von Jolanta Łada-Zielke
Auf dem CD-Cover sieht man eine Abbildung der Freiheitsstatue. Die Fackel in ihrer Hand brennt mit rotem Licht; vielleicht zur Ehre der Orgel – der Königin aller Instrumente? Man kann jedes Orchesterwerk für sie transkribieren, jedes Stück aus ihr zaubern. Und wir müssen keine Reise nach Amerika unternehmen; es reicht, sich das Innere der Sankt- Michaelis-Kirche in Hamburg vorzustellen, wo Hansjörg Albrecht sein neuestes Album „From the New World“ während des letzten Corona-Pandemie-Jahres aufgenommen hat. Seine Aufführungen der Orgeltranskriptionen orchestraler Musik – zum Beispiel der Ouvertüren von Richard Wagners Opern – sind bereits bekannt und hoch geschätzt. Erwähnenswert ist auch die symbolische Bedeutung der Stadt Hamburg, die man für „das Tor zur Neuen Welt“ hält.
Das Repertoire hängt auch damit zusammen. Die Auswahl für die CD bilden die für Orgel transkribierten Werke von Antonín Leopold Dvořák und seinen zwei US-amerikanischen Kollegen Samuel Barber und Aaron Copland. Das alles schenkt uns fast 76 Minuten wunderschöne Orgelmusik.
Als Erstes hören wir, in der Transkription von Edwin Henry Lemare, Dvořáks vielfältige Konzertouvertüre „Carnival“, die noch vor der Reise des Komponisten in die USA entstanden ist. Die Orgelfassung der „Passacaglia for Piano“ von Copland klingt mysteriös, vor allem die Glocken am Anfang.
Dann kommt das bekannte „Adagio for Strings“ von Samuel Barber, das die BBC-Hörer 2004 als „das traurigste klassische“ Stück wählten. In einigen Filmproduktionen begleitet das Stück die unangenehmen und tragischen Szenen. Es ist zum Beispiel das Hauptmotiv in dem Film „Platoon“ von Oliver Stone, der während des Vietnamkriegs spielt. Ich rate davon ab, dieses Stück zu hören, wenn man gerade in schlechter Laune ist; dies gilt besonders für diejenigen, die sensibel auf Musik reagieren, sie könnten sich dabei noch bedrückter fühlen.
Die Orgeltranskription dieses Stücks (von William Strickland) hat jedoch außer der Traurigkeit eine gewisse Tiefe in sich. In der Interpretation von Hansjörg Albrecht klingt das Adagio mild und ruhig, fast meditativ, weil der Künstler verschiedene dynamische Stufen, von Pianissimo bis Mezzopiano verwendet. Dank dem sind selbst die traurigsten Stellen schön und angenehm fürs Ohr.
Die seelenvolle Symphonie
Dann erwartet uns ein echtes musikalisches Fest: Dvořáks Neunte Symphonie e-Moll „Aus der Neuen Welt“ op. 95 in der Fassung des ungarischen Organisten und Komponisten Zsigmond Szathmáry, der einen Teil seiner Ausbildung in Deutschland absolvierte und hier auch seine weitere künstlerische und pädagogische Karriere fortsetzte. Er war als Organist unter anderen in Hamburg-Wellingsbüttel und im Bremer Dom tätig. Dvořáks Amerikareise fing in Bremen an. Die Musikwelt ist kleiner als man denkt.
Mein Kollege von „Ruch Muzyczny“, der Journalist und Musikkritiker Adam Suprynowicz, schildert die Umstände des Entstehens der Symphonie: „Einer von Dvořáks Schülern in New York war Harry Burleigh – ein Afroamerikaner, dank dem der große Tscheche die „Spirituals“-Musik, religiöse Lieder schwarzer Sklaven, kennenlernte. Es sind diese Melodien sowie die Musik der amerikanischen Ureinwohner, die der tschechische Komponist als Grundlage für die Musikkultur des neuen Landes ansah. Er sagte den Reportern des New York Herald: „Eigentlich spielt es keine Rolle, ob die Inspiration für zukünftige amerikanische Nationallieder von Schwarzen, Kreolen, indischen Liedern oder den traurigen Melodien eines Deutschen oder Norwegers aus Sehnsucht nach dem Heimatland stammt. Die Keime der besten Musik liegen zweifellos verborgen unter allen menschlichen Stämmen, die in diesem Land vermischt sind.“
Wer das Original kennt, wird nicht enttäuscht sein. Zwar ist die Besetzung des Werks anders, es ist jedoch dieselbe Symphonie. Der Orgelklang ähnelt den Ozeanwellen, was man besonders im ersten Satz Adagio-Allegro molto hören kann. Die zwei Hauptthemen, die in der Symphonie von den Oboen und Flöten gespielt werden, werden in den hohen Orgelregistern gespielt. Im Largo spüre ich eine Verwandtschaft mit dem ersten Akt von Wagners „Parsifal“. Das auf der Orgel aufgeführte Scherzo verliert nichts von seiner Leichtigkeit. Der Schlussakkord im letzten Satz – Allegro con fuoco – verklingt wunderschön in der Ferne.
„Obwohl der Komponist selbst von dem epischen Gedicht von Henry Wadsworth Longfellows „The Song of Hiawatha“ (einer romantischen Geschichte über einen indianischen Helden) inspiriert war, ist die Verwendung der Fünf-Noten-Skala (Pentatonik) der einzige Hinweis auf die Musik der amerikanischen Ureinwohner“, so Adam Suprynowicz. „Dies ist jedoch auch charakteristisch für spirituelle Musik, die Dvořák viel besser kannte“ 1
Wenn Dvořáks Neunte Symphonie etwas mit spiritueller Musik zu tun hat, dann passt diese Orgelaufführung sehr gut dazu.
Ich habe eine Vorliebe für das Schaffen des tschechischen Komponisten, nicht nur wegen seiner slawischen Seele, sondern auch deshalb, weil er zu der Zeit lebte und arbeitete, als sein Heimatland, wie auch Polen, auf der Europakarte nicht existierte. Die Region Galizien, aus der ich komme, gehörte damals auch zu Österreich-Ungarn. Die Orgeltranskriptionen von Dvořáks Werken finde ich interessant und möchte gerne das ganze Programm – mit Copland und Barber – einmal live miterleben können. Vielleicht im schönen Innenraum der Hamburger St. Michaelis-Kirche?
Jolanta Łada-Zielke, 8. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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1 Der Artikel von Adam Suprynowicz wurde in dem polnischen Portal „Ninateka“ veröffentlicht.