Prächtige Renaissenceklänge erfüllen einen wunderbaren Konzertsaal

La Pellegrina – Die Hochzeitsmusik der Medici von 1578  Antiquarium in der Münchner Residenz, München, 14. Oktober 2022

Foto: Antiquarium, Münchner Residenz, © wikimedia.org

La Pellegrina – Die Hochzeitsmusik der Medici von 1578 – in Szene gesetzt

Antiquarium in der Münchner Residenz, München, 14. Oktober 2022

von Frank Heublein

An diesem Abend werden im Antiquarium in der Münchner Residenz die  Intermedii, musikalische Zwischenspiele, aufgeführt, die 1564 von Ferdinando I. de’ Medici in Auftrag gegeben und 1589 anlässlich seiner Hochzeit mit Christine von Lothringen in Florenz uraufgeführt wurden. Er ein Spross der einflussreichsten Bankiersfamilie in Florenz, sie eine Enkelin des französischen Königs. Ein europäisches Ereignis! Die damalige High Society, rund 2.000 Gäste von Rang und Namen aus ganz Europa versammelten sich. Sie wollten beköstigt und unterhalten werden.

Ursprünglich für die Pausen zwischen Akten einer Komödie geschrieben, verschob sich am Ende des 16. Jahrhunderts das Augenmerk. Weg von der Komödie hin zu den Zwischenspielen, die zunehmend und möglichst pompös das Wesentliche der Aufführung voller Repräsentations- und Inszenierungskunst darstellten. Das klingt nicht von ungefähr nach Oper, die Florentiner Intermedii gelten als richtungsweisendes Werk in der Entwicklungsgeschichte derselben. Die dazugehörige Verwechslungskomödie La Pellegrina dagegen hat keinen nachhaltigen Eindruck in der Kunstgeschichte hinterlassen.

Die Intermedii werden mir an diesem Tag ohne Pause präsentiert. Es ist ein stetiger musikalischer Fluss, der nicht deutlich die Abschnitte der sechs unterschiedlichen Intermedii differenziert. Die Struktur erschließt sich aus dem Programm. Das Dirigat wechselt, sowohl von den Personen als auch von den Positionen. Zuweilen sehe ich zwei Personen dirigieren, welche aus meiner Sicht Sängerinnen, Sänger und Chor zum einen, zum anderen das Orchester leiten, um die Komplexität der Polyphonie exakt meistern zu können.

Mein Auge hört heute mit. Schon im Eintreten, ich gehe einige marmorne Stufen hinab in den Saal, bin ich beeindruckt von all den Büsten, der vielen prächtig bemalten Deckenbögen. Ich erlebe in diesem beeindruckenden Renaissancesaal mein erstes Konzert, den Wilhelm V. im 16. Jahrhundert in München in der heutigen Residenz als neuen zweiten Hof der bayerischen Herzoge in der Stadt erbaut hat.

Im ersten Intermedio L’armonia delle sfere, Harmonie der Sphären, wird dem Hochzeitspaar gehuldigt. Die beiden abschließenden Chorstücke A voi reali amanti und Coppia gentil, komponiert von Cristofano Malvezzi, sind die ersten polyphonen äußerst präzise vorgetragenen Chorstücke, deren verwobener kraftvoller Klang mich dem musikalischen Himmel ein Stück näher bringen.

Im vierten Intermedio La regione de’ demoni, das Reich der Dämonen, verzaubert mich Sopran Tanja Vogrin. Sie singt warm und fest, spielt zugleich die barocke Harfe im von Giulio Caccini komponierten Solo der Zauberin. Der Chor wird zu Feuergeistern, Furien und Teufeln. Ihr mächtiger Gesang wird unterstützt durch eine eher unscheinbar aussehende, doch wuchtig klingende große Handtrommel, eindrucksvoll geschlagen von Bruno Caillat.

Das fünfte Intermedio Il canto d’Arione beginnt ebenfalls mit einem Sopransolo. Emma-Lisa Roux verkörpert Aphrodite. Weich und strahlend ist ihre Stimme, zugleich spielt sie die Laute. Das Orchester verändert seinen Klang, je nachdem, ob die üppig besetzten Bläser mit Posaune, Baritone und Cornetto zum kraftvoll prächtigen Einsatz kommen oder der feinere Klang von Traversflöte, Laute und Cembalo im Vordergrund steht. Das Basssolo des Arione singt der künstlerische Leiter selbst. Das Solo, auch Monodie genannt, Dunque fra torbid’onde (Inmitten der trüben Wogen) ist von in alten-Musik-Kreisen berühmten Sänger-Komponisten Jacopo Peri. Ich folge Frederiksens kräftiger Stimme, die im Fluss bleibt auch bei virtuosen schwierig zu singenden Verzierungen. Seine Stimme füllt den Saal mit zwei Echos, die sich dafür extra aus dem Saal geschlichen haben.

