Foto: © Michael Pöhn
Leoš Janáček, Kátja Kabanová
Wiener Staatsoper, 21. April 2017
Wer diesen Abend in der Wiener Staatsoper verbringen darf, der geht beglückt nach Hause. Die Musik ist wunderschön, die Inszenierung phantastisch, und die Sänger und das Orchester überzeugen unterm Strich mit einer sehr guten Leistung. Schade, dass diese „Kátja Kabanová“ schon nach einer Stunde und 40 Minuten vorbei ist.
Die Musik ist das berauschendste. Solche Klänge hat wirklich nur einer produziert: Leoš Janáček, am 3. Juli 1854 als zehntes von vierzehn Kindern eines Dorfschullehrers in Hukvaldy (Hochwald, Mähren) geboren. Das Zusammenspiel zwischen den Sängern und dem Orchester der Wiener Staatsoper erzeugt Musik, die bewegt – Musik, die einen in eine ganz andere Welt entführt und unter die Haut geht.
„Die Musik von Leoš Janáček ist von äußerster Knappheit und Konzentration“, notiert Die Presse ganz wunderbar. „Sie klingt, als lege sie den Finger auf die wundesten Punkte der menschlichen Existenz. Das gelingt dem mährischen Komponisten, weil er seine musikalischen Zeichen direkt aus sprachlichen Wurzeln schöpft. Seine Motive entstehen aus Lautmalerei, aus Rufen, Angst- oder Freudenlauten. Damit agiert er wie ein Analytiker, lässt Klänge arbeiten, keimen, wachsen; sie können sich wie Ideen, Vorstellungen, Visionen ans Äußerste dehnen – und dann jäh zerplatzen, ins Nichts zurücksinken.“
Das Bühnenbild von Nicky Rieti zeigt in der ersten Szene die Skyline von Manhattan – die 1921 in Brünn uraufgeführte Oper spielt im Brooklyn der 1950er-Jahre, in einem russisch-jüdischen Ghetto. Ein Zimmer, ein Gewölbe, eine Flusslandschaft, handwerklich sauber gearbeitete Dekors, Menschen in Alltags-Kostümen (Chantal de La Coste) der Nachkriegszeit. Der Regisseur André Engel hat in diesem schlichten Ambiente die Charaktere der Handlung gezeichnet: unaufdringlich, scharf und klar.
„Das böse Spiel um ein Mädchen, das aus der Hölle des schwiegermütterlichen Hinterhofes in die Freiheit einer verbotenen Liebesbeziehung aufbrechen möchte, funktioniert in beinah jedem Ambiente“, schrieb Die Presse zur Premiere.
Ja, diese „Kátja Kabanova“ ist eine psychologisch sehr interessante Geschichte, die in dieser sehr einfachen, klaren Inszenierung mit interessanten Details überzeugt. Das letzte Aufeinandertreffen von Boris (Misha Didyk) und seiner Geliebten Kátja (Angela Denoke): Sie sehen sich ein letztes Mal nach zehn Liebesnächten wieder – und er geht schon auf Distanz zu ihr und will ihr zum Abschied nur die Hand reichen.
Der Schluss, als die böse Schwiegermutter Kabanicha (Jane Henschel) der toten Kátja, nachdem sie in den Fluss gesprungen ist, den Ehering abzieht und ihn sich selbst aufsteckt. Kurz zuvor war sie noch ganz in Schwarz mit Leichenträgern auf die Bühne gekommen und hatte ihre Schwiegertochter mit einem hämischen Grinsen aufgefordert, sie möge in den Sarg steigen – eine Szene, die an ein Bild des belgischen Surrealisten René Magritte erinnert.
Lichtgestalt des Abends war die Sopranistin Angela Denoke aus dem niedersächsischen Stade bei Hamburg. Ihr Sopran vermochte durch die Bank, was vielen anderen Sängern an diesem Abend mitunter ein wenig schwer fiel: Sie konnte sich gegenüber dem Orchester gut durchsetzen. Denoke sang überwiegend sauber, kräftig und klar.
Einige Töne erklangen indes ein wenig verspannt, angestrengt, intonationsmäßig nicht ganz sauber – aber dies ist bei dieser so überaus anspruchsvollen Partie zu verzeihen. So bekam die Wiener Kammersängerin vom Publikum denn auch den weitaus größten Beifall.
Jane Henschel, das war zu spüren, machte die Rolle der bösen Schwiegermutter große Freude. Ihre Stimme erklang im Laufe des Abends immer intensiver und gehaltvoller. Schauspielerisch agierte sie glänzend. Köstlich, wie sie den Kaufmann Dikoj (Dan Paul Dumitrescu) vor sich knien ließ und dessen Rücken peitschte – ja auch die beiden Bösen haben ihre Laster… Dumitrescu überzeugte mit sehr viel Präsenz, polterte mit seinem samtigen Bass aber eher gemütlich.
Tichon (Leonardo Navarro), Kabanichas Sohn und Kátjas Ehemann, fehlte indes noch ein wenig die Reife und das Alter, um neben Angela Denoke auf der Bühne seinen Mann zu stehen. Er muss noch ein wenig an seiner Präsenz arbeiten. Aber keine Frage: Der junge chilenische Tenor und Stipendiat der PORR AG hat einen schönen Tenor mit sehr viel Potenzial. Die Wiener Staatsoper übernimmt ihn in der kommenden Spielzeit ins Ensemble.
Der Tenor Misha Didyk als Boris zeigte als Liebhaber Kátjas nicht allzu viel Schwung und blieb darstellerisch eher bieder. Stimmlich war er aber in weiten Phasen ausdrucksstark und erfreute, bei kleinen Fehlern, auch mit erfreulicher Strahlkraft.
Das zweite Paar überzeugte als Paar an diesem Abend mehr: Thomas Ebenstein als Chemiker, Mechaniker und Naturschwärmer Kudrjáš hatte die stärkste Stimme der drei Tenöre: mit einer sehr angenehmen Höhe und Resonanz im tieferen Register. Seine Geliebte Varvara, die Australierin Margaret Plummer, gefiel mit einer vollen und runden Mezzostimme. Absolut überzeugend geriet auch der viel zu kurze Auftritt der russischen Mezzosopranistin Ilseyar Khayrullova als Glasa. Ihrer warmen und in der Höhe strahlenden Stimme gehört im Ensemble der Wiener Staatsoper die Zukunft.
„Sonst fand der Abend im ‚Graben’ statt“, notiert Der Neue Merker. „Das Orchester der Wiener Staatsoper erwies sich auch bei Janáček als höchst firm, spielte die himmlisch-hymnischen Aufschwünge, die schwebenden Zartheiten wie die rabiaten Obsessionen mit Höchsteinsatz, angeführt von der wunderbaren Konzertmeisterin Albena Danailkova.“
Einige Unsauberkeiten waren bei der recht jungen Besetzung indes aus vielen Orchesterteilen zu hören. Das lag aber nicht am tschechischen Dirigenten Tomáš Netopil, der mit größtem Einsatz agierte und weite Gesangspartien stumm mitsang. Und für die heikelsten Passagen hatte der Generalmusikdirektor des Aalto-Theaters und der Philharmonie Essen sich rosafarbene Aufkleber in die Partitur geklebt.
Andreas Schmidt, 23. April 2017
klassik-begeistert.at