Hilft eine Gefährdungsanalyse in der Causa Demis Volpi?

Kommentar: Demis Volpi  Hamburgische Staatsoper, 6. Juni 2025

Lieber Ralf, dies ist Dein 302. Beitrag für klassik-begeistert. Ich übersah Dir zum 300. zu gratulieren: Tristan und Isolde von Richard Wagner in der Staatsoper Hamburg. Pardon! Du bist Jahrgang 1946, ein Hamburg-Hanseat vor dem Herrn, und gehörst mit Peter Sommeregger, Berlin, selber Jahrgang, zu den beiden produktivsten Autoren von klassik-begeistert. Deine Expertise für die Staatsoper Hamburg und das Hamburg Ballett – gerade in diesen Tagen, siehe diesen Artikel – schmücken diesen Blog. Dein erster kb-Besuch war am 1. Januar 2020: Nussknacker von John Neumeier… as time goes by…. Ich danke Dir für Deine Treue und Deinen Fleiß und denke gerne an die schönen Essen mit Deiner Frau und Dir. 

Herzlich dankt,

Andreas Schmidt, Herausgeber

Tempi passati: Das Hamburger Ballett-Ensemble vor einem Jahr nach Mahlers III. (Foto: RW)

Vielleicht sollte der zuständige Senator auch beim Publikum eine Gefährdungsanalyse vornehmen. Denn auch das Publikum ist psychisch von dem aktuellen, offensichtlich leitungsbedingten Desaster beim Hamburg Ballett betroffen.

Ein Meinungsbeitrag von Dr. Ralf Wegner

Der aktuell mit seinem Hamburger Kammerballett erfolgreiche Edvin Revazov gehörte, wie zu lesen war, zu jenen Tänzern, die in die engere Wahl als Nachfolger von John Neumeier einbezogen worden war, neben dem mit dessen Werk sehr vertrauten Lloyd Riggins. Man entschied sich bekanntermaßen aber für Demis Volpi.

Volpi werden allerdings mittlerweile neben einer Vernachlässigung des Neumeier-Repertoires und handwerklich-choreographischer Schwächen auch toxische Führungsqualitäten vorgeworfen.

Wegen letzterer wird beim Hamburg Ballett derzeit eine Gefährdungsanalyse, richtiger eine Gefährdungsbeurteilung, durchgeführt, um systematische Gefährdungen, auch infolge psychischer Belastungen, dazu zählt u.a. destruktives Führungsverhalten*, zu erfassen und Abhilfemaßnahmen einzuleiten.

Repertoirevernachlässigung oder eigene künstlerische Minderleistungen des dem Ensemble vorgesetzten Ballettintendanten gehen in eine solche Gefährdungsanalyse allerdings nicht ein. Denn solche können arbeitgeberseitig auch ohne betriebsinterne Erhebungen beurteilt werden. Und da letzteres dem Kultursenator nicht unbekannt geblieben sein dürfte, basiert die Frage des Verbleibs von Demis Volpi im Amt wohl vordringlich auf dem Ergebnis der auf dem Arbeitsrecht gründenden Gefährdungsbeurteilung.

Allerdings sind die Ergebnisse einer solchen Erhebung, die auf einer Begehung der Arbeitsplätze, auf Interviews mit den Beschäftigten oder auch auf wissenschaftlich erprobten Fragebogenerhebungen basieren, regelhaft vertraulicher Natur und werden kaum öffentlich kommuniziert.

Obwohl von dem Ergebnis dieser Analyse so viel abhängt, nicht nur für den Ballett-Intendanten und das Ensemble, sondern auch für das auf John Neumeiers handwerklich-choreographischen Anspruch eingeschworene Hamburger Ballettpublikum, werden wir über die Art der Erhebung, die Verlässlichkeit der Auswertung oder die Zusammenstellung und Bewertung der Ergebnisse kaum etwas erfahren.

