Magische Opernmomente in rätselhafter Kulisse

Richard Wagner, Die Walküre, Bayreuther Festspiele, 9. August 2017

Foto © Enrico Nawrath
Richard Wagner, Die Walküre

Bayreuther Festspiele, 9. August 2017

Musikalische Leitung: Marek Janowski
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüm: Adriana Braga Peretzki
Licht: Rainer Casper
Video: Andreas Deinert, Jens Crull
Technische Einrichtung 2013-2014: Karl-Heinz Matitschka
Siegmund: Christopher Ventris
Hunding: Georg Zeppenfeld
Wotan: John Lundgren
Sieglinde: Camilla Nylund
Brünnhilde: Catherine Foster
Fricka: Tanja Ariane Baumgartner
Gerhilde: Caroline Wenborne
Ortlinde: Dara Hobbs
Waltraute: Stephanie Houtzeel
Schwertleite: Nadine Weissmann
Helmwige: Christiane Kohl
Siegrune: Mareike Morr
Grimgerde: Simone Schröder
Rossweisse: Alexandra Petersamer

von Sebastian Koik

Nach dem enorm beeindruckenden Rheingold gingen bei der Walküre dem Regisseur Frank Castorf und dem Bühnenbildner Aleksandar Denić anscheinend ein wenig die guten Ideen aus. Nach einer wieder sehr schön gespielten Ouvertüre ist man nach dem Öffnen des Vorhangs erneut fasziniert: Wie am Vortag beim Rheingold ist das Bühnenbild ein sehr imposantes Gebäude. Auch hier werden wieder großer Aufwand und viel Liebe zum Detail deutlich. Doch mehr und mehr fragt man sich, was diese enorme Baukonstruktion aus Holz überhaupt darstellen soll.

Aleksandar Denić hat die Bühne mit viel Phantasie, aber zu viel Rätselhaftigkeit gestaltet. Dieses bauliche Ding hat viele Treppen, die im Laufe des Abends auch reichlich genutzt und von den Walküren in der Rückschau regelrecht geritten werden. Denken kann man an einen Stall oder eine Scheune, eine Werkstatt, eine Kirche oder einen Ölbohrturm. Später am Abend wird tatsächlich auch mal Öl gepumpt und so die Identität des Turmes final geklärt.

Die vom Ansatz her brillante Drehbühne präsentiert immer wieder andere Seiten des Bühnenbauwerks. Am Vorabend funktionierte das absolut genial. Hier allerdings wird nicht wirklich nachvollziehbar, warum das eine Mal hier gespielt und gesungen wird und das andere Mal woanders und was die diversen Schauseiten überhaupt für Orte darstellen sollen.

Wie im Rheingold gibt es auch in der Walküre eine Kamera und Bildübertragung, diesmal auf immer wieder an anderen Stellen aufgespannte weiße Tücher und diesmal alles in Schwarz-Weiß. Weniger dominant als im ersten Teil, dennoch sieht man auch hier fast ständig einen Kameramann auf der Bühne, der auch diesen zweiten Abend zu Reality-TV macht.

Manchmal liefert er zusätzliche, parallele Bilder zum sonstigen Bühnengeschehen, oft Nahaufnahmen von Sängern oder Aufnahmen vom Geschehen im Gebäude. Das ist ganz nett. Manchmal allerdings wirkt es sehr befremdlich, wenn sich nur eine einzige Szene abspielt, die im Bauwerk verborgen ist und eben nur auf der Leinwand zu sehen ist. Soll so das Primat der Medienwelt gegenüber dem Realen gezeigt werden?

Zusätzlich gibt es Filmausschnitte aus Panzerkreuzer Potemkin von Sergej Eisenstein,Tschapajew von Sergej und Georgji Wasilijew, There will be blood von Paul Thomas Anderson und Giant von George Stevens. Man sieht oft Zeitungsausschnitte aus der Prawda, viele sowjetische Arbeiter und historische Ölbohrungen. Das ist ebenfalls alles nicht unpassend, aber auch nicht wirklich nötig und zwingend.

