die Musiker zu einer beachtlichen Leistung auf. Pedro Halffter entlockte der Partitur Wagners eine intensive und glühende Kraft mit tiefem Eindringen in die Seelenzustände der Protagonisten, spannenden musikalischen Bögen immer eine Richtung mit variablen Tempi vorgebend, die aber in nachvollziehbaren aufregenden Klimaxe mündeten.
Musikalisch spielte und sang das internationale Ensemble auf sehr hohem Niveau. Glänzten noch in Sevilla Stuart Skelton und Elisabet Strid als ambivalentes Liebespaar, so war auch an dem von mir besuchten Abend das Duo mit Michael Weinius und Lianna Haroutounian erstklassig besetzt.
Der Titelheld Tristan vom schwedischen Tenor Michael Weinius, dessen Verkörperung der Rolle keine Wünsche offen ließ, muss hier erneut eine besondere Beachtung finden. Auf dem Cēsis Art Festival 2023 in Lettland gab er bereits einen Siegfried, der mich, auch wenn ich nur die Audioaufnahme hörte und bei Klassik-begeistert besprach, von „den Socken“ holte. Zwei Jahre später und das erstmals live wirkte die Stimme noch feiner differenziert phrasierend, exakt intonierend und gestaltend. Höhensicherheit, Strahlkraft und metallischer Glanz ohne jegliche Ermüdungserscheinungen über die drei Akte hinweg jagten Schauer der Verzückung über jeden Rücken im fast ausverkauften Haus.
Man fragte sich ernsthaft, ob die Schieflast der beinahe dualtenoralen Besetzungskultur in Bayreuth nicht einmal längst aufgeweicht werden sollte und müsste.

An seiner Seite und kaum weniger eindrucksvoll sang die in Armenien geborene eigentlich von Hause aus lyrische Sopranistin Lianna Haroutounian, die man an vielen großen europäischen Häusern meist im italienischen Fach gehört hatte (z.B. 2017 als Butterfly an der Hamburgischen Staatsoper). Mit der deutschen Sprache und dem dramatischen Fach hatte sie an dem Abend nunmehr überhaupt keine Berührungsängste mehr, zumal ihr erfolgreiches Debüt als Isolde nur ein paar Monate zurücklag, als sie Anfang des Jahres in Lüttich brillierte, übrigens auch zusammen mit dem Tristan des gestrigen Abends.
Die Brangäne wurde gesungen von der französischen Mezzosopranistin Clémentine Margaine, die man eher als Weltklasse Carmen kennt, denn als Magd und Vertraute Isoldes. Das gelang ihr auch mit guter Aussprache und kontrollierter Stimmführung mit vielen berührenden Momenten.
Der noch junge kroatische Bass-Bariton Marko Mimmica gab den enttäuschten und am Ende verzeihenden König Marke mit tiefem Fundament und beeindruckender Schwärze.
Tristans treuer Begleiter Kurwenal schließlich war ebenso famos besetzt mit dem bereits in Sevilla agierenden Markus Eiche, der in den letzten Jahren in Bayreuth u.a. als Wolfram überragend mit einer überaus gepflegten Stimme brillierte.
Komplettiert wurde das am Ende stürmisch gefeierte Ensemble mit allen Beteiligten durch Moisés Marín als Melot und Seemann, Luis Pacetti als Hirt und Ignacio Cornejo als Steuermann.
Das Publikum wirkte auf mich sehr einfühlsam und konzentriert, auch wenn einige Handys nervten. Nach den ersten beiden Akten verhielt es sich noch kühl und höflich, am Ende hatte man südeuropäischen Enthusiasmus par excellence.
Patrik Klein, 26. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
TRISTAN UND ISOLDE
Musikdrama in drei Akten mit Musik und Libretto von Richard Wagner nach dem gleichnamigen epischen Gedicht von Gottfried von Strassburg und inspiriert von der Beziehung des Komponisten zu Mathilde Wesendonck und der Philosophie Schopenhauers.
Uraufführung am 10. Juni 1865 am Nationaltheater München.
Musikalische Produktion Teatro Cervantes de Málaga
Bühnenproduktion Teatro de la Maestranza de Sevilla
Isolde: LIANNA HAROUTOUNIAN
Tristan: MICHAEL WEINIUS
Brangäne: CLÉMENTINE MARGAINE
Marke: MARKO MIMICA
Kurwenal: MARKUS EICHE
Melot/Seemann: MOISÉS MARÍN
Hirt: LUIS PACETTI
Steuermann: IGNACIO CORNEJO
Butoh Tänzer: Daniel Arenas
Malaga Philharmonic
Titularchor des Teatro Cervantes de Málaga
Musikalische Leitung: PEDRO HALFFTER
Regie: ALLEX AGUILERA
Chorleiter: SANTIAGO OTERO
Kostüme: JESÚS RUIZ
Licht: LUIS PERDIGUERO
Video: ARNAUD POTTIER

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!
Klein beleuchtet kurz 61: Ein Didgeridoo-Debut Elbphilharmonie, 28. August 2025
Klein beleuchtet kurz 60: Bayreuth ist wie nach Hause kommen Bayreuther Festspiele, 13. August 2025
Klein beleuchtet kurz 59: Chicago Symphony Orchestra Elbphilharmonie, 18. Mai 2025