Le Concert Spirituel, Hervé Niquet © Nikolai Wolff fotoetager
Musikfest Bremen: Vokalpracht aus Florenz
Alessandro Striggio Messe für 40 Stimmen (ein Festgottesdienst zum Johannistag in Florenz mit der „Missa sopra Ecco sì beato giorno“, ergänzt um Musik von Orazio Benevoli, Francesco Corteccia, Domenico Massenzio und Giovanni Pierluigi da Palestrina)
Le Concert Spirituel Vokal- und Instrumentalensemble
Hervé Niquet Dirigent
St. Petri Dom Bremen, 2. September 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Unterstützt vom durchdringenden Dauerton der Posaunen und fagott-ähnlichen Dulziane schreiten Sängerinnen und Sänger aus dem Altarraum heraus in einer feierlichen Prozession in die Mitte des Bremer Domes, derweil sie unisono mit Gregorianischem Choral den „gesegneten Leib der heiligen Jungfrau Maria“ besingen. Vor der Kanzel formieren sie sich stehend und sitzend in enger Kreisform; Hervé Niquet hat sich als Dirigent mittendrin positioniert.
So ähnlich hat man sich wohl auch die weihevolle Eröffnung eines grandiosen musikalischen Gottesdienstes irgendwann Mitte des 16. Jahrhunderts in der Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz vorzustellen. Das fällt wahrlich nicht schwer, auch wenn der Bremer Dom um einiges kleiner und, als protestantisches Gotteshaus im Gegensatz zum katholischen Florentiner Prachtbau, doch etwas bescheidener ausgeschmückt sein dürfte. Die akustischen Segel, die als Maßnahme für eine verbesserte, weniger hallige Akustik vor einigen Jahren installiert worden waren, kommen diesmal offenbar bewusst nicht zum Einsatz: Der original lange Nachhall ist ein mehr oder weniger unabdingbarer Bestandteil der zwischen Spätrenaissance und Frühbarock entstandenen Monumentalstil-Musik.

Stimmgewaltige Chorgesänge
Niquet und sein 1987 in Frankreich gegründetes Vokal- und Instrumentalensemble „Le Concert Spirituel“ haben sich die Freiheit genommen, die als Hauptwerk konzipierte „Missa sopra Ecco sì beato giorno“ des Hofkomponisten Alessandro Striggio, die der üblichen Mess-Liturgie folgt, zu kombinieren mit Werken weiterer zeitgenössischer Komponisten: Orazio Benevoli, Francesco Corteccia, Giovanni Pierluigi da Palestrina, Domenico Massenzio. Auch wenn sich deren Stil und Aufbau etwas unterscheiden mag, ist dennoch ein stimmiges Ganzes entstanden, das als gut einstündiges, wahrhaft berauschendes Klangerlebnis imponiert.
Es ist Chormusik vom Feinsten, stimmgewaltig, kraftvoll und mit ausgeprägtem Impetus intoniert. Bis zu 40-stimmig sind die einzelnen Sätze, die sich nahezu nahtlos aneinanderreihen. Wie ein unablässiges Gewoge, dessen genauere Strukturen nur schwerlich auszumachen sind, greifen die Einzelstimmen ineinander. Das daraus entstehende hochkomplexe Geflecht ist vom Ohr nicht mehr zu entwirren. Muss es auch nicht; denn hier geht es vorrangig um den überwältigenden Gesamteindruck, ein vor allem den Geist bewegendes, auf intensive Gefühls- und Empfindungserlebnisse abzielendes Einhüllen in sich ständig wandelnden Harmonien, die auch dynamisch als auf- und abwallende Wellenbewegungen ausgestaltet werden.
Die eigentlich gut artikulierten Texte sind über weite Strecken nur teilweise zu verstehen, aber die Zuhörer der damaligen Zeit waren mit der Liturgie ohnehin vertraut – sofern sie überhaupt des Lateinischen mächtig waren. Die teils vom Vorsänger vorgetragene erste Zeile, etwa ein „Gloria in excelsis Deo“ reichte dazu schon aus.
Emphatisches Lob der Dreieinigkeit
Auch bei Le Concert Spirituel ist es nicht anders. Wenn es etwa um das Lob der Dreieinigkeit geht, dann wird dies in emphatischem Gesang verdeutlicht, bei dem die einzelnen Chöre wie miteinander wetteifernd einen immer gewaltiger werdenden, schließlich hoch aufgetürmten Kumulus aus überwältigender Klangdichte erstellen, aus dem hier und da helle Solopartien hervorleuchten und den riesigen Kirchenraum bis in den allerletzten Winkel durchfluten.
Im großformatigen „Credo“ stechen die Passagen über Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung durch besonders feinfühlige Gestaltung heraus; die Erwartung der Auferstehung von den Toten und eines ewigen Lebens drückt sich ebenfalls in zunächst noch spannungsvollem, dann zunehmend jubelndem Gesang aus, der vom Klang heller Posaunen und Zinken markant unterstrichen wird.

Die weiteren Instrumente (Tisch- und Truhenorgel, Kontrabass, Dulziane etc.) bilden ein zumeist kaum bewusst wahrnehmbares, gleichwohl verlässliches Fundament des Chorgesangs. Indes verdeutlichen die drei eingefügten Instrumentalkompositionen Palestrinas (Peccavimus, Beata est Virgo Maria, Pater Noster) die exquisite Mischung warmtöniger Timbres des zeitgenössischen Instrumentariums.
Am Schluss des beeindruckend pompösen, ohne jedwede predigende Wortverkündigung auskommenden Gottesdienstes steht Striggios Motette „Ecce beatam lucem“, ein frohlockendes, teils ins Mystische verklärtes Lob der Göttlichkeit, der Schöpfung, des Lebens schlechthin, verbunden mit der Aufforderung, zu singen und zu musizieren wie der alttestamentarische Psalmist König David. „Diese Lust, … diese Erfüllung, diese Gewissheit, sie ziehen uns geradewegs hinauf ins Paradies!“ heißt es am Ende. Und der helle, sehnsuchtsvoll gesteigerte Jubel der geballten menschlichen und instrumentalen Stimmen überträgt sich nach einem kurzen Moment des Innehaltens auch auf das begeistert applaudierende Auditorium.
Dr. Gerd Klingeberg, 3. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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