Sehr kümmerlich und wiederum befremdlich erscheint das Finale der Walküre. Was in anderen Inszenierungen der optische und oft auch emotionale Höhepunkt ist, wird hier zur größten Enttäuschung des Abends. Brünnhilde wird hier nicht wirklich von einem Feuerkreis eingeschlossen, sondern legt sich im Gebäude aufs Bett. Der Kameramann filmt sie beim Schlafen und der Zuschauer sieht ihr schlafendes Gesicht auf der Leinwand. Der Feuerkreis ist äußerst spärlich: dargestellt von einer großen Tonne, die kreisförmig brennt. Es ist ein kleines Feuer, das nicht einmal vor dem Eingang des Gebäudes brennt und den Zutritt zu Brünnhilde so überhaupt nicht verwehrt. Was auch immer sich Frank Castorf dabei gedacht hat, es kommt sehr schwach herüber.

Wenn man dann hinterher über die Intentionen liest, wird deutlich, dass das angedachte Konzept so unübersichtlich ist, dass es eigentlich gar nicht vernünftig darstellbar ist: Die Erzählung beginnt demzufolge in den USA zur Zeit der großen Hollywood Technicolorfilme und der scheinbar unbegrenzten Konsummöglichkeiten, springt dann nach Baku im heutigen Aserbaidschan, wo in den 1880er Jahren ein Ölboom aufkam und irgendwie den späteren Stalin hervorgebracht hat. Dann geht es angeblich in den sozialistischen Realismus und der Weg soll bei den IG Farben zu Buna enden.

Leider ist das für den Zuschauer nicht nachvollziehbar. Dieser sieht immer mal wieder russische und andere fremdartige Schriftzüge, rote Fahnen und russische Videos. Er sieht aber das Gewollte nicht und er versteht es nicht. So sehr man Frank Castorf für sein geniales Rheingold loben kann, der zweite Streich ist ihm nun wirklich nicht gelungen.

Musikalisch ist dieser Teil des Rings eine Steigerung gegenüber dem Rheingold. Während Janowski, wie am Vortag, die erste Hälfte noch häufiger hektisch und unrund anleitet, haben sich in der zweiten Hälfte alle warmgespielt. Glücksgefühle löst das Orchester allerdings nicht aus. Das ist solide, aber nicht viel mehr, und man wünscht sich doch ein wenig einen Thielemann oder Runnicles – wenn man schon mal in Bayreuth ist.

Die Sängerinnen und Sänger präsentieren sich stark und beglücken mit traumhaften Passagen: Christopher Ventris überzeugt als Siegmund. Sängerisch bringt er alles mit: Er hat eine große Stimme, die in allen gezeigten Tonhöhen wunderbar klingt. Sie ist warm, cremig und sehr ausdrucksstark. Ventris hat einen tollen Sinn für Dramatik und einen sehr langen Atem. Er schenkt dem Publikum einen echt starken Siegmund.

Camilla Nylund spielt die Sieglinde und bezaubert vor allem an den schwierigsten und wichtigsten Stellen mit ganz langem Atem und klaren und sehr ausdauernden Höhen. Manchmal allerdings klingt sie auch leicht dünn und angestrengt. Einer der schönsten Momente des Abends gelingt ihr, als sie von Brünnhilde die Stücke von Siegmunds Schwert überreicht bekommt. Hier rührt sie an und erschafft einen dieser magischen Opernmomente.

Georg Zeppenfeld gibt den Hunding. Er präsentiert seinen prächtigen und tiefen Bass sonor und souverän. Ein wenig hat er das Problem seiner Stimmlage: Er klingt ein wenig eindimensional. Wie gut er dennoch ist wird an dem Abend auch im direkten Vergleich mit dem Bass Wotan deutlich.

