(Ensemble bei Norma, Staatsoper Hamburg, Foto Patrik Klein)
Selbst starke Stimmen können die rätselhafte Regie in Bellinis Meisterwerk nicht retten
Die Premiere im März 2020 war eine der letzten Vorstellungen vor der Pandemie, die das Werk in Hamburg für eine Weile zur Ruhe kommen ließ. Im meinem damaligen Artikel drückte ich schon mein Missfallen gegenüber der Inszenierung von Yona Kim aus, die mehr Rätsel aufgab als löste.
Damals schrieb ich: „Die hochgelobte und vom Magazin „Opernwelt“ als beste Regisseurin des Jahres 2017 auserkorene südkoreanische Regisseurin Yona Kim, die bereits 2018 in Hamburg Peter Ruzickas Oper Benjamin in Szene setzte, skizzierte Norma mit ihrem Team in symbolschwangeren dunklen Bildern, die in oft rätselhafter und gähnend langweiliger Weise versuchten, Norma als Außenseiterin und als eine Frau, die unendlich einsam war in dieser kriegerischen, von männlicher Moral und Dominanz geprägten Welt, von Beginn an in der Ausweglosigkeit zu zeigen. Besonders im zweiten Akt gelang es ihr nicht, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten oder gar steigernd zu formen, sondern sie ließ den Zuschauer alleine in noch unverständlicheren Bildern ihrer eigenen Betrachtung.“
Musikalisch war es damals zudem trotz Marina Rebeka eher Mittelmaß. Später folgten dann noch einmal einige Aufführungen u.a. mit der wunderbaren Barno Ismatullaeva, die ihr Debut als Norma gab und über sich hinaus wuchs.
Voller froher Erwartungen auf die neue Besetzung mit Namen, die Klang haben in der Opernszene, wie Olga Peretyatko in der Titelrolle, Marcelo Álvarez als Pollione und Angela Brower als Adalgisa ging man gestern Abend noch einmal ans Werk Bellinis.
Olga Peretyatko demonstrierte Emotionen und Zerbrechlichkeit in ihrem Rollendebüt mit hauchzarten lyrischen Zwischentönen, die sie fein in die melodischen Bögen einwebt. Als Mutter, aber auch Tochter, verlobte Frau und Freundin, kriegerische Anführerin und Hexe zeigte sie gesanglich Vielseitigkeit. In ihrer Auftritts-Cavatina „Casta diva“ erbat sie mit „Verbreite du auf der Erde jenen Frieden, den du am Himmel herrschen lässt“ mit fein geführter Stimme einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage. Sie vermittelte aber auch besonders in den fordernden letzten Minuten der Oper die dramatischen Inhalte der Partitur mit ihren detaillierten gesangstechnischen Mitteln.
Der Knaller an diesem letzten Serienaufführungsabend war allerdings die Mezzosopranistin Angela Brower. Gesegnet mit einer äußerst apart hell timbrierten Stimme, zeigte sie als junge Nebenbuhlerin Adalgisa eine nahezu unwiderstehliche Stimmführung und wie berührend und echt Belcanto gesungen werden kann. Besonders in der Szene zum Ende des ersten Aktes, wo Pollione sie nach Rom zu locken suchte, wartete sie mit kernigem, wohltemperierten Mezzo auf, der zwischen federleicht und dramatisch variierte und mit feinsten, ergreifenden Crescendos komplettiert wurde. Atemberaubend.
Der argentinische Tenor Marcelo Álvarez komplettierte als Pollione das Trio der Hauptrollen. Seine etwas in die Jahre gekommene stählerne und dunkel timbrierte Stimme konnte er nur mit erheblicher Routine und Technik durch den Abend führen. Stark auf Stütze gesungen und fast völlig ohne Legato rettete er sich mit einigen Schlückchen Hustentropfen immer wieder durch die Partie. Dennoch alle Achtung.
Die Nebenrollen waren exzellent besetzt mit Anna-Maria Torkel als Clotilde, Hubert Kowalczyk als Oroveso und Seungwoo Simon Yang als Flavio.
Der Chor nach den beiden von mir besuchten Peter Grimes Vorstellungen der letzten Tage noch in bester Disposition gab eine sichere Leistung und Paolo Arrivabeni führte das Orchester mit feinen Linien und viel sängerfreundlicher Zurückhaltung durch den heftig bejubelten Abend. Geht doch auch in Hamburg wieder.
Pollione: Marcelo Álvarez
Oroveso: Hubert Kowalczyk
Norma: Olga Peretyatko
Adalgisa: Angela Brower
Clotilde: Anna-Maria Torkel
Flavio: Seungwoo Simon Yang
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Musikalische Leitung: Paolo Arrivabeni
Chor: Eberhard Friedrich
Regie: Yona Kim
Klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Nicht immer nimmt er sich Pressekarten im offiziellen Modus, sondern lauscht oder schaut privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft –ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aber immer mit großem Herzen!
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