Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper: Liederabend Camilla Nylund / Helmut Deutsch am 15. Juni 2020
von Dr. Sieglinde Pfabigan
Die 7 Lieder von Jean Sibelius, Schumanns „Frauenliebe und -leben“ und 4 Lieder von Richard Strauss op.42 gaben der großen finnischen Lyrikerin reichlich Gelegenheit, ihre vollendete Sangeskunst in der Wiener Staatsoper auszuleben. Ihr Begleiter am Pianforte, Helmut Deutsch, war ihr der denkbar beste Partner.
Die Sibelius-Lieder in schwedischer Sprache, eine der beiden Muttersprachen der gebürtigen Finnin, verbinden Liebesempfindungen mit vielseitig deutbaren Naturgegebenheiten oder erträumten Naturerscheinungen. „Die Echo-Elfe“ handelt von einer zierlichen Nymphe, die singend durch die Heide läuft, auf der Suche nach ihrem Geliebten, mit dem sie dies zur Tag- und Nachtzeit tat, ihn nun aber auch schreiend nicht wiederfindet, bis sie erschöpft zusammenbricht. Mit Echolauten führt sie den „Jäger“ dann in die Irre, „wie einst der Geliebte, der sie täuschte“. In abruptem Piano lässt der Pianist die vokal anspruchsvolle Erzählung enden.
Diese Lieder haben eines gemeinsam: Sie bestehen nicht wirklich aus Melodien, sondern sind Erzählungen auf melodischer Basis und ermöglichen der Sängerin ein gefühlvolles Verweilen in Erlebtem oder Erträumtem und verlangen ihr die dafür nötige technische Perfektion ebenso ab wie die Verinnerlichung des Erzählten bzw. Gefühlten. Also wie geschaffen für Camilla Nylund, die nach allein 14 Rollen des lyrisch-dramatischen Fachs an der Wiener Staatsoper nun als Liedsängerin unter Beweis stellt, dass sie das Erarbeitete auch hier perfekt zum Einsatz bringen kann.
Geheimnisvoll lässt Helmut Deutsch in „Schilfrohr säusle“ die Wellen erahnen, in denen die junge Ingelill versank, von der Sängerin dann mit einem sterbenden Schwan verglichen. Mit großer Intensität hören wir von der glücklich Liebenden, die ob ihres Glücks und Besitzes durch Neid ihres Glücks beraubt wurde. Am Klavier hört man zuletzt die Wassertropfen, denen sie nachhört…
„Der Diamant auf dem Märzschnee“ gibt der Sopranistin Gelegenheit, ihre Stimme „glitzern“ zu lassen wie ein Diamant und ihn in der Sonne schmelzen zu lassen zur Träne – eine Art Liebestod. „War es ein Traum“ lässt ihr mit des wohltönenden Klavieres Hilfe ihre Gedanken verfolgen, dass der Traum kurz, aber wunderschön war. In „Arioso“ (op.3!) spricht ein Mädchen an einem Wintermorgen eine verwelkte Rose an und vergleicht deren Schicksal mit dem ihren. Dramatischer geht es in den Mutter-Tochter-Gesprächen bei„Mädchen kam vom Stelldichein“ zu, wo sehr plastisch eine missglückte Liebesgeschichte zu Wort und Ton kommt. Mit den „Schwarzen Rosen“, die am trauernden Herzen einer Liebenden nagen, endet der tragisch-poetische Sibelius-Block, der die Schönheit von Camilla Nylunds Stimme nicht beeinträchtigen konnte.
Robert Schumanns wunderbarer Lieder-Zyklus „Frauenliebe und –leben“ lässt uns in pure Romantik heimkehren. Dort wie da ergänzen Blicke und kleine Gesten der Sängerin die schöne, in bitterster Trauer endende Liebesgeschichte. Das oft Gesungene bzw. Gehörte ließ an diesem Abend dank beider Künstler neue Farben erschauen bzw. erleben. Schon deshalb, weil Camilla Nylund sich nicht als junges Mädchen (das sie nicht mehr ist) auszugeben bemüht war, sondern als reifere Frau, die weiß, was sie tut und sagt, damit aber jedem Wort erhöhte Bedeutung gab. Besonders fielen mir die voll ausgesungenen verbalen Reprisen auf: „Wie so milde, wie so gut..“, das 3-malige „Ich kann’s nicht fassen nicht glauben“ oder das final wiederholte sanfte „dein Bildnis“ (in „Süßer Freund“).
Zusammenfassend: Camilla Nylund singt nicht nur, sondern sie hat immer auch etwas zu sagen. Und Helmut Deutschs Begleitung tönt nicht nur schön, sondern „spricht“ auch zu uns.
Und schließlich die Richard Strauss-Gesänge: „Heimliche Aufforderung“, „Ruhe meine Seele“, „Morgen“ und „Cäcilie“ – da konnte die wunderbare Arabella, Ariadne, Marschallin und Frau ohne Schatten, denen im kommenden September die Chrysothemis folgen wird, sich wieder einmal vokal ausleben! Versteht sich, dass der großartige Liedbegleiter mithilfe der Tasten ein Gleiches tat.
Nach drei Draufgaben wurde das Team mit „standing ovations“ der leider wegen Corona nur 100 Anwesenden bedankt.
Dr. Sieglinde Pfabigan (onlinemerker.com), 16. Juni 2020