Den Wotan gibt John Lundgren. Auch er macht das gut, doch von allen größeren Partien des Abends ist er der Schwächste – allerdings auf sehr hohem Gesamt-Niveau. Sein Gesang ist oft zu angestrengt und zu gepresst. Im letzten Drittel hat er sich dann warmgesungen und kommt viel besser, kräftiger und souveräner herüber. In den wichtigen Passagen holt er alles aus sich heraus und überzeugt.

Tanja Ariane Baumgartner präsentiert sich als eine gute Fricka. Sie ist sehr solide, ohne allerdings Glanzpunkte zu setzen. Optisch macht ihr Kostüm sie ein wenig zum Fremdkörper.

Und dann die Brünnhilde: Catherine Foster singt sie ganz wunderbar. Ihre Stimme ist klar und hell, ihr Atem sehr lang. Ihr Gesang ist jederzeit souverän. Unter den Hauptrollen ist sie gesanglich und auch darstellerisch das Highlight dieser Aufführung, ganz besonders im bitteren großen Streitgespräch und Abschied von Wotan. Hier schenkt sie dem Publikum einige der besten Momente des Abends.

Aber es gibt noch eine Steigerung: Caroline Wenborne als die Walküre Gerhilde. Sie verbreitet den größten Zauber in dieser Walküre. Ihre Stimme ist wunderschön, unglaublich dicht und kraftvoll, gleichzeitig ätherisch und über allen Dingen schwebend. Sie strahlt mit ungeheurer Intensität und großem Farbenreichtum in den großen Saal und das mit einer beeindruckenden Natürlichkeit und Leichtigkeit! Sie ist gesegnet mit dem Geschenk einer ganz, ganz großen Stimme.

Das ist nochmal ein anderes Level als das der anderen Sänger des Abends, die alle auch schon enorm viel Qualität bringen. Für einen Musikliebhaber ist es ein großes Glück, ihr zuhören zu dürfen! Das ist eine Stimme, die die Oper zu einem Schauplatz überirdischer Momente macht. Stimmen wie diese sind das Herz der Oper. Nach dieser absoluten Weltklasse-Leistung in Bayreuth will man diese wunderbare Caroline Wenborne unbedingt in einer größeren Rolle erleben.

Die anderen sieben Walküren machen ihre Sache auch sehr gut. Gesanglich gibt es nirgendwo Schwächen. Die Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki hat sie mit interessanten Kostümen und teilweise extravagantem Kopfschmuck ausgestattet, so dass sie recht punkig und wild daherkommen. Das ist durchaus passend und gut anzuschauen.

Das Rheingold am Vortag war ein kraftvolles und originelles Erlebnis ganz ohne Pathos und urzeitliche Verklärung, eine untypische Inszenierung die sich ins Gedächtnis einbrennt. Ein solcher Charakter fehlt leider dieser Walküre. Sie sagt wenig aus, wirkt inkohärent und ohne überzeugende innere Logik. Es ist eine Inszenierung, die die Welt nicht braucht.

Da passt es auch ganz gut, dass die Darsteller sich zuweilen etwas ungelenk über die Bühne bewegen. Besonders Siegmund ist ganz offensichtlich nicht gewohnt, das Schwert zu führen. Es sind nur wenige Kleinigkeiten, die besonders durch den Kontrast zum Vorabend auffallen, als jeder Einzelne auf der Bühne seine Rolle in Perfektion spielte.

Die Sängerinnen und Sänger machen den Abend trotzdem zu einem schönen Erlebnis. Es gibt mehr magische Momente als am Vortag und die Gerhilde der Caroline Wenborne brennt sich ebenso wundervoll ins Gedächtnis wie die Rheingold-Inszenierung Frank Castorfs und das überirdische Orchestervorspiel am Vortag.

Sebastian Koik, 09. August 2017, für klassik-begeistert.de

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