Frauenpower in der Elbphilharmonie

Leoš Janáček, Das schlaue Füchslein,  Elbphilharmonie, 23. November 2021

Elbphilharmonie, 23. November 2021

Mirga Gražinytė-Tyla, Dirigentin

City of Birmingham Symphony Orchestra
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg

Leoš Janáček, „Das schlaue Füchslein“

von Jolanta Łada-Zielke (Text und Foto)

Jener Dienstagabend in der Elbphilharmonie gehörte unbestreitbar den Frauen; nicht nur, weil die meisten Rollen in „Das schlaue Füchslein“ – auch die männlichen – weiblich besetzt sind. Sondern auch weil die sensationelle litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla das Konzert leitete. Eine Stunde und fünfundfünfzig Minuten befand sie sich auf höchstem Energieniveau. Das Lächeln verließ ihr Gesicht nicht, sie passte aber auf jeden Takt und jede Note auf, die alle Musiker umsetzten. Ihre Arme bewegten sich die ganze Zeit wie die Äste der Bäume im Wind im Wald, in dem die Oper spielt.

Das Schauspiel fand auf der Bühne vor dem Orchester statt. Nach dem Regiekonzept von Thomas Henderson erschienen die kleinen und großen Solisten in farbenfrohen Kostümen, deren Elemente dezent anzeigten, wer welche Figur darstellt. Die Füchsin (Elena Tsallagova) und der Fuchs (Angela Brower) hatten Baskenmützen mit Ohren, ein kleiner Frosch erschien im grünen Regenmantel (Ben Fletcher) und der Dackel Lapak (Kitty Whately) in einer Kunstpelzjacke.

Hinter dem Orchester standen die Mitglieder vom Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg in ihrer normalen Konzertkleidung. Die Chor-Damen haben in dieser Oper die verantwortungsvollere Aufgabe, weil nur sie die Passagen mit Text singen. Männer stimmen nur bei Vokalisen ein, während die Sängerinnen zunächst die Hennen auf dem Hof und im zweiten Akt die Waldtiere darstellen. Die Fragmente mit dem Chorgesang am Ende des zweiten Aktes erinnern an Debussy oder Ravel, aber Janáčeks Musiksprache klingt lebendiger. Der Komponist führt die Melodie mit scharfen, ausdrucksstarken Rhythmen und kurzen, wiederholenden Mehrklangmotiven.

Hier muss ich eine weitere herausragende weibliche Persönlichkeit erwähnen: Alice Meregaglia, vielseitige Musikerin aus Italien und die Leiterin vom Bremen Opernchor, die den CPE-Bach-Chor zu dieser Aufführung vorbereitete. Zunächst brachte sie den Sängerinnen die schwierige, tschechische Aussprache bei, was ich als Slawin bewundernswert finde. Dank ihr sangen die Frauen  auf Tschechisch deutlich und fehlerfrei. Meregaglia arbeitete auch mit dem gesamten Ensemble an der musikalischen Interpretation des Stücks. Infolgedessen nahm die Dirigentin während der einzigen Probe mit dem Chor nur „kosmetische“ Anpassungen vor.

Die Füchsin kam von Paris nach Hamburg

Fast alle Tierpartien singen Kinder, während die erwachsenen Sänger Menschenrollen spielen. Janáček liebte die Natur und kannte die Gewohnheiten der Waldtiere. Füchse besetzen oft Höhlen der Dachse, und das passiert auch in „Das schlaue Füchslein“. Die Titelheldin vertreibt skrupellos den Dachs (William Thomas) aus seinem Versteck, das sie dann auch bewohnt. Ihr zufälliger Tod im dritten Akt ist eigentlich ein Teil des Kreislaufs des Lebens, der sich stets weiterdreht. In der Schlussszene wacht der Förster auf und bemerkt einen Fuchs, der zur nächsten Generation nach dem Schlaukopf gehört. Der kleine Frosch versichert ihm, dass er das letzte Mal nicht ihn, sondern seinen Großvater getroffen hat. Leicht und schnörkellos präsentiert der Komponist diese Inhalte, und doch sind sie tiefgründig. Besonders berührend ist der letzte Monolog des Försters, den der Bariton Roland Wood ausgezeichnet interpretierte.

Das City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) bewies, dass ihm der Begriff „slawische Seele“ nicht fremd ist. Schließlich hatte einer ihrer Dirigenten, Andrzej Panufnik, polnische Wurzeln. Im ganzen Stück gibt es die Motive der mährischen Volksmusik, zum Beispiel in der Hochzeitsszene und zu Beginn des dritten Aktes, wenn der Nachwuchs des Fuchspaars auf der Bühne erscheint. Das aus 80 Mitglieder bestehende Ensemble zeigte die Färbung, Klarheit und Originalität der Musik des tschechischen Komponisten. Interessant klang das pentatonische Thema der Streichinstrumente zu Beginn des zweiten Aktes. Janáček mochte Schlagzeug und ließ den Streicher col legno statt arco zu spielen. Das Xylophon, die Glocken, die Becken und die Trommel klangen großartig.

In dieser Oper gehören die Partien des Fuchses, des Dackels und des Hahns Frauen. Außer beiden Füchsen und dem Förster, spielte an dem Konzertabend in der Elphie jeder der Solisten zwei oder drei Charaktere. Besondere Aufmerksamkeit verdient das Fuchspaar-Duo: die Koloratursopranistin Elena Tsallagova und die Mezzosopranistin Angela Browner. Tsallagova debütierte erfolgreich in der Füchsin-Rolle im Jahre 2020 an der Opéra National de Paris. Ihre Bühnenpartner waren unter anderen Hannah Esther Minutillo (Fuchs) und der hervorragende Wagner-Sänger Jukka Rasilainen als Förster. In Hendersons Inszenierung zeigten beide Damen ihr Bestes, sowohl von der stimmlichen als auch von der schauspielerischen Seite. Ihr Liebesduett war trotz des fehlenden Waldbühnenbilds sehr ausdrucksstark. Auch die zwei anderen Solisten Elisabeth Cragg (Shopfhenne, Eichelhäher) und Robert Murray (der Schulmeister, Mücke, der Gastwirt Pásek) präsentierten sich von ihrer besten Seite.

Leider tauchten im Publikum einige Besucher auf, die anscheinend nur in die Elbphilharmonie wollten und nicht zum Konzert kamen und mit ihrem vorzeitigen Weggehen die Rezeption des Werkes störten.

Der abschließende, heiße, lange Applaus sprach jedoch für sich selbst. Wir hoffen, Mirga Gražinytė-Tyla und ihr City of Birmingham Symphony Orchestra bald in Hamburg wieder bewundern zu können. Dieses Konzert wird sowohl den Interpreten als auch dem Publikum sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben.

Jolanta Łada-Zielke, 26. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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