Bild: Stanisław Wyspiański Selbstporträt (1902), Wikipedia
von Jolanta Łada-Zielke
Touristen, die Krakau besuchen, bewundern die wunderschönen Buntglasfenster in der örtlichen Franziskanerkirche am Allerheiligenplatz. Nicht alle wissen jedoch, dass diese Kunstwerke ein herausragender lokaler Maler, Bühnenbildner, Buchillustrator sowie Dichter, Dramatiker, Mitglied des Krakauer Stadtrats und Wagnerianer – Stanisław Wyspiański (1869-1907) – entwarf. Dieser vielseitige Künstler war einer der bedeutendsten Vertreter der polnischen Moderne, des „Jungen Polen“ um die Jahrhundertwende und einer der größten Bühnendichter seines Landes. Sein Werk, vor allem die Dramen, sind Beispiele für den Einfluss Richard Wagners auf die polnische Dichtkunst.
Zur Erinnerung: Polen ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts geteilt und Galizien mit Krakau und Lemberg (pol. Lwów, ukr. Lviv) gehört zu Österreich-Ungarn. Im Gegensatz zu den Polen unter russischer und preußischer Herrschaft genießen die Bewohner Galiziens Autonomie, dürfen ihre Muttersprache lernen und die einheimische Kultur pflegen. In Krakau leben viele herausragende Künstler, darunter Wyspiański.
Die erste Wagner-Aufführung, die Wyspiański sieht, sind die „Feen“ 1890 in München. In einem Brief schreibt er: „Habe Wagner dort zum ersten Mal gesehen und war begeistert“. Danach besucht er die Bayreuther Festspiele. Laut Bericht von dem Musikkritiker und Komponisten Ferdinand Pfohl kostet eine Eintrittskarte für einen Abend im Festspielhaus 20 Mark, allerdings Goldmark. Dieser Preis erscheint ihm sehr angemessen, zumal Wagner am liebsten keinen Eintritt genommen hätte, um – wie Pfohl schreibt – „sein Kunstwerk nicht zum Privilegium der begüterten Gesellschaftsklasse zu entwerten“. Für einen polnischen Maler und Dichter mit begrenzten Reisemitteln war das ein erschwinglicher Preis.
Die nächste Station auf jener Route ist Dresden, wo Wyspiański „Das Rheingold“ – und „Der fliegende Holländer“ erlebt. Seine Begeisterung für Wagner wächst daraufhin enorm. Zu „Lohengrin“ sagt er, „dass diese Musik seinen Geschmack als Maler besonders träfe“.
Von all diesen Werken Wagners inspiriert, entdeckt der junge polnische Künstler seine weitere Berufung: Dramaturgie. Seine Frühwerke (aus dem Jahr 1891) basieren auf einem literarisch-musikalischen Konzept. Die Texte von „Danaiden“, „Hiob“, „Daniel“ und „Legende“ sind rhythmisch und musikalisch wie Opernlibretti gestaltet. In der „Legende“ verwendet der Autor bewusst die archaische Sprache sowie dramatische Motive und Symbole, die der phantastischen Welt von „Feen“ und „Rheingold“ nahestehen. Er versetzt die Aktion in die Landschaft seiner Heimat und macht Figuren aus der polnischen vorchristlichen Mythologie zu Helden des Stücks. Paradoxerweise, ist der Inhalt der „Legende“ gegen Deutschland.
Laut der Sage war Wanda die Tochter des Herzogs Krak (von dem der Name „Krakau“ stammt) und soll ungefähr im Jahre 700 über Polen geherrscht haben. Der deutsche Fürst Rüdiger machte ihr einen Antrag mit folgender Bedingung: „entweder heiratest du mich, oder ich überfalle dein Land“. Wanda lehnte ab, der Krieg brach aus und endete mit dem Sieg Polens. Rüdiger konnte diese Niederlage nicht ertragen und beging Selbstmord.
Das Drama „Legende“ beginnt, als der Krieg schon andauert. Der alte König Krak liegt im Sterben und seine Tochter kämpft alleine gegen die Deutschen, die in diesem Werk „Allemanen“ genannt werden. Wanda bittet die slawischen Götter um Hilfe, die mit dem Fluss Weichsel verbunden sind. Sie versprechen ihr Unterstützung, verlangen jedoch, dass sie sich ihnen nach dem gewonnenen Krieg opfert. Wanda hält ihr Wort und nach der letzten Schlacht steigt sie in die Tiefen der Weichsel hinab.
Das Wagner-Vorbild für die „Legende“ ist der „Ring des Nibelungen“. Wyspiański stellt den Fluss Weichsel und die phantastischen Figuren des Unterwasserreiches so dar, wie Wagner den Rhein. Wilkołak (Wehrwolf) benimmt sich wie Alberich. Die Naturphänomene begleiten die Aktion: Gewitter, Donner, Blitze, und danach kommt ein Mondlicht. Wenn Alberich das Rheingold raubt, löscht sich das Licht im Rhein von alleine aus; genauso erlischt das Licht in der Weichsel, als Wanda zu ihrem Vater Krak in die Tiefe des Flusses herabsteigt. Die Einrichtung des Gemeinschaftsraums in der ersten Szene sieht wie im ersten Akt der „Walküre“ aus: ein Herd, eine Bank, Äxte und Fellstücke wilder Tiere an den Wänden. Die Krieger schenken dem sterbenden König Krak ebensolche goldenen Äpfel, wie die von Freia. Der Autor stellt Wanda wie Brünnhilde dar, in einem goldenen Helm mit Flügeln, einer Rüstung, mit einem Schwert und einem Spieß. Wandas Beziehung zu Krak ist ähnlich wie die von Brünnhilde zu Wotan, obwohl die polnische Prinzessin ihrem Vater nicht widerspricht. Es taucht ebenfalls Żmij (Reptil) auf, der einen Schatz bewacht; man assoziiert ihn mit Fafner.
Eine große Bedeutung hat Wagners Einfluss auf die sprachliche Gestaltung der ersten Dramen Wyspiański, besonders im Zusammenhang von Wort und Ton. Der polnische Dichter träumt davon, seine Dramen selbst vertonen zu können, ist jedoch musikalisch unbegabt und findet keinen Komponisten, der dieser Aufgabe gewachsen wäre. Nur als ausgezeichneter Maler und Bühnenbildner versucht er, die Wagnersche Idee des Gesamtkunstwerks durch die Synthese von Text und Bühnenbild zu verwirklichen.
Leider sind die Krakauer zum Anfang des 20. Jahrhunderts zu konservativ, in den Theatern vor Ort dominiert die Komödie. Eine eventuelle Inszenierung Wyspiańskis Werken findet man zu kompliziert und zu teuer. Außerdem hat der Künstler ernsthafte gesundheitliche Probleme und leidet an der damals unheilbaren Syphilis. Obwohl er sich in Innsbruck und Bad Hall behandeln lässt, stirbt er im Alter von 38 Jahren. Allein das Drama „Wesele“ (Die Hochzeit), dessen Erstaufführung am Stadttheater in Krakau am 16. März 1901 stattfand, erlangt zu Lebzeiten des Autors Berühmtheit und Popularität. Davon erzähle ich im nächsten Beitrag.
Jolanta Łada-Zielke, 18. Juli 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Quellen:
Karol Musioł, Wagner und Polen,Mühl‘scher Universitätsverlag Bayreuth, S.45-47
Monika Śliwińska, Wyspiański. Dopóki starczy życia, Iskry, Warszawa 2017
Ferdinand Pfohl, Bayreuther Fanfaren, Leipzig 1891
Jolanta Łada-Zielke, 50, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.