Möglicherweise stimmt Demis Volpi als Folge der Gefährdungsanalyse einer Aufhebung seines Vertrages mit entsprechender Abfindung zu. Das wäre ihm und uns zu wünschen. Oder er bleibt unter der internen Maßgabe, alles Notwendige zum Abbau einer ggf. festgestellten psychischen Gefährdung der ihm Nachgeordneten zu unternehmen.

Und wenn die Gefährdungsanalyse möglicherweise den gesamten Ballett-Apparat, und nicht nur die Tänzerinnen und Tänzer betrifft, wäre eine Marginalisierung der psychischen Belastung letzterer zudem denkbar.

Vielleicht sollte der zuständige Senator deshalb auch beim Publikum eine Gefährdungsanalyse resp. Fragebogenerhebung zur psychischen Belastung vornehmen. Denn auch das Publikum ist psychisch von dem aktuellen, offensichtlich leitungsbedingten Desaster beim Hamburg Ballett betroffen.

Dr. Ralf Wegner, 6. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

*FI-0052_Gefaehrdungsbeurteilung-psychische-Belastung.pdf

Kommentar: Demis Volpi zieht sein vorgesehenes Ballett Demian zurück Hamburgische Staatsoper, 29. Mai 2025

Kommentar: Demis Volpi – wie soll es weitergehen? Hamburgische Staatsoper, 15. Mai 2025

Kommentar: Rückblick Intendanz Georges Delnon Hamburgische Staatsoper, 15. Mai 2025

3 Gedanken zu „Kommentar: Demis Volpi
Hamburgische Staatsoper, 6. Juni 2025“

  1. Ein Trauerspiel aus Fehlentscheidungen, Intransparenz und Mutlosigkeit, Irrtümer rasch zu berichtigen. Stattdessen wohl Hinhalten, Aussitzen und Beschönigen. Volpi ist mittlerweile wohl zum derzeitigen Gehalt nicht mehr andernorts vermittelbar. Das dürfte Klammerverhalten auslösen. Kulturpolitisch ist weiterer Schaden für Hamburgs Leistungsträger, die Neumeier Company, nur durch trennscharfe und endgültige Problemlösung möglich. Ein Aussitzen führt geradewegs in das Jammertal entbehrlicher Mittelmäßigkeit.

    Dr Günter Danner

  2. Sehr geehrter Herr Dr. Danner,
    ich gebe Ihnen völlig recht, die Verantwortung für die Fehlentscheidung in der Neumeier-Nachfolgefrage liegt bei der Kulturbehörde. Und diese ist damit in der Pflicht, zu einer schnellen Lösung noch in dieser Spielzeit zu kommen. Der Ballett-Intendant hat ja keinen Lebensvertrag (den man durchaus John Neumeier hätte geben können) und kann finanziell abgefunden werden. Das wäre immer noch billiger als der langfristig abzusehende Rückgang der Kartenverkäufe an der Kasse, ganz abgesehen von dem künstlerischen Absturz in, wie Sie zu recht schreiben, das Jammertal entbehrlicher Mittelmäßigkeit. Und das würde ohne Zweifel vor allem auf Herrn Dr. Brosda und letztlich auch auf den Ersten Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher zurückfallen.
    Ihr Ralf Wegner

  3. Egoismus, Unvermögen, keine Möglichkeit der Eigenreflexion, extremer Narzissmus auf der einen Seite, aber auch nicht nachvollziehbares Fehlverhalten der verantwortlichen Kulturbehörde haben das Welterbe von John Neumeier aufs Spiel gesetzt. Wie furchtbar muss das für diesen Ausnahmekünstler sein und wie unfassbar ist das für SEIN Publikum, das ihm über 51 Jahre die Treue gehalten, das ihn verehrt und geliebt hat. Wir alle hoffen, dass dieser Spuk bald ein Ende findet. Eine inzwischen 77-jährige Verehrerin, die John Neumeiers Karriere zeitlebens verfolgt hat.

    Stefanie Wolf

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