Bild: Maria Kalergis-Mouchanoff, geborene Comtesse Nesselrode
Sie schenkte Richard Wagner zehntausend Franken, als dieser in Not war. Sie war mit Wagners späterem Schwiegervater Franz Liszt eng befreundet. Sie weinte bei Aufführungen des „Lohengrin“. Wagner widmete ihr die geschärfte Version der Broschüre „Das Judenthum in der Musik“, was sie ehrte, obgleich sie nicht antisemitisch war: Lesen sie bitte diesen außergewöhnlichen Bericht über eine außergewöhnliche Frau des 19. Jahrhunderts – die polnische Adlige Maria Kalergis (1822-1874), genannt „fée blanche“, die „weiße Fee“,
von Jolanta Lada-Zielke
Zum ersten Mal hörte ich von Maria Kalergis (1822-1874) in der Grundschule, als ich zehn war. Meine Polnisch-Lehrerin erklärte uns die Umstände der Uraufführung der berühmtesten Oper „Halka“ von Stanisław Moniuszko in Warschau 1858. Maria Kalergis half dem Komponisten finanziell und logistisch bei diesem Vorhaben. Wenig später erfuhr ich, dass diese herausragende Frau auch einen anderen Vertreter der nationalen Opernbewegung im Europa des 19. Jahrhunderts unterstützte, nämlich Richard Wagner. Jetzt in den letzten drei Wochen ergänzte ich mein Wissen zu diesem Thema dank des neuen Buches von Luc-Henri Roger: „Maria Kalergis-Mouchanoff, née Comtesse Nesselrode. Itinéraires et correspondence de la Fée blanche“, das im Januar 2020 auf Französisch im BoD Verlag veröffentlicht wurde.
Das Buch besteht aus zwei Hauptteilen: Im ersten befindet sich die von dem Schriftsteller Constantin Photiadès verfasste Biografie von Maria Kalergis-Mouchanoff, die 1923 erschien. Im zweiten Teil haben wir die Sammlung Marias Briefe, die von der deutschen Musikwissenschaftlerin Marie Lipsius „La Mara“ veröffentlicht wurden. Hauptsächlich sind das die Briefe an die Gräfin Maria Coudenhove, die Tochter von Maria Kalergis, und an ihren Ehemann. Sie sind eine ausführliche Ergänzung des biographischen Teils. Es befindet sich dort ihre Korrespondenz mit Franz Liszt. Das Buch schließt mit einer Liste von Gedichten und Musikstücken, die Maria Kalergis-Mouchanoff gewidmet sind, und mit einer Auswahl von Erinnerungen berühmter Personen an sie. Luc-Henri Roger hat die ganze Sammlung zusammengestellt und kommentiert.
Maria Kalergis-Mouchanoff, geborene Nesselrode, kam in Warschau zur Welt. Ihr Vater Frédéric war ein deutscher Graf, der im diplomatischen Dienst der zaristischen Regierung diente. Ihre Mutter Tekla, geborene Nałęcz-Górska, stammte aus der Familie polnischer Adliger. Marias Eltern trennten sich, als sie sechs Jahre alt war. Von diesem Moment an wuchs sie in Sankt Petersburg in der Familie ihres Onkels, des russischen Kanzlers Charles Nesselrode, auf, der bereits zwei Töchter hatte, darunter eine namens Maria. Deswegen wurde seine Nichte „Marie la Polonaise“ genannt. Zu Hause sprach sie Französisch, was damals die Sprache der europäischen Salons war. Ihre Tante und Onkel behandelten sie gut. Sie erhielt eine gründliche Ausbildung, hauptsächlich im Bereich Fremdsprachen und Musik, für die sie ein einzigartiges Talent hatte. Mit elf Jahren spielte sie schon sehr gut Klavier, wie Karl Nesselrode an ihren in Warschau verbliebenen Vater schrieb. Die frühe Trennung von ihrer Mutter wirkte aber so, dass Maria eine melancholische Gesinnung und einen traurigen, geheimnisvollen Ausdruck in ihrem Gesicht behielt. Diese Eigenschaft und ihr makelloser weißer Teint inspirierten später Dichter wie Teofil Gautier und Heinrich Heine sowie andere Künstler.