Joel Frederiksen Foto: Thomas Zwillinger

Das sechste Intermedio La discesa d’Apollo e Bacco col Ritmo e l’Armonia, Abstieg von Apollo und Bacchus mit Rhythmus und Harmonie, bildet ein mich beeindruckendes Finale. Mir gefällt dieses in seiner Gesamtheit am allerbesten. Großartige feste stabile Chorpassagen in forte mit dem Blech begleitet. Sie nehmen mich in ihr sängerisches Wogen auf. Ein Tenorsolo von Manuel Warwitz, der Jupiter singt, und was er singt gelingt in mir: „Seid glücklich und froh, ihr Menschen / freut Euch solcher Gaben / und vergesst bei Sang und Klang / eure Mühsal und Qual“. Das folgende Chorstück umfängt mich so tief wie das erste schon. Dem Soprantrio antwortet der volle Chor. Das Orchester mit der markanten Trommel untermalt das letzte Stück O che nuovo miracolo, O welch neues Wunder. Ein fantastisches Trommelsolo beschließt den Abend.

Die Idee, die Musik durch Tanz zu einem intensiveren Erlebnis zu machen, finde ich gut. Das Konzept geht für mich leider nicht auf, daher kann ich darüber nichts schreiben. Ich sehe maximal die Torsi des Tänzers und der Tänzerin. Eines jedoch kann ich sagen: eine Aufführung von guten 90 Minuten Länge durchgehend tanzend auf einer Bühne zu stehen ist eine grandiose Energieleistung.

Das energetische Klatschen holt mich zurück aus der prachtvollen feudalen Repräsentationsmusik, dem starken dieser Musik innewohnenden Zauber.

Frank Heublein, 15. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

La Pellegrina – Die Hochzeitsmusik der Medici von 1578 – in Szene gesetzt

Intermedio I   L’armonia delle sfere von Cristofano Malvezzi

Intermedio II   La gara fra Muse e Pieridi von Luca Marenzio

Intermedio III   Il combattimento  pitico d’Apollo von Luca Marenzio

Intermedio IV   La regione de’ demoni von Giulio Caccini, Luca Marenzio und Giovanni de’ Bardi

Intermedio V   Il canto d’Arione von Luca Marenzio, Cristofano Malvezzi und Jacopo Peri

Intermedio VI   La discesa d’Apollo e Bacco col Ritmo e l’Armonia von Cristofano Malvezzi und Emilio de’ Cavalieri

Besetzung

Ensemble Phoenix Munich

Violine   Félix Verry, Jeanette Eriksson

Lira da Braccio   Félix Verry, Jeanette Eriksson

Viola da Gamba   Frauke Hess, Brigitte Gassner, Giovanna Baveria, Ryosuke Sakamoto

Lirone   Frauke Hess, Brigitte Gassner

Laute   Axel Wolf, Emma-Lisa Roux, Ryosuke Sakamoto, Jonatan Avarado, Sven Schwannberger, Nicolas Achten, Rui Stähelin, Joel Frederiksen

Chitarrone   Axel Wolf

Renaissance-Gitarre   Jonatan Avarado, Rui Stähelin

Posaune   Catherine Motuz, Emily Saville, Robert (BJ) Hernandez, Masafumi Sakamoto

Baritone   Nicolas Achten

Cornetto   Bruce Dickey, Friederike Otto (zählt zu den Blechinstrumenten, da Mundstück und Ansatz Trompetenähnlich, wenngleich meist aus Holz gebaut)

Traverso   Liane Ehrlich, Sven Schwannberger

Harfe   Vincent Kibilidis, Tanja Vogrin, Nicolas Achten

Salterio   Margit Übelacker (eine Zitherart)

Cembalo   Michael Eberth, Stefan Steinemann

Orgel   Michael Eberth

Percussion   Bruno Caillat

Sopran   Tanja Vogrin, Mirjam Striegel, Emma-Lisa Roux, Lucie Strejcová, Malin Eiband
Alt   Giovanna Baveria

Countertenor   Ryosuke Sakamoto
Tenor   Stefan Steinemann, Colin Balzer, Manuel Warwitz, Jonatan Avarado, Sven Schwannberger

Bariton   Vincent Kibilidis
Bass   Rui Stähelin, Joel Frederiksen

Tänzerin   Colette Gasperini
Tänzer   Ilja Sarkisov

Team

Künstlerischer Leiter   Joel Frederiksen
Choreografin   Verena Weiss
Ausstattung  Birgit An
Licht   Felix Hecker
Technik   Jascha Klugwitz
Produktion   Dr. Ulrike Keil

Interview am Donnerstag (18): Der Bassist und Lautenist Joel Frederiksen

Ensemble Phoenix Munich, Joel Frederiksen, St. Johannes München, 26. Juli 2020

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