West-Eastern Divan Orchestra, Anne-Sophie Mutter, Daniel Barenboim © Patric Leo
Ein Kommentar von Dr. Gerd Klingeberg
nach dem Konzert von Daniel Barenboim in Bremen, 7. August 2024
Es tut schon einigermaßen weh mitanzusehen, wie schwer es Daniel Barenboim selbst mit Unterstützung fällt, sich hin zum Dirigentenpult zu bewegen, sich vorsichtig zu drehen und in den bereitgestellten Stuhl fallen zu lassen.
Geigerin Anne-Sophie Mutter und Musiker von den ersten Pulten stehen jederzeit bereit, dem Maestro gegebenenfalls beizustehen. Sein Dirigat ist dann für die Zuhörer in der Bremer Glocke kaum auszumachen; man sieht vor allem den nahezu unbeweglichen Rumpf, gelegentlich seine nach vorn-seitlich-unten stoßende Faust, Kopfdrehungen hin zu den Instrumentengruppen.
Warum tut der 81-jährige Maestro sich das an? Er hat Meriten zuhauf eingeheimst, gilt als einer der Top-Dirigenten weltweit. Der Vergleich mit dem bereits 97-jährigen Herbert Blomstedt drängt sich auf, der erst jüngst bei den Salzburger Festspielen bewiesen hat, dass es sich auch im Sitzen noch inspirierend dirigieren lässt (s. Kritik 28.07.24 von J. Jahn bei BR-Klassik).
Aber genau diese Inspiration, dieses Animierende, dieses Mitreißen des Orchesters, seines West-Eastern Orchestra, das vermisst man bei Barenboim. Zumindest kommt es offensichtlich nicht im notwendigen Ausmaß an bei seinen Musikern.
Oder ist es eher so wie beim Noch-U.S.-Präsidenten (der nur fünf Tage jünger ist als Barenboim)? Joe Biden wollte partout sein Amt behalten: aus Verantwortungsbewusstsein oder aus Altersstarrsinn? Oder einer Mischung von beidem? Jedenfalls hielt er sich lange für den besseren Kandidaten.
Glaubt Barenboim vielleicht auch, dass ihn niemand ersetzen könne?
Es darf dabei nicht übersehen werden, dass die Zuhörer zweifellos ein Recht auf bestmögliche Konzertqualität haben, und dies nicht etwa nur, weil die Eintrittspreise im konkreten Fall ungewöhnlich hoch waren. Ein Mitleidsfaktor ist nicht angebracht, schon gar nicht bei einem Top-Dirigenten wie Barenboim. Das hätte er auch wahrlich nicht nötig. Jedenfalls dann nicht, wenn seine Leistung nicht darunter leiden würde. Tat sie aber: Das Potenzial der Musiker, die sich nun einmal an das Dirigat zu halten haben, kam definitiv nicht einmal ansatzweise zur Geltung.
Ob Daniel Barenboim noch dirigieren darf? Verbieten kann man ihm es nicht; er ist kein Handwerker oder Chirurg, die bei ungenügenden Ergebnissen mit erheblichen Konsequenzen rechnen müssen. Aber man darf auch einem Daniel Barenboim dringend anraten, sich unter den gegebenen Umständen aus dem Konzertbetrieb zurückzuziehen, sich diese Belastung nicht mehr anzutun.
Seine Zuhörer würden es ihm nachsehen, sein beeindruckendes Lebenswerk würde dadurch keineswegs gemindert, im Gegenteil. Und sollte er tatsächlich irgendwann wieder zu alter Frische zurückkehren, wäre es ihm gewiss unbenommen weiterzumachen.
Dr. Gerd Klingeberg, 9. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Kommentar: Festspielchor Bayreuth in kleiner Besetzung Bayreuth, 29. Juli 2024
Kommentar zu Kulturstaatsministerin Claudia Roth klassik-begeistert.de, 19. Juli 2024
Dieser Bericht erinnert mich an eine Fernsehsendung aus einer Konzerthalle, wo Zubin Mehta ein Jugendorchester dirigierte. Das heißt, Zubin Mehta saß auf einem Hocker vor dem Orchester und tat so gut wie… nichts! Er schaute kaum das Orchester an und bewegte den Taktstock eigentlich gar nicht. Da ich nicht vom Anfang an zuschaute und zuhörte, weiß ich die Details weder zum Aufführungsort noch zum Orchester. Aber es war von den Nahaufnahmen eindeutig, dass Zubin Mehta – aus welchen Gründen auch immer – mental nicht anwesend war. Ich war so schockiert, dass es etwas dauerte, bis ich darauf kam, welches Werk gespielt wurde: Ballettmusik aus Fausts Verdamnis. Das, was einige Leute live beim Barenboim wahrnehmen konnten, war im Fall von Mehta für alle klar, die die Sendung eingeschaltet hatten. Auf die Frage, ob ein Dirigent unter Schmerzen dirigieren sollte, habe ich keine Antwort. Das obliegt dem Dirigenten selber. Auf auf die Frage, ob ein Dirigent völlig unbeteiligt und fast regungslos während der Aufführung eines Werkes vor dem Orchester stehen sollte, habe ich sehr wohl eine Antwort: NEIN! Das ist dem Publikum und dem Orchester nicht zumutbar und hätte NIE aufgezeichnet und ausgestrahlt werden sollen!
Sheryl Cupps
Liebe Frau Cupps,
ich gehe vollkommen mit Ihnen d’accord.
Herzlich
Andreas Schmidt