Mit 17 Jahren heiratete sie Jan Kalergis, einen wohlhabenden Sohn griechischer Einwanderer, der als Staatssekretär in Sankt Petersburg fungierte. Seiner Familie gehörte auch das Palazzo Vendramin in Venedig, in dem Richard Wagner starb. Er war krankhaft eifersüchtig auf sie und nach weniger als zwei Jahren der Ehe beschlossen sie, sich zu trennen. Jan verhielt sich großzügig und sicherte seine Frau und ihre gemeinsame Tochter finanziell ab. Erst nach seinem Tod im Jahr 1863 entschied Maria wieder zu heiraten. Ihr zweiter Ehemann war Oberst Sergei Mouchanoff, Präfekt der Warschauer Polizei, und dann Direktor der Regierungstheater in Warschau.
Maria Kalergis war von berühmten Persönlichkeiten der europäischen Aristokratie des 19. Jahrhunderts, Politikern, Diplomaten und Künstlern umgeben. Sie mochte Künstler am meisten, besonders Musiker, die sie gerne unterstützte, zunächst in Paris, wo sie einen Musiksalon zwischen 1847 und 1857 in der Rue Anjou 6 leitete. Sie erschien dort in einem weißen Spitzenkleid, gebunden in der Taille mit einem breiten roten Gürtel und mit einem weißen Band auf ihren goldenen Locken. Deshalb wurde sie unter anderem die „fée blanche“ – „weiße Fee“ genannt. In Warschau organisierte sie 1860 einen Wohltätigkeitsball und zwei Konzerte, deren Erlös für die Einrichtung des dortigen Konservatoriums verwendet wurde, dessen Leiter Stanisław Moniuszko war. In Baden-Baden hörte sie 1835 erstmals ein Klavierkonzert von Franz Liszt und war begeistert von seinem virtuosen Spiel. Die beide lernten sich erst 1843 persönlich kennen und dies war der Beginn ihrer großen Freundschaft.
Im August 1845 kam Maria zur Enthüllungszeremonie des Beethoven-Denkmals nach Bonn, das nur auf Liszts Initiative errichtet wurde. Als der Komponist danach krank wurde, pflegte Maria ihn. Aus Dankbarkeit widmete er ihr seine Klaviertranskription Giuseppe Verdis „Salve Regina de Jerusalem“. Er schickte sie zu Frédéric Chopin als talentierte Pianistin, der ihr einigen Klavierunterricht erteilte. Liszt hat wiederholt gesagt: „Madame Kalergis hat wie keine andere gespielt, und diejenigen, die sie gehört haben, würden ihr Spiel oder mit anderen Worten ihre einzigartige Interpretation niemals vergessen.“ Maria bewunderte auch seine Werke. Sie sagte über sein Oratorium „Christus“, dass es für religiöse Musik dasselbe wie der „Ring des Nibelungen“ für Opernmusik sei. Ihre Briefe an Liszt sind voller Freundschaft und Respekt. Am Ende schrieb sie „Ihre total und aufrichtig Ergebene“oder „ich küsse Ihre Hände“.
Es war Liszt, der sie auf Wagners „Tannhäuser“ aufmerksam machte. Zur Uraufführung kam sie am 19. Oktober 1845 nach Dresden und lernte den Komponisten persönlich kennen. Wagner war geschmeichelt über ihr Interesse, das er als gutes Omen akzeptierte. Nicht ohne Grund, denn diese „gute Fee“ gab ihm 1860 in Paris zehntausend Franken, um das durch seine Konzerte verursachte Defizit zu decken. Später schrieb er an seine Muse Matilde Wesendonck, dass Maria Kalergis sein Interesse geweckt habe, weil er in ihr eine seltsame Übersättigung, sogar Verachtung für die Welt sowie eine starke und tiefe Leidenschaft für Musik und Poesie und großes Talent bemerkte. „Sie war auch die erste Person, die mich – ganz spontan – mit einem wirklich großzügigen Verständnis meiner Situation überrascht hat …“, fügte er am Ende hinzu.
