Ladas Klassikwelt 85: Eine feurige Dosis Mozart

Ladas Klassikwelt 85: Wolfgang Amadeus Mozart, Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg, Bremer Philharmoniker  klassik-begeistert.de,  5. November 2021

Foto: Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg (c)

Beide Werke Mozarts, die im Programm jenes Konzerts standen, sind per definitionem unvollständig. Die Prager Sinfonie D-Dur KV 504 (die Erstaufführung 1787) besteht nur aus drei Sätzen, ohne Menuett. In der ersten Fassung der Großen c-Moll-Messe KV 427 fehlen einige Teile vom „Credo“ sowie das ganze „Agnus Dei“ mit „Dona nobis pacem“. Dennoch machten die Bremer Philharmoniker und der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg unter der Leitung von Hansjörg Albrecht diesen Freitagabend in der Laieszhalle für lange Zeit unvergesslich.

von Jolanta Łada-Zielke (Text und Fotos)

Natürlich gibt es nach wie vor die Corona-Beschränkungen. Im Zuschauerraum sitzt man in Abständen paarweise, wobei jeder Sitzplatz einer bestimmten Person zugeordnet ist. Aus diesem Grund durften Mitglieder des Chores während des ersten Teils des Konzerts  nicht im Publikum weilen. Deshalb hörte ich die Aufführung der „Prager Sinfonie“  an der Tür zur Bühne und bewunderte Hansjörg Albrechts Art.

Er dirigiert nach den entsprechenden Konventionen der Epoche: Zum Beispiel, die Werke der Barockzeit führt er – Basso Continuo spielend – vom Cembalo aus. Nicht jeder kann dies tun, weil es eine geteilte Aufmerksamkeit erfordert. Ich fragte Hansjörg Albrecht danach, als ich mit ihm ein Interview  für  das polnische Musikmagazin „Muzyka 21“ durchführte:

„Diese Art des Musikzierens – des völlig unabhängig voneinander funktionierenden Dirigierens und gleichzeitigen Spielens – ist für mich ganz normal und selbstverständlich“, antwortete er. „Das war damals Usus, denn den Dirigenten im heutigen Sinne gab es damals noch nicht. Diese Art geht bei mir bis zu Haydn und Mozart. Das ist keine eigentliche „Dirigiermusik“, wie beispielweise die großen Sinfonien von Bruckner, Mahler oder Schostakowitsch, sondern es ist ein Spiel mit Affekten. Daher dirigiere ich auch erst die Musik, die nach 1800 entstanden ist, mit Stab – alle Musik davor nur mit meinen Händen.“Dies war auch während dieses Konzerts der Fall. Aber nicht nur die Hände des Dirigenten bewegten sich; Mozarts Musik schien fast jeden Muskel seines Körpers zu durchdringen. Bei Diminuendo-Stellen ging er fast in die Hocke, bei Crescendi machte er eine sanfte aber deutliche Aufwärtsbewegung. Es schien so, als ob der Dirigent im heutigen Sinne nicht dabei wäre, und doch achtete er über jeden einzelnen Musiker.

 

Die Messe für die geliebte Ehefrau

Paradoxerweise wird die c-Moll-Messe als „Große“ bezeichnet, obwohl sie unvollendet blieb. Wolfgang Amadeus Mozart komponierte dieses Werk in den Jahren  1782-1783, um das Versprechen einzuhalten, dies zu tun, sobald Konstanze Weber seine Frau werden würde. Die Uraufführung fand am 26. Oktober 1783 in der Kirche des Stiftes St. Peter zu Salzburg statt. Wahrscheinlich ergänzte der Komponist die fehlenden Messe-Teile aus seinen älteren Kirchenstücken, was damals nichts Außergewöhnliches war. Konstanze war auch die erste Interpretin der Solo-Sopran-Partien, die Wolfgang Amadeus den Möglichkeiten ihrer Stimme anpasste.

Neben anderen Mozart-Messen, der Krönungs-, der Spatzenmesse,  und dem Requiem, ist die Große c-Moll-Messe  eins meiner Lieblingsstücke. „Cum Sancto Spiritu“ erinnert mich an den analogen Satz von Vivaldis  „Gloria“. „Credo“ ist im Polonaise-Rhythmus geschrieben. Mozart kannte den polnischen Tanz, der seit dem Ende der Renaissance an europäischen Königshöfen als Nachfolger der Pavane beliebt war. Im 18. Jahrhundert bekam der Tanz den französischen Namen Polonaise, und dann entwickelte sich sein Dreitakt-Rhythmus.

 

Auch im zweiten Teil des Konzerts begeisterte der Dirigent Hamburger Musikfreunde. „Wie energisch er ist, wie wunderbar er mit seinem ganzen Körper manövriert!“, hörte man danach vom Publikum. „Und er dirigiert ohne Partitur, er kennt alles auswendig!“ 

„ Dieses „Miserere“ mit seinem Donnerschlag im Orchester sollte man nonstop bei der Klimakonferenz in Glasgow erklingen lassen!“, sagte eine Dame mit tiefer Überzeugung.

Die Chorleitung hat für Hansjörg Albrecht  keine Geheimnisse, was man sofort spürt. Kein Wunder, begann er schon als Neunjähriger, Chorerfahrung zu sammeln, als er in den Dresdner  Kreuzchor aufgenommen wurde. Wenn er einen Chor dirigiert, hat man den Eindruck, er singe mit uns, er sei einer von uns. Das ist aber kein Grund, sich zu vertraut zu benehmen. Ganz im Gegenteil; man muss ständig wachsam sein. Albrecht hört und merkt alles. Und es ist sehr mobilisierend, mit ihm schöne Musik zu machen, die großen Werke der Komponisten für das Publikum wieder aufleben zu lassen.

Die vier Solisten erhielten ähnliches Lob: alle verfügen über großartige Stimmen und eine hervorragende Gesangstechnik. Die Koloraturen von Julia Sophie Wagner, die schon seit Langem mit dem Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg zusammenarbeitet,  waren wie Perlen. Ähnliche Agilität zeigte die Mezzosopranistin Anke Vondung, wenn auch natürlich ihre Stimmfarbe dunkler ist. Der Tenor Tilman Lichdi spezialisiert sich in den Aufführungen der Oratorienmusik, also fühlte er sich bei der Messe in c-Moll wie ein Fisch im Wasser. Seine samtenen Töne  ergänzten perfekt den Klang beider Sängerinnen. Der Bass Yorck Felix Speer tat allen leid, denn er hatte am wenigsten zu singen,  nur eine Partie im „Benedictus“-Quartett. Sein Auftritt war zwar kurz, aber sehr effektiv.

Mozart klang bei diesem Konzert nicht zart und fein und lieblich, sondern war voll von Feuer und Flamme.

Jolanta Łada-Zielke, 11. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jolanta Łada-Zielke (50) hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

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