Klein beleuchtet kurz Nr 20: Das National Symphony Orchestra unter Gianandrea Noseda bringt die Elbphilharmonie auf Touren

Klein beleuchtet kurz Nr 20: Das National Symphony Orchestra unter Gianandrea Noseda  Elbphilharmonie, 28. Februar 2024

NSO Washington unter Gianandrea Noseda; Foto Patrik Klein

Das National Symphony Orchestra aus Washington D.C. lieferte ein rauschendes Kontrastpragramm mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 und Schostakowitschs bombastischer fünften Sinfonie

Man konnte immer wieder nur staunen über das breitbandige und hochkarätige Programm an der Elbe. Nach den beiden großartigen Konzerten des Gewandhausorchester in den Tagen zuvor, stand nun ein weiteres Top Orchester auf dem Podium der Elbphilharmonie Hamburg: das National Symphony Orchestra Washington D.C.

Seong-Jin Cho, der Feingeist aus Südkorea, der in Berlin seine Wahlheimat gefunden hat und in der letzten Saison bereits bei einem Klavierabend begeisterte, kam nach Hamburg zurück als Solist in Beethovens wohl schönstem Klavierkonzert, dem Paradestück für einen Pianisten mit poetischen Anschlag und klarem Klangideal.

Seong-Jin Cho und Gianandrea Noseda mit dem NSO; Foto Patrik Klein

Doch zuvor gab es zeitgenössische Musik aus dem Jahr 2023 vom in Washington geborenen Carlos Simon, der als Residenzkomponist des Orchesters auch in Hamburg anwesend war. „Wake Up“ war der Untertitel seines Konzerts für Orchester, das bereits in der Uraufführung in den USA vergangenen Jahres mit Schostakowitschs fünfter Sinfonie gepaart wurde.

Zwei Töne sendeten hier ein klares Signal durch den Saal mit einem elementaren Motiv. Gemeinsamkeiten mit Schostakowitsch lagen daran, dass zwei Dinge zugleich gesagt werden konnten, in „Tränen ein Lächeln“. Gesellschaftliche Vorfälle sollten musikalisch geformt nicht zu Blind- und Abgestumpftheit führen. Beeindruckende zwanzig Minuten stellte sich das Orchester aus Übersee den Hamburger Ohren dar. Das war wild, gelegentlich jazzig und mit viel Schlagwerk. Das Werk lag hochfrequenzbetont ausgelegt, mit Echos und Pizzicatos bei den Streichern. Danach war wirklich jeder hellwach.

Carlos Simon, Gianandrea Noseda und das NSO; Foto Patrik Klein

Nach der Pause dann Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 5 d-moll op. 47. Sie entstand in einer Zeit und in einem Land, als Komponieren tatsächlich eine Angelegenheit auf Leben und Tod war. Das Drama der Künstler in der Sowjetunion bestand damals darin, dass Stalin ein persönliches Interesse an der Kunst hegte. Schostakowitschs bombastische fünfte Sinfonie gibt zudem bis heute Rätsel auf. Ist der triumphale Marsch am Ende als Farce zu verstehen? Führte der Komponist das unterdrückerische russische Regime seiner Zeit damit hinters Licht oder beugte er sich tatsächlich dem politischen Druck?

Zudem kursierten zwei verschiedene Versionen des Schlussmarsches. Die langsame Version klingt grotesker als die schnelle, wirkt also eher ironisch als die doppelt so schnelle Version. „Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen“, soll Schostakowitsch später gesagt haben. Und es war jeder und jedem selber überlassen, den Schlussmarsch als Triumph des Opportunismus oder als Triumph der Freiheit zu hören.

Gianandrea Noseda entschied sich am Ende für die doppelt so schnelle alternative Version. Sein Orchester, das Vorzeigeorchester der USA, spielte sich in einen wahren Rausch aus wuchtigsten Klängen und zauberhaften Phrasen, dass man fast 45 Minuten das Staunen bekam.

Riesenjubel im Publikum, das wenigsten nach der Pause diszipliniert war und nicht die Satzpausen zerstörte.

National Symphony Orchestra (Washington, D.C.)
Seong-Jin Cho, Klavier
Dirigent: Gianandrea Noseda

Carlos Simon
Konzert für Orchester

Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58

Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47

(c) Patrik Klein

Der Klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Nicht immer nimmt er sich Pressekarten im offiziellen Modus, sondern lauscht oder schaut privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei Klassik-begeistert – voller Leidenschaft – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aber immer mit großem Herzen!

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