Maria befand sich im engen Kreis von Wagners Freunden, denen er die ersten Aufführungen seiner Opern vorstellte, in der Privatsphäre seines Hauses am Klavier. Auf diese Weise lernte sie den zweiten Akt von „Tristan und Isolde“ kennen, den der Komponist und die Sopranistin Pauline Viardot zu zweit aufführten. Nur Hector Berlioz und Maria Kalergis waren im Publikum. Aber ihre Lieblingsoper Wagners war „Lohengrin“. Das Werk löste in ihre solchen starken Emotionen aus, dass sie bei den Vorstellungen weinte (ich verstehe sie perfekt, weil ich auch dabei Tränen bekomme). Die Deutschen kannten Madame Kalergis Liebe für „Lohengrin“so gut, dass der bayerische König Maximilian II bei jedem ihrer Aufenthalte in München die Vorstellung der Oper im Königlichen Theater anordnete.
Sie arbeitete für Wagners Ruhm „mit unveränderter Aktivität“, wie Photiadés bemerkt. Von ihrem Cousin Baron von Seebach erhielt sie für den Komponisten die Aufhebung des Verbots seiner Rückkehr nach Deutschland durch den Sächsischen König. Im Winter 1862/63 arrangierte sie für Wagner Konzerte in Wien und in Sankt Petersburg. Als sie die Münchner Premiere von „Die Meistersinger von Nürnberg“ sah, erklärte sie, Wagners Platz sei in derselben Reihe neben Shakespeare und Aischylos.
Wagner zeigte ihr seine Dankbarkeit auf etwas kontroverse Art und Weise. Er widmete ihr nämlich die geschärfte Version der Broschüre „Das Judenthum in der Musik“, die 1869 zum zweiten Mal veröffentlicht wurde. Sie fühlte sich davon sowohl geehrt als auch überrascht. Zwar mochte sie die Musik von Meyerbeer und Mendelssohn nicht, die er kritisierte, war aber überhaupt nicht antisemitisch. Im Gegenteil, sie schätzte die jüdische Gemeinde in Warschau dafür, dass sie an den von ihr organisierten Wohltätigkeitsaktivitäten teilnahm.
Im selben Jahr 1869 überraschte die Wagnerianer eine andere skandalöse Botschaft: Cosima von Bülow beschloss, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen und Wagner zu heiraten. Die öffentliche Meinung stigmatisierte sie als Ehebrecherin und Wagner als betrügerischen Verführer, der die Großzügigkeit des Königs Ludwigs II. strapazierte. Maria Kalergis, als eine der wenigen Personen, die in diese Sache eingeweiht waren, verurteilte die beiden nicht. Sie vermittelte zwischen Cosima und ihrem Vater, der sich wegen dieser Situation bedrückt fühlte. Cosima und Wagner versöhnten sich mit Franz Liszt erst im September 1872, 3 Jahre nach der Trennung; dies beruhte auf dem guten Einfluss und dem taktvollen Verhalten der „weißen Fee“. Maria besuchte die beiden während des „Exils“ in Tribschen und hörte mit Cosima zum allerersten Mal den „Parsifal“, den Wagner ihnen am Klavier durchspielte und sang. Beide Damen waren sehr berührt. Als Wagner fertig war, fragte er: „Überrascht das euch nicht, dass der Mann, den Leute für einen Casanova halten, an solche Dinge überhaupt denkt?“
„Keine Poesie, keine Literatur wird jemals so etwas haben“, schrieb Maria später an ihre Tochter, „Er (‚Parsifal‘) ist zu groß, zu engelhaft, zu christlich, um ihn eine Oper zu nennen.“
Im Jahr 1871, als Cosima und Richard bereits verheiratet waren, berichtete Maria Franz Liszt aus Tribschen, dass seine Tochter fröhlich, schön und fürsorglich sei, während Wagner alle fünf Kinder gleichermaßen liebt, obwohl er der leibliche Vater von nur drei von ihnen war. Die Vorbereitungen für den Bau des Bayreuther Festspielhauses waren schon im Gange. Als Cosima einmal abwesend war, gestand Wagner Maria: „Eigentlich ist mir eine Krankheit der Kinder, ein Ereignis im Kinderzimmer jetzt wichtiger als Bayreuth und die Nibelungen.“
Das stimmte, Cosima war ehrgeiziger als ihr Ehemann und rechnete mit dem großen Erfolg der geplanten Festspiele. Maria Mouchanoff sah die Uraufführungen von „Rheingold“ und „Walküre“ in München. Wahrscheinlich war sie die erste Person, die Bayreuth als „das neue Mekka“ bezeichnete, zu dem jeder Musiker kommt, um zu beten. Später nannte man diese Stadt „Mekka der Wagnerianer“, und der Begriff bleibt aktuell bis heute. Leider konnte Maria Mouchanoff die Uraufführung der Tetralogie am Grünen Hügel nicht mehr miterleben, aber sie war dort am 22. Mai 1872, als der Grundstein des Festspielhauses gelegt wurde. Sie schaute die Pläne des Theaters an und behauptete zufrieden im Brief an Gräfin Coudenhove: „Schließlich werden wir die Athener und ihr unsterbliches Theater nicht beneiden müssen“.
Sie starb genau zwei Jahre später, am 22. Mai 1874 in Warschau, an hypogastrischem Krebs. Kurz davor spendete sie noch zweitausend Taler an den von Franz Liszt gegründeten Allgemeinen Deutschen Musikverein in Weimar. Nachdem Liszt die Nachricht von ihrem Tod erhalten hatte, setzte er sich sofort ans Klavier und begann bei der ersten seiner „Elegien“ zu improvisieren. Dann schrieb er eine Widmung für die Gräfin Maria Kalergis-Mouchanoff auf die Noten. 1875 organisierte er in Weimar eine Musikveranstaltung zum Gedenken an diese außergewöhnliche Frau. Noch sieben Jahre später vertraute er ihrer gemeinsamen Freundin, Prinzessin Paulina Metternich an, dass der Abschied von Maria ihm eine Leere verursachte, die nichts und niemand füllen könne.
Zu den Freuden von Maria Kalergis-Mouchanoff gehörten auch andere große Komponisten wie Hector Berlioz, Johannes Brahms, Frédéric Chopin, Peter Cornelius, der schon erwähnte Stanisław Moniuszko, Anton und Nikolaus Rubinstein, Karl Tausing und Henryk Wieniawski. Aber sie hatte eine besondere Beziehung zu Franz Liszt und Richard Wagner, und das Buch von Luc-Henri Roger enthält die meisten Hinweise auf ihre gemeinsamen Kontakte. Ich vermute, polnische Leser würden meckern, dass es in dieser Sammlung zu wenig über Moniuszko und so viel über Wagner gibt. Aber ich bin froh, dass ich diese ausgezeichnete Polin von dieser Seite kennen gelernt habe; als echte Wagnérienne in Wort und Tat.
LUC-HENRI ROGER ist ein adoptierter Bayer, der sich für die Geschichte der Literatur des 19. Jahrhunderts begeistert. Seine Forschung konzentriert sich auf König Ludwig II. von Bayern und auf das Werk des Komponisten Richard Wagner. Luc-Henri Roger interessiert sich besonders für die Rezeption von Briefen und für die französische Presse, wie aus den ersten drei veröffentlichten Büchern hervorgeht: „Les fleurs pour le roi Louis II de Bavière“ (Blumen für König Ludwig II. von Bayern), „Louis II de Bavière. Le cygne des Wittelsbach“ (Ludwig II. von Bayern. Der Wittelsbacher Schwan), „Les voyageurs de l’Or du Rhin. La réception francaise de la création munichoise du Rheingold“ (Die Reisenden des Rheingoldes. Der französische Empfang der Münchner Schöpfung des Rheingolds) und „Maria Kalergis-Mouchanoff, née Comtesse Nesselrode. Itinéraires et correspondence de la Fée blanche“.
„Maria Kalergis-Mouchanoff, née Comtesse Nesselrode. Itinéraires et correspondence de la Fée blanche“ erschien im Januar 2020 auf Französisch im BoD Verlag (ISBN 9782322131310).
Jolanta Lada-Zielke, 23. März 2020, für
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Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie aus privaten Gründen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.
Un grand merci pour ce nouvel article, chère Jolanta Lada, qui rend si bien compte de l’esprit dans lequel j’ai publié ce livre. Merci aussi à Klassik-begeistert ! Bien cordialement.
Luc Henri-Roger