„Ich glaube vielleicht nicht an Gott. Aber ich glaube an die Musik und an die menschliche Fantasie.“

Liederabend Crebassa · Say

Foto © SF / Marco Borrelli
Liederabend Crebassa · Say, Salzburger Festspiele
Stiftung Mozarteum – Großer Saal, 8. August 2017

Maurice Ravel Vocalise-étude (En forme de habanera)
Maurice Ravel Shéhérazade. Trois poèmes pour chant et orchestre (Fassung für Singstimme und Klavier)
Claude Debussy La cathédrale engloutie: Profondément calme (Dans une brume doucement sonore) aus Préludes, Livre 1
Claude Debussy Minstrels: Modéré (Nerveux et avec humour) aus Préludes, Livre 1
Gabriel Fauré „Cygne sur l’eau“ aus Mirages op. 113
Gabriel Fauré „Danseuse“ aus Mirages op. 113
Erik Satie Trois Gnossiennes
Claude Debussy Trois Mélodies de Verlaine
Henri Duparc Chanson triste
Henri Duparc Au pays où se fait la guerre
Fazil Say Gezi Park 2. Sonate für Klavier op. 52
Fazil Say Gezi Park 3. Ballade für Mezzosopran, Klavier und Streichorchester (Fassung für Mezzosopran und Klavier von Fazıl Say)
Fazil Say Summertime Variations
Wolfgang Amadeus Mozart Le Nozze di Figaro KV 492 Arietta Cherubino „Voi che sapete che cosa è amor“

von Antonia Tremmel-Scheinost

Wo Orient auf Okzident trifft…

Marianne Crébassa und Fazil Say ließen am gestrigen Festspielabend das oft altmodisch wirkende Kunstlied in den Jungbrunnen fallen. Mit extravagantem Klavier- und Liedrepertoire und passionierter Darbietung wusste das Duo die Hörerschaft zu überzeugen.  Dass der türkische Pianist, Komponist und Wunderknabe Fazil Say mächtig Eigensinn besitzt, ist allgemein bekannt. Ebenso, dass man sich an seinem Spiel durchaus stoßen kann – immer ein wenig fremdartig, exotisch aber stets tonal. Mannigfaltige gestische Caprizen und bescheidene wie laute Sangeskünste mindern Says elektrisierende Bühnenpräsenz auch nicht gerade.

Kann es also funktionieren, diesem virtuosen Paradiesvogel nicht den üblichen Vulkan Kopatchinskaja, sondern einen blutjungen französischen Mezzo namens Marianne Crébassa zur Seite zu stellen? Doch schon.

Denn zumindest im ersten Teil des Abends war sie es, die glänzen durfte. Ihre bronzefarbene Stimme schmiegte sich elegant an den blassgelben, seidenbespannten Saal. Kühl und nur schwach erhellt, brachen sich Licht und Musik tausendfach in Kristall.
Gut bekam ihr auch das Programm, mit seinem Zauber der französischen Sprache – der ihrigen. Crébassas Diktion und rhythmische Sauberkeit waren ein wahres Labsal.
Auch harmonierte das obertonreiche, samtweiche Timbre der Mezzosopranistin hervorragend mit dem vokalen Schaffen von Ravel, Debussy und Duparc.

Maurice Ravels am Beginn stehende Vokalise, diese „Habanera ohne Worte“ verwebte Crébassa zu einer Evokation des Mythischen. Durch das alleinige Singen von Vokalen blieb „das Geheimnis der Musik vollends gewahrt“. Und Fazil? Der ließ sie gewähren. Pianistische Begleitung und Habit waren anfangs wirklich auffallend zurückgenommen.

Ravels betörende Shéhérazade intonierte die Mezzosopranistin dann leuchtkräftig mit knappem Vibrato. Diese Vertonung von Gedichten nach Tristan Klingsor (das Pseudonym von Ravels Freund Léon Leclère) beschwor den geheimnisvollen Orient in all seiner melodisch-klanglichen Sinnlichkeit. Say gelang es hier, ganz ohne Eigenkomposition spielend, Brücken zwischen West und Ost zu schlagen.

Ein wenig ambivalenter gestaltete sich seine Solo-Einlage: Bei Debussys, von Parallelakkordik gezeichneter „Cathédrale engloutie“, ließ Say seine Glockenklänge aus dem Ozean mittels falscher, aber geläufiger Tempobrüche tönen, obwohl das vorgeschriebene „profondément calme“ durchwegs gewahrt werden sollte. Der Metrik zum Trotz wusste der Könner den Spannungsbogen indes klug zu führen und versprühte magischen Nonkonformismus.

Die „Minstrels“ waren ganz nach dem Geschmack des Türken, zeichnet sich diese Miniatur doch durch einen gewitzten, jazzigen Klang aus. Bei den frühen Jazzmusikern aus den Nachtlokalen des Pigalle fühlt sich Fazil sichtlich wohl.

Von da an übernahm dieser in Sachen Bühnenpräsenz das Ruder. Crébassa bot zwar souverän wie charmant Gabriel Faurés „Mirages“ dar, aber auch ihre raffinierten klanglichen Schattierungen konnten nicht mehr gegen das Charisma des Großmeisters ankommen.

Nach der Pause erschien Say festen Schrittes und neu gewandet (in wohlbekanntem Kimono) wie frisiert, um Erik Saties höchst kuriose „Gnossiennes“ anzustimmen. Oft als reine Stimmungsmusik abgetan, bildet diese Trilogie ein geradezu störrisches Faszinosum. Keine Taktstriche, äußerste Simplizität und wirre Vortragsanweisungen bieten dennoch einen wahren Nährboden für Kreativität. Und die hat Say zur Genüge. Seine fantasievollen Verzierungen und Verschattungen im Anschlag ließen Manches wie erstmalig gehört klingen – vielleicht eine Nuance zu flott, aber immer noch Klangverständnis auf höchstem Niveau.

Über Debussys schillernde, solide vorgetragenen „Trois Mélodies de Verlaine“ gelangten Say und Crébassa schlussendlich zum schmalen Oeuvre des Henri Duparc, für viele der Inbegriff des tragischen Genies, da dieser hochbegabte Liedkomponist sein künstlerisches Schaffen aufgrund einer Krankheit viel zu früh aufgeben musste.
Entsprechende Dunkelheit zog auf, als die Mezzosopranistin das „Chanson triste“ und „Au pays où se fait la guerre“ anstimmte. Die Wehklage einer Frau, die auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Kriege wartet, hallte eindringlich wie bedrückend durch den Raum.

Das Konfliktmotiv leitete auch nahtlos in Fazil Says hochaktuelle Komposition „Gezi Park 2 “ über. Inspiration lieferten die bürgerkriegsähnlichen Vorkommnisse in Istanbul im Jahr 2013. Erschreckend wurde dem Publikum dadurch aufgezeigt, wie immanent und zeitlos Gewalt mit der Menschheit einhergeht…

Dank kluger Dramaturgie endete das offizielle Programm zyklisch: Mit einer weiteren Vokalise. In seinem urwüchsigen „Gezi Park 3“ verbindet Say türkische Melodien mit westlichen Formen, und diese außergewöhnliche Tonsprache sorgte für ein nachdenkliches Ausklingen.

Anschließend folgte mit Fazil Says süffig-jazziger Komposition „Summertime“ die erste Zugabe. Trotz Jubelstürmen konnte der Jazz-Kenner Marianne Crébassas Gesangsversuchen fernab der Klassik jedoch nichts abgewinnen – Man rufe sich nur die große Ella Fitzgerald ins Gedächtnis… Crébassas starker Akzent und ungekonntes Scatten bildeten Wermutstropfen in Says Werk, das er ursprünglich als Konzertstück für seine klassischen Solo-Recitals komponiert hat.

Hinterher ließ ihre einnehmende Aufführung von „Voi che Sapete“ die Jazz-Exkursion aber schnell wieder vergessen. Die Französin entpuppt sich nach und nach als wahre Expertin für Hosenrollen. Im Zusammenspiel mit Say fiel Crébassas Arie des Cherubino wesentlich schneller aus als in ihrem aktuellen Album, erfrischend!

Das Publikum honorierte diese mitreißende Darbietung mit Standing Ovations beim Schlussapplaus.

Passend dazu ein Zitat Fazil Says:
„Ich glaube vielleicht nicht an Gott. Aber ich glaube an die Musik und an die menschliche Fantasie.“

Antonia Tremmel-Scheinost, 9. August 2017, für
klassik-begeistert.de
klassik-begeistert.at

3 Gedanken zu „Liederabend Crebassa · Say“

  1. Von der Freiluft-Bühne der Felsenreitschule stieg der „Sesto“ herab in den (etwas) intimeren Bereich des Großen Saals des Mozarteum. Bestimmt ein interessantes Ereignis gewesen. Denn ihr „Sesto“ war mehr als überzeugend.

    Als Kasarova-Fan ist es jedoch nicht immer leicht, denn automatisch vergleiche ich alle Mezzos sofort mit dieser markanten Stimme. Wer kennt das nicht. Das ist zwar eine etwas nervige, und vor allem auch unfaire Angewohnheit, wenn auch eine automatisierte. Denn es gibt nun mal keinen Mezzo der dem „Sesto“ der Kasarova nahekommen könnte. Auch keine Garanca. Zumindest für meinen musikalischen Geschmack. Genauso gibt es keine zweite Callas. Man kann sich auf youtube davon überzeugen. Übrigens auch eine Salzburger Festspiele Inszenierung aus dem Jahre 2003 (Harnoncourt/Kusej).
    „Parto,ma tu, ben mio“: https://www.youtube.com/watch?v=0rbJ4sa0vV0

    Deshalb sollten wir diese Vergleiche aufs Nötigste reduzieren. Auch wenn Referenzwerte zur objektiven Beurteilung von Sangesklasse zumindest eine kleine Hilfestellung bieten. Doch selbst dieser Referenzwert unterliegt keinen hundertprozentigen objektiven Beurteilungen. In der Musik-Kritik ist Objektivität eine schwierige Kunst. Höchstwahrscheinlich eine unmögliche. Der persönliche Geschmack dominiert!

    Langer Rede, kurzer Sinn. Wenn der Liederabend ihrem „Sesto“ auch nur annähernd gleichkommen konnte dann war es bestimmt ein gelungener.
    Jürgen Pathy

    1. Guten Tag,
      Eine Hörfunkaufzeichnung dieses Konzerts wird vom ORF am 14. September um 19:30 Uhr im Programm Ö1 gesendet. Ansonsten gibt es bisher keine Aufzeichnung, die im Netz nachzuhören ist.
      Mit freundlichen Grüßen
      i.A. Andreas Schmidt

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