Bild: Hochzeit-Wajda: Ewa Ziętek (Die Braut) und Daniel Olbrychski (Der Bräutigam) in der „Hochzeit“-Verfilmung von Andrzej Wajda (1973); Quelle: Kinokalender Dresden
von Jolanta Łada-Zielke
Das bekannteste Werk Wyspiańskis ist das dreiaktige Drama „Wesele“ (Hochzeit) von 1901. Dieses basiert auf der tatsächlich stattgefundenen Hochzeit seines Freundes Lucjan Rydel mit einer Bauerntochter aus Bronowice bei Krakau (heute ein Stadtviertel).
Im ersten Akt feiern in einer Bauernhütte die Bewohner von Bronowice mit den Vertretern der intellektuellen Elite und den Künstlern aus Krakau. Obwohl die Bauern belesen und mit Politik vertraut sind, schauen manche Gäste aus Krakau auf sie herab. Im zweiten Akt tauchen unter den Hochzeitsteilnehmern um Mitternacht die Geister auf, die deren innerste Gedanken widerspiegeln, sowie historische Gestalten aus der Vergangenheit Polens, die eine bittere Abrechnung mit der Gegenwart machen.
Zu den letzteren gehören: Stańczyk der Hofnarr der polnischen Könige der Jagiellonen-Dynastie, der Ritter Zawisza Czarny (1379–1428), der Anführer des blutigen Bauernaufstandes 1846 Jakub Szela (1787–1860), und der früh verstorbene polnische Maler Ludwik de Laveaux (1868–1894).
Die Schlüsselfigur des zweiten Aktes ist Wernyhora – ein legendärer wandernder ukrainischer Volkssänger und Prophet aus dem 18. Jahrhundert, der dem Hausherrn erscheint. Sein Name – Вернигора – heißt „Mann, der Berge umstürzt“. In seiner Jugend kämpfte er gegen die Moskowiter, Türken und Tataren und soll den Untergang des Königreichs Polen am Ende des 18. Jahrhunderts vorausgesagt haben. Die russischen Behörden spendeten einen Preis für Wernyhoras Kopf. Der Legende nach soll er um 1769 im sechsundneunzigsten Lebensjahr in Parchomiwka (Oblast Kiew) gestorben sein. In der polnischen Literatur und Malerei gibt es mehrere Darstellungen von Wernyhora.
In Wyspiańskis Theaterstück fordert Wernyhora den Wirt auf, den nationalen Aufstand zu leiten. Er überreicht ihm ein goldenes Zauberhorn, mit dem der Hausherr das Signal zum Kampf geben soll. Der übergibt jedoch das Instrument seinem Sohn Jasiek und befiehlt ihm, selbst Mitstreiter zu versammeln. Jasiek verliert leichtsinnig das Horn und vergeudet somit die ganze Idee des Aufstands. Am Ende des dritten Aktes taucht ein in Stroh umwickelter Rosenstrauch mit einer Geige in der Hand auf, der die Hochzeitsgäste zum hypnotischen Tanz führt. Dieser Tanz symbolisiert die damalige Unfähigkeit Polens, die Unabhängigkeit selbstständig zu erobern, weil in der Nation zuviel Zwietracht herrschte. Unter dem Strohmantel wächst eine Rose, die im November Winterschlaf hielt und im Frühjahr wieder erwacht. Das bedeutet, dass das polnische Volk lebt und weiterhin nach seiner Freiheit strebt.
„Die Hochzeit“, die zuerst für den Freundeskreis der Krakauer Bohème bestimmt war, wurde zu einem der wichtigsten Dramen der polnischen Literatur. Die virtuos geführten Dialoge gehören noch heute zu gebräuchlichen Redewendungen. Es gibt zwei deutschsprachige Versionen von der „Hochzeit“; 1976 von Henryk Bereska und 1992 von Karl Dedecius.
Ich habe den befreundeten Dichter Joachim Neander gebeten, ein Fragment zu übersetzen, das Wyspiańskis Faszination für das Werk Richard Wagners veranschaulicht. Dies wird in einem Gespräch des Journalisten mit Zosia, der Schwester des Bräutigams, aus dem ersten Akt, ersichtlich.
Der eingebildete Journalist hatte vor, mit der jungen Frau zu flirten, war jedoch von ihrer Gelehrsamkeit überrascht.
Also haben wir hier ein polnisches Drama, in dem sowohl Bezüge zu den Werken Richard Wagners als auch zur ukrainischen Kultur zu finden sind. Heute erlangt der Inhalt eine neue Relevanz. Deshalb hoffe ich, dass ein mutiger Regisseur dieses Stück im aktuellen Kontext inszenieren wird.
Jolanta Łada-Zielke, 25. Juli 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jolanta Łada-Zielke, 50, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.
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