Ladas Klassikwelt 13: Wie ein Seidentuch mit Noten der Sonate Pathétique mein Leben geändert hat…

Ladas Klassikwelt 13  klassik-begeistert.de

Bild: Quelle – Wikimedia Commons
Dank Ludwig van Beethoven bin ich zu Richard Wagner und seiner Musik gekommen. Und das alles passierte, weil einmal ein Seidentuch mit Noten der Klaviersonate Pathétique meine Aufmerksamkeit erregte.

von Jolanta Lada-Zielke

Das Beethovenjahr 2020 ist gerade erst angefangen, aber schon seit Mitte Dezember 2019 dreht sich alles um ihn. Auch mein Gedächtnis ruft die mit ihm verbundenen Ereignisse hervor. Die erste Erinnerung liegt tief in der Vergangenheit. Ich war damals vierzehn Monate alt, was könnte ich aus der Zeit noch wissen? Laut dem, was meine Mutter erzählte, verdanke ich dem Komponisten meine ersten Schritte. Ich fing an zu laufen, als sie  „Für Elise“ am Klavier im Haus meiner Großeltern spielte. Erst Beethovens Musik bewegte mich dazu, dass ich endlich aufstand und auf den noch wackeligen Beinchen näher zum Klavier kam.  

Eine sehr wichtige Änderung in meinem Leben stand auch in  Beziehung zu Beethoven.

Es war Palmsonntag, der 13. April 2003. Die Musikhochschule in Krakau verlieh den Ehrendoktortitel an Professor Helmuth Rilling. In Krakau fand zu dieser Zeit das Ludwig van Beethoven Osterfestival statt, und viele Festspielgäste besuchten die Veranstaltung. Die Zeremonie fand in dem berühmten Konzertsaal „Florianka“ statt.  Ich arbeitete damals beim lokalen Akademischen Rundfunksender und arbeitete an einem Beitrag dazu.

Eine Laudatio für Helmuth Rilling hielt Professor Krzysztof Penderecki. Der Laureat hielt danach einen Ehrenvortrag über die neue Interpretation der Musik von Johann Sebastian Bach. Nach dem offiziellen Teil, als die Champagnergläser unter den Gästen verteilt wurden, machte ich ein paar Aufnahmen für meine Sendung. Als ich mit einigen Leuten auf die Terrasse gehen wollte, hielt mich plötzlich etwas auf; eine schicke, schwarze Handtasche an dem Arm einer Dame.  An den Gurt der Tasche war ein Seidentuch gebunden, das meine Aufmerksamkeit erregte. Der weiße Stoff des Tuchs war mit Noten bedruckt. Das war jedoch kein einfaches Notenmuster, sondern ein Fragment eines Klavierstücks. Die Besitzerin der Tasche sah sehr majestätisch aus; eine große Frau in einem schwarzen, perfekt geschnittenen Kleid mit Puffärmeln. Das muss eine einzigartige Persönlichkeit sein, dachte ich. Vielleicht eine Prinzessin? Die Künstlerische Leiterin des Beethoven-Festivals Frau Elżbieta Penderecka lud viele Aristokraten aus der ganzen Welt ein.

Die Dame war gerade in einem Gespräch, das auf Deutsch geführt wurde. Das freute mich, weil ich gerade einen Deutschkurs im Rahmen eines Stipendiums des Goethe-Instituts machte. In dem Moment spürte ich eine Gelegenheit, meine neu erworbenen Sprachkenntnisse einzusetzen . Ich trat ein bisschen zur Seite und wartete, bis die majestätische Dame und ihr Gesprächspartner eine kurze Pause machten. Endlich! Dann fasste ich sanft das Seidentuch an und rief:

>> Oh, wie schön! Was ist das denn? <<

Die Frau drehte sich sofort zu mir um, die Gläser ihrer Brille blitzten. Hinter der Brille sah ich ein sympathisches Gesicht. Für ein paar Sekunden sah mich die Frau interessiert an. Ich ließ das Tuch los, und die Dame entfernte es mit einer schnellen Bewegung von dem Gurt der Tasche.

>> Es hat meiner Mutter gehört. << erklärte sie und breitete das Tuch aus.

Vor meinen Augen erschien der erste Satz von Beethovens Sonate Pathétique. Mit Begeisterung betrachtete ich dieses Stück Stoff, auf solche Art und Weise mit dem konkreten Musikwerk kombiniert. In der Zwischenzeit kamen ein paar andere Gäste auf uns zu.

>> Man kann davon spielen. << scherzte ich, um die Unterhaltung am Laufen zu halten.

>> Meine Mutter hat davon gespielt. << antwortete die Besitzerin des Tuchs.

Ein Gemurmel der Ungläubigkeit und Bewunderung ging durch die Menge. Die schicke Frau erzählte, dass das Tuch als normale Notenvorlage dienen kann. Sie sprach schnell, energisch, und versuchte zu demonstrieren, wie ihre Mutter das Tuch am Klavier befestigte. In ihrem Verhalten gab es etwas Schauspielerisches, aber auch eine Offenheit, die mich ermutigte, eine Bekanntschaft mit ihr zu schließen.

Als sich der Kreis um die Dame auflöste, stellte ich mich ihr vor. Sie zog eine Visitenkarte  aus der Tiefe ihrer Tasche. Da stand ihr Name: Sissy Thammer. Ich gestand ihr, dass ich im Goethe-Institut Deutsch lerne und bald einen Intensivkurs in München machen werde.

>> Wann bist du in München? <<, fragte Frau Thammer.

>> Im Mai.<<

>> Also kommst du im August nach Bayreuth, zum Festival Junger Künstler, und machst ein Praktikum. <<

Richard Wagner, Quelle: wikipedia

Sissy Thammer ist die künstlerische Leiterin des Festivals Junger Künstler in Bayreuth, das seit 1950 parallel zu den Wagner-Festspielen stattfindet. Ich war sehr überrascht. Was Sissy sagte, klang teils wie eine Einladung, teils wie ein Befehl, aber im ersten Augenblick nahm ich das nicht ernst. Später regelten sich meine Angelegenheiten so glücklich, dass ich doch im August 2003 an dem Festival teilnahm. Was ich dabei erlebte, ist eine andere Geschichte. Aber ein Jahr danach kam ich wieder nach Bayreuth, und zwar nicht mehr zum Festival Junger Künstler, sondern zu den Richard-Wagner- Festspielen.

So fing das größte Abenteuer meines Lebens an, das noch bis heute dauert. Dank Ludwig van Beethoven bin ich zu Richard Wagner und seiner Musik gekommen. Und das alles passierte, weil einmal ein Seidentuch mit Noten der Klaviersonate Pathétique meine Aufmerksamkeit erregte.

Jolanta Lada-Zielke, 6. Januar 2020, für
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© Jolanta Lada-Zielke

Die Journalistin und Sängerin Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt und hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert, danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, sie arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 hat sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau bekommen. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie aus privaten Gründen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin – sie singt als Sopran im Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor in Hamburg. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Dreißigern